GroßbritannienDas Dauer-Chaos am Londoner Großflughafen Heathrow führt zu heftiger Kritik an der Betreiberfirma

Großbritannien / Das Dauer-Chaos am Londoner Großflughafen Heathrow führt zu heftiger Kritik an der Betreiberfirma
Bereits seit Wochen bekommen die Verantwortlichen des Großflughafens Heathrow die Abfertigung von Passagieren und deren Gepäck nicht in den Griff Foto: AFP/Paul Ellis

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Das Wetter auf der Insel ist nach der mörderischen Juli-Hitze wieder zu angenehmen Sommertemperaturen um die 25 Grad zurückgekehrt. Die Verantwortlichen von Großbritanniens Großflughafen Heathrow westlich von London hingegen bekommen weiterhin ordentlich eingeheizt, und zwar von drei Gruppen.

Da sind einmal die Airlines. Sie beklagen die bis in den September reichende Obergrenze von täglich 100.000 Passagieren, die der Airport nach wochenlangem Chaos verhängt hat. Reisende ärgern sich über lange Schlangen und schlechte Information und die Bediensteten stöhnen über ihre Arbeitsbedingungen oder wandern gleich ganz ab.

Vollmundig hat der Leiter der Betreiberfirma Heathrow Airport Holdings (HAH) in den vergangenen Jahren seine „Vision“ herumposaunt: Seine Firma wolle „Passagieren den besten Flughafen-Service der Welt“ präsentieren, prahlte John Holland-Kaye. Davon kann keine Rede sein, weshalb der Manager in den vergangenen Wochen zum bevorzugten Watschenmann der britischen Medien geworden ist.

Anders als Konkurrenten auf dem Kontinent wie Charles de Gaulle in Paris, der Frankfurter Rhein-Main-Airport oder Amsterdams Schiphol operierte Heathrow vor der Corona-Pandemie mit zwei Start- und Landebahnen permanent am Rand der Kapazitätsgrenze. 2019 wurden 80,8 Millionen Passagiere und gut 475.000 Flüge gezählt; nach den mageren Jahren 2020 und 2021 gehen die Zahlen der Flugbewegungen und Reisenden nun wieder steil nach oben.

Viele Probleme, die deshalb entstanden sind, erlebt die Konkurrenz ähnlich. In Heathrow konzentrieren sich Hohn und Spott auf die Betreiberfirma HAH und ihren beredten CEO, weil Holland-Kaye seit Jahren beharrlich für eine dritte Startbahn argumentiert und prozessiert. Wie aber lasse sich das klimapolitisch fragwürdige Vorhaben mit einer Strategie vereinbaren, die auf die Zurückweisung potenzieller Passagiere abzielt, fragt beispielsweise die Times.

„Nicht gehandelt, nicht geplant, nicht investiert“

Fluggesellschaften beklagen den Mangel an Planung für die Rückkehr der Reiselustigen, die sich seit Jahresbeginn abzeichnete. Das HAH-Management gehe „leichtfertig“ mit seinen Kunden um, schrieb Emirates in einer Reaktion auf die Passagier-Obergrenze, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Trotz monatelanger Warnungen habe Heathrow „nicht gehandelt, nicht geplant, nicht investiert“. Stattdessen sei, so der Vorwurf von Virgin Atlantic, viel zu lang „die Nachfrage heruntergespielt“ worden. Das besonders für Langstreckenflüge vorgesehene Terminal 4 wurde erst im Juni wiedereröffnet. Nun mussten Tausende von geplanten Flügen gestrichen werden.

Wochenlang konterte Holland-Kaye die Vorwürfe mit der Taktik, andere Schuldige zu benennen: Passagiere würden zu viel Gepäck mitbringen, die Fluggesellschaften zu wenig Personal rekrutieren, deren weitgehend als Subunternehmer agierendes Bodenpersonal werde zu schlecht bezahlt. Auch die sozialen Medien gerieten ins Visier des Managers: Nach einem Filmchen auf der Plattform TikTok habe eine Vielzahl gesunder Passagiere Verletzungen oder Behinderungen vorgetäuscht, um rascher an den Schlangen vorbeizukommen.

Brutal faßte IATA-Generaldirektor Willie Walsh, als langjähriger CEO von British Airways steter Kritiker der Zustände in Heathrow, die Meinung der Branche zusammen: Heathrow werde „von einer Gruppe von Idioten“ geleitet. Ultimativ haben die Aufsichtsbehörde CAA und das konservativ geführte Verkehrsministerium das Unternehmen dazu verdonnert, einen „glaubwürdigen und belastbaren Plan“ für die kommenden sechs Monate vorzulegen.

Mickriger Mindestlohn

Wer sich mit einzelnen der rund 6.500 HAH-Beschäftigten und Gewerkschaftlern unterhält, muss Zweifel daran haben, ob es sich tatsächlich nur um ein mittelfristiges Problem handelt. Denn seit der Pandemie und verstärkt durch den Brexit herrscht große Knappheit an Arbeitskräften. Deshalb rächt sich die Entlassungswelle, mit der der Flughafen selbst, aber auch die Airlines sowie die eigenständigen Abfertigungsfirmen auf den Corona-Einbruch reagierten. Die Branche überlebe derzeit nur „mit vielen Überstunden“, berichtet Andy Prendergast von der Gewerkschaft GMB.

Zudem hat der Großflughafen mit früher insgesamt 95.000 Beschäftigten bei mehr als 400 Firmen den Nimbus als attraktiver Arbeitgeber verloren. Ingenieure und Facharbeiter finden in Datazentren oder beim Internet-Riesen Amazon viel besser bezahlte Jobs. Kofferträger, Angehörige von Putzteams oder Bewachungspersonal verdienen vielfach wenig mehr als den Mindestlohn von 9,50 Pfund (11,07 Euro) pro Stunde – zu wenig bei gleichzeitiger Inflation von 9,4 Prozent und verlockenden Konkurrenzangeboten. Die örtliche Filiale des Schnellrestaurants Burger King beispielsweise bietet 2,50 Pfund pro Stunde mehr.