StandpunktEine wirksame Pandemie-Reaktion muss wirklich global sein

Standpunkt / Eine wirksame Pandemie-Reaktion muss wirklich global sein
 Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa

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Bei ihrem jüngsten Treffen auf Bali am 15. und 16. Juli bekräftigten die G20-Finanzminister ihr Engagement für ein koordiniertes Vorgehen, um die Covid-19-Pandemie unter Kontrolle zu bringen und sich besser auf den nächsten globalen Gesundheitsnotstand vorzubereiten.

* Zum Autor

Mariana Mazzucato, die Gründungsdirektorin des UCL Institute for Innovation and Public Purpose, ist Vorsitzende des Council on the Economics of Health for All der Weltgesundheitsorganisation. Jayati Ghosh ist Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der University of Massachusetts Amherst und Mitglied des hochrangigen Beirats des UN-Generalsekretärs für effektiven Multilateralismus.

Ein zentrales Thema war die Einrichtung eines neuen Finanzintermediärfonds (Financial Intermediary Fund, FIF) für die Pandemievorsorge und -bekämpfung (Pandemic Preparedness and Response, PPR), der von der Weltbank treuhänderisch verwaltet wird und bei dem die Weltgesundheitsorganisation eine zentrale technische und koordinierende Rolle spielt. Ziel ist es, einen Teil der jährlichen PPR-Finanzierungslücke von 10,5 Milliarden Dollar zu schließen und den Ausbau von Kapazitäten zu unterstützen, die für den Schutz der globalen Gesundheit von entscheidender Bedeutung sind, darunter die Genomsequenzierung und die Arzneimittelherstellung.

Im Laufe des nächsten Monats werden die G20, die Weltbank und die WHO den FIF-Entwurf fertigstellen, wobei sie unter starkem externen Druck stehen, eine gerechte und integrative Leitungssteuerung zu entwickeln. Die indonesische G20-Präsidentschaft hat einige vorläufige Vereinbarungen möglich gemacht, die in die richtige Richtung gehen. So zeichnet sich beispielsweise ein Konsens darüber ab, dass die Leitung des FIF Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen, Nicht-G20-Partner und die Zivilgesellschaft einschließen muss. Außerdem erkennen die G20-Länder an, dass der FIF auf dem bestehenden globalen Gesundheitsrahmen für PPR aufbauen muss, wobei der WHO eine zentrale Rolle zukommt. Dies ist eine positive Abkehr vom Whitepaper der Weltbank vom Mai 2022, das ein zutiefst rückschrittliches, engstirniges Konzept vorschlug, bei dem die Geber (hauptsächlich reiche Länder) alle Entscheidungen treffen und andere konsultieren (oder auch nicht), wie sie wollen.

FIF-Leitungsstruktur

Der nächste Schritt besteht darin, dass die G20 expliziter anerkennen, dass ein effektiver PPR-Mechanismus als globales Gemeingut ein FIF-Modell erfordert, das auf universellen Beiträgen (je nach Kapazität) und Repräsentation sowie universellem Zugang zu den Vorteilen beruht. Die Welt braucht dringend eine FIF-Leitungsstruktur, die dazu beitragen kann, kritische Lücken schnell und effektiv zu schließen. Dies erfordert ein Entscheidungsgremium, das agil ist, aber auch weithin als legitim angesehen wird und daher in der Lage ist, harte Entscheidungen ohne monatelange konsensbildende Diplomatie zu treffen.

Doch während sich alle derzeitigen FIF-Akteure im Prinzip über eine integrative Steuerung einig zu sein scheinen, finden die Diskussionen über die Gestaltung nach wie vor nur mit den Gründungsgebern statt. Länder mit niedrigerem Einkommen und Vertreter der Zivilgesellschaft bleiben außen vor. Die G20 sollte eine Frist setzen: Bis zum 1. August 2022 sollten alle Interessengruppen über ein wahlkreisbasiertes Modell, das allen Stimmen unabhängig von ihren finanziellen Beiträgen gleiches Gewicht verleiht, vollständig in die Gestaltungsgespräche einbezogen werden. Dazu gehört auch eine stimmberechtigte Rolle für die Zivilgesellschaft – eine zunehmend wichtige Norm in der globalen Gesundheitssteuerung.

Der FIF sollte eine längst überfällige Abkehr vom derzeitigen Ansatz markieren, bei dem die PPR als ein Gefallen behandelt wird, den reiche Länder den ärmeren Ländern erweisen. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Erinnern wir uns daran, dass es Südafrikas neuartiger Ansatz zur kostengünstigen, hochwirksamen Genomsequenzierung war, der der Welt im November letzten Jahres geholfen hat, die neue Omikron-Variante zu entdecken und zu verstehen – ein enormer Dienst an der Weltöffentlichkeit. Doch etwa ein Drittel aller Länder verfügt derzeit nicht über die Ressourcen und Kapazitäten zur Durchführung von Genomsequenzierungen, wobei vor allem in Afrika und Lateinamerika große Lücken bestehen.

Horten von Impfstoffen

Dies sind auch Regionen, in denen das Horten von Impfstoffen durch den Globalen Norden dazu geführt hat, dass Covid-19 weiterhin unter weitgehend ungeimpften Bevölkerungsgruppen zirkuliert und in einem Tempo mutiert, dass die Gesundheitsbehörden und Pharmaunternehmen kaum noch mithalten können. Der FIF wird nur funktionieren, wenn alle Länder – angefangen bei den G20 – mitmachen und alle Länder ihren Teil dazu beitragen, Ausbrüche zu erkennen, einzudämmen und mit dem gesamten Instrumentarium an Diagnose-, Behandlungs- und Präventionsmitteln zu bekämpfen.

Die Einbeziehung der WHO in den FIF ist ein zentrales Element der Steuerungsstruktur. Bei der Konzeption des FIF sollte die WHO den Vorsitz der technischen Beratungsgruppe übernehmen, die die für die Festlegung der Prioritäten erforderlichen Erkenntnisse und Daten bewerten und abwägen wird. Die WHO ist nicht nur das führende Zentrum für wissenschaftliches Fachwissen und Koordinierung im Bereich der globalen Gesundheit, sie vertritt auch 194 Länder und verfügt damit über eine wesentliche Legitimität.

Obwohl der FIF die bestehenden Investitionen der Geber und der Mitgliedstaaten in die öffentliche Gesundheit ergänzen soll, gibt es bereits Anzeichen dafür, dass seine Finanzierung die Ressourcen bewährter entsprechender Mechanismen wie des Globalen Fonds und der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations kannibalisieren könnte. Wenn der FIF am Ende die Mittel für den Rest des globalen PPR-Rahmens untergräbt, nur um auf dem diesjährigen G20-Gipfel als glänzendes neues Ergebnis präsentiert zu werden, hat es der globalen Gesundheitssicherheit mehr geschadet als genutzt.

Schuldenlast verteilen

Das Ausmaß des Finanzbedarfs – insbesondere in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, die mit einer massiven Schuldenkrise und steigender Inflation konfrontiert sind – übersteigt bei weitem das, was selbst der effektivste FIF leisten kann. Die G20 sollte im Rahmen ihrer Verpflichtungen gegenüber der PPR ihre Anstrengungen verdoppeln, um China und private Gläubiger an einen Tisch zu bringen, damit sie die zunehmende Schuldenlast mithilfe des Gemeinsamen Rahmens neu verhandeln können, oder sie riskiert in den kommenden Monaten und Jahren viele weitere Zahlungsausfälle nach dem Vorbild Sri Lankas und wachsende soziale und politische Unruhen.

Um den Erfolg des FIF und der globalen PPR-Bemühungen im Allgemeinen zu gewährleisten, muss die G20 alle in ihrer Macht stehenden Maßnahmen ergreifen, um Schulden zu erlassen und fiskalischen Spielraum in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu schaffen. Dazu gehören die Ausweitung des Gemeinsamen Rahmens und der Initiative zur Aussetzung des Schuldendienstes sowie die Entwicklung wirksamer Methoden zur Sicherstellung der Beteiligung des Privatsektors; die Abschaffung von Sparauflagen in den Darlehen des Internationalen Währungsfonds, die die Länder dazu ermutigen, die öffentlichen Ausgaben im Gesundheitsbereich zu kürzen; die Erhöhung der Liquidität durch zusätzliche Zuteilungen von Sonderziehungsrechten (den Reserveaktiva des IWF) und die Erkundung kreativerer Finanzierungsmechanismen wie die vom Globalen Fonds verwendeten „debt for health“-Swaps.

Der neue FIF-Vorschlag und die umfassenderen Maßnahmen der G20 und der Weltbank im Bereich der öffentlichen Gesundheit dürfen nicht dazu führen, dass Gesundheit nur für einige – die Reichsten und Privilegiertesten – bereitgestellt wird. Dies ist ein moralisch fragwürdiger und erschreckend ineffektiver Ansatz. Jetzt ist es an der Zeit, zu einem vielversprechenderen „Gesundheit für alle“-Ansatz überzugehen, beginnend mit einem inklusiven FIF und wirtschaftlichen Interventionen, die es Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen besser ermöglichen, die erforderlichen Investitionen in ihre eigenen Gesundheitssysteme zu tätigen.


Übersetzung: Andreas Hubig / © Project Syndicate, 2022