KlangweltenDüsterer Titel, tolle Musik: Neues Dawes-Album hebt die Laune

Klangwelten / Düsterer Titel, tolle Musik: Neues Dawes-Album hebt die Laune
Das Quartett um die Brüder Taylor Goldsmith (Gesang, Gitarre) und Griffin Goldsmith (Schlagzeug) Foto: dpa/Ward & Kweskin/Oktober Promotion

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Krisen können lähmen – oder beflügeln. Letzteres geschah beim neuen Album der US-Band Dawes, das im Titel auf ein Phänomen der düsteren Gegenwart Bezug nimmt und dann rein musikalisch die Laune hebt.

Die Gegenwart mit all ihrem Elend, von Corona über Krieg bis Klimakollaps, hat eine englische Wortneuschöpfung hervorgebracht: „doomscrolling“, gebildet aus „doom“ (Untergang) und „scrolling“ (hektisches Blättern auf dem Smartphone-Bildschirm) – im Kern geht es ums obsessive Konsumieren düsterer Nachrichten am Handy. Aber was hat das mit der kalifornischen Feelgood-Band Dawes zu tun?

Das Quartett um die Brüder Taylor Goldsmith (Gesang, Gitarre) und Griffin Goldsmith (Schlagzeug) hat sein achtes Studioalbum seit 2009 „Misadventures Of Doomscroller“ genannt – und beweist damit, dass die Krisen auch in der harmonieseligsten US-Rockmusik angekommen sind. „Die Missgeschicke des angstvollen Smartphone-Junkies“ (frei übersetzt) sind zugleich – vielleicht gerade wegen der dahinter stehenden Zukunftsangst-Thematik – die mutigste Platte der Dawes.

Dawes – „Misadventures Of Doomscroller“
Dawes – „Misadventures Of Doomscroller“ Foto: dpa/Ward & Kweskin/Concord Records/Universal Music

Eine solche Leistung hatte man diesen Musikern, die bisher meist wie eine (freilich höchst kompetente) Retro-Folkpop-Truppe irgendwo zwischen Jackson Browne, The Band und Crosby Stills & Nash klangen, nicht mehr unbedingt zugetraut. Man muss nur das zentrale Stück „Ghost In The Machine“ hören, um zu staunen: Die Band nähert sich hier dem Funk-Jazz mit frei flirrenden Gitarren und einem wunderbar lässigen Piano-Solo, bis der Song die Sechs-Minuten-Grenze sprengt.

Auch andere der insgesamt nur sieben Lieder des Albums sind lang (teilweise acht oder neun Minuten), sie nehmen sich ihre völlig angemessene Zeit für ausufernde Soli und überraschende Breaks. Und doch sind dies keine ausfransend selbstverliebten Tracks, sondern toll komponierte, melodische Songs ohne stilistische Scheuklappen.

„Misadventures Of Doomscroller“ wurde vom angesagten Studio-Ass Jonathan Wilson produziert – er steht bei allem Westcoast-Hippietum für einen ehrgeizigen Ansatz. „Wir waren schon immer stolz darauf, Minimalisten zu sein. Mit dieser Platte haben wir uns vorgenommen, Maximalisten zu sein“, sagt Taylor Goldsmith. „Wir haben beschlossen, keine Rücksicht mehr auf kurze Aufmerksamkeitsspannen zu nehmen.“ Experiment geglückt – trotz düsterer „Doomscroller“-Grundstimmung. (dpa)