„Black Surfing“Surfen gegen Rassismus in den New Yorker Rockaways

„Black Surfing“ / Surfen gegen Rassismus in den New Yorker Rockaways
USA, New York: Lou Harris gibt Kindern Surfunterricht. Das Surfen boomt auch in New York – trotz vieler Hai-Warnungen in diesem Sommer.  Foto: dpa/Christina Horsten

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Palmen und Riesenwellen gibt es nicht, aber das Surfen boomt auch in New York – trotz vieler Hai-Warnungen in diesem Sommer. Einer der lokalen Stars: Lou Harris. Er trainiert Kinder umsonst, hat einen Verein für schwarze Surfer gegründet – und kämpft gegen Rassismus.

Zum Surfen kam Lou Harris eher zufällig. „Ich war 33, hatte gerade mit dem Skateboarden aufgehört und wusste nicht, was ich machen sollte, weil ich alt wurde, mein Körper ließ mich im Stich. Dann kam ich hier raus in die Rockaways und sah, wie die Menschen surften – und wusste sofort, das will ich auch machen.“

Harris kauft sich ein gebrauchtes Surfboard, setzt sich mit Bier an den Strand, beobachtet die anderen Surfer und macht sich Notizen – tagelang, wochenlang, bis er das Gefühl hat, zu verstehen, wie das Reiten auf den Wellen funktioniert. „Meine damalige Freundin war schon total eifersüchtig, weil es bei mir nur noch ums Surfen ging.“

Inzwischen ist Harris 50 Jahre alt und längst ganz in die Rockaways gezogen – eine Halbinsel vor seinem Geburtsstadtteil Queens, in der Nähe des Flughafens John F. Kennedy. „Ich mochte es so sehr, dass ich einfach nicht mehr die U-Bahn zurücknehmen wollte.“ Die Rockaways, die 2012 von Wirbelsturm Sandy schwer beschädigt wurden, gehören zu den ärmeren Vierteln der Millionenmetropole. Es gibt viele hochgeschossige Wohnblocks und einfache Holzhäuser.

Gentrifizierung

Dank der langen Sandstrände wurden die Rockaways in den letzten Jahren aber mehr und mehr gentrifiziert – Luxushotel, schicke Strandbuden mit Fish Tacos und Iced Latte sowie bunte Fahrräder auf dem Boardwalk inklusive.  Von Manhattan aus braucht man mit der U-Bahnlinie A rund eine Stunde hierher. Je näher man kommt, desto mehr Menschen mit Surfbrettern steigen ein. Gesurft wird in den Wellen vor den Rockaways, dem einzigen Ort New Yorks, an dem das offiziell erlaubt ist – seit vielen Jahren.

Der Legende nach ritt Duke Kahanamoku, der Erfinder des modernen Surfens aus Hawaii, der 1912 im New Yorker Stadtteil Queens vorbeischaute, als Erster über die Wellen vor der Halbinsel.  Palmengesäumte Strände und Riesenwellen gibt es in den Rockaways nicht und im Winter liegt schonmal Schnee auf dem Strand – aber so sagt Harris: „Es ist der einzige Ort auf der Welt, an dem man ein paar Stunden surfen und sich dann eine Broadway-Show anschauen gehen kann, mit der U-Bahn. Und die Menschen hier sind sehr eklektisch, ein Mischmasch von allem.“ 

Lou Harris, der Kindern Surfunterricht gibt, steht am Strand. 
Lou Harris, der Kindern Surfunterricht gibt, steht am Strand.  Foto: dpa/Christina Horsten

Schwarze Menschen wie sich selbst sah Harris allerdings nur ganz selten im Wasser, als er mit dem Surfen anfing. Wenn er im Neoprenanzug mit dem Surfbrett unter dem Arm nach Hause gelaufen sei, habe ihm immer wieder jemand – oft junge schwarze Teenager – zugerufen: „Schwarze Jungs surfen doch nicht.“ Das habe ihn erst geärgert, sagt Harris – aber auch zum Nachdenken gebracht.

„Warum ärgert dich das? Diese Kinder hatten einfach nicht dieselben Möglichkeiten wie du“, habe ihm seine Mutter gesagt. Harris wuchs in wohlhabenden Verhältnissen auf, lernte schon als kleines Kind Schwimmen und hatte später einen eigenen Pool am Haus. Schwimmkurse sind in den USA oft sehr teuer, Millionen Kinder lernen es nicht, ethnische Minderheiten sind überproportional betroffen.

Als Harris dann auch noch von einem Vorfall hört, bei dem ein 13-Jähriger in Coney Island, einem Strandviertel in Brooklyn, eine Matratze anzündet, dafür Langeweile als Motiv angibt und damit ein Feuer auslöst, bei dessen Bekämpfung ein Polizist stirbt, ist seine Entscheidung gefallen: kostenlose Schwimmkurse für Kinder in den Rockaways. „Ich wollte die Kinder einfach beschäftigen.“ 

„Black Surfing Association East Coast“

Zur gleichen Zeit erfährt Harris von einem Verein für schwarze Surfer an der Westküste und gründet einen Ableger für die Ostküste: die „Black Surfing Association East Coast“.

Mehr als 200 Kindern aus ganz New York und darüber hinaus hat Harris in den vergangenen rund 15 Jahren nach eigenen Angaben das Surfen beigebracht und viele kostenlos mit Surfbrettern, Ausstattung und immer wieder auch Essen versorgt. „Oft habe ich auch Hausaufgaben mit ihnen gemacht und über das Leben geredet. Ich sage diesen Kids: Verschwendet nicht das Geld eurer Eltern! Hängt nicht einfach ab und trinkt. Macht eure Ausbildung fertig – und dann könnt ihr feiern und einen trinken.“

Lange arbeitete Harris nebenbei als Doorman auf der schicken Upper East Side von Manhattan, aber dank großer Medienaufmerksamkeit und vieler Spenden kann er sich inzwischen auf das Surf-Training konzentrieren. Harris habe „das Surfen neu erfunden“, schrieb die New York Times und „die Wellen von New York inklusiver gemacht“, kommentierte das Vice-Magazin. Er sehe inzwischen auch deutlich mehr schwarze Surfer im Wasser, sagt Harris. Als nach dem Mord an George Floyd landesweit Proteste gegen Rassismus und Polizeibrutalität ausbrachen, paddelten die Mitglieder seines Surfvereins solidarisch in einem „Paddle Out“ aufs Wasser hinaus.

Trotz Knieproblemen ist Harris weiter fast jeden Tag im Wasser und gibt Unterricht, inzwischen meist mit Ehefrau und Tochter. In diesem Sommer haben dabei immer wieder Hai-Sichtungen für Aufregung gesorgt – schon mehrfach wurden die Strände der Rockaways und andere Strände in der Umgebung von New York deswegen vorübergehend gesperrt. Die Kinder mache das nervös, aber ihn nicht, sagt Harris. „Das hier ist eben auch der Lebensraum der Haie, aber die sind weit da draußen. Ich mache mir da keine Sorgen.“ Im Meer vergesse er sowieso alles um sich herum. „Ich versuche, Wellen zu erwischen. Und das ist wie Therapie.“