Tour de FranceKolumne von Petz Lahure: Ein Fall für zwei

Tour de France / Kolumne von Petz Lahure: Ein Fall für zwei
Das Duell, auf das alle Augen gerichtet sind: Tadej Pogacar (links) gegen Jonas Vingegaard Foto: Bernard Papon/AFP

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Neben der „sportlichen“ gibt es auch die „touristische“ Tour de France. Die unwahrscheinliche Schönheit Frankreichs, seine historischen Gebäude und fantastischen Landschaften hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Da kann Ihr Kolumnist so oft bei der Tour de France gewesen sein, wie er will, er entdeckt immer wieder etwas Neues.

Ab heute Dienstag und bis zum Donnerstagabend sind die Pyrenäen Schauplatz des Kampfs um das „Maillot jaune“. Eine wunderschöne Gegend, über die es von Lobliedern in offiziellen und weniger amtlichen Publikationen nur so strotzt.

Kein schöner Land

„Seen wie blaue Farbflecken, schäumende Wasserfälle, ein Dreitausender nach dem anderen. Wunderschöne, aus Schiefer gebaute Dörfer, mit romanischen Kirchen und Scheunen aus dicken, behauenen Steinen, reihen sich in den Talgebieten von Ax und Bethmale, von Luchon und Aure, von Louron, Campan und Barèges.“

Ihr Schreiber plant seit Jahren, endlich einmal richtig Ferien in den Pyrenäen zu machen. Denn wer nur mit der Tour durch die Gegend fährt, bekommt von ihrer Schönheit nicht alles mit. Von den Pyrenäen in Erinnerung geblieben ist vor allem die Friseuse, die einem für zehn Euro die Haare schneidet, oder der so wunderbar duftende Käse, dessen unvergleichliche Würze die Geschmacksknospen verdammt lange verwöhnt.

In den Pyrenäen soll in den nächsten Tagen die Entscheidung über den Tour-Sieg 2022 fallen. Auf dem Programm stehen ab heute drei Bergetappen, von der Topografie her eine schwerer als die andere. Doch nicht die Streckenplaner entscheiden über den Verlauf dieser Teilstrecken, sondern es sind und bleiben noch immer die Fahrer, die für den Pfeffer und das Salz in der Tour-Suppe verantwortlich zeichnen. Hinzu kommen die äußeren Bedingungen, die verrückten Temperaturen, das Damoklesschwert Corona und die ständige Gefahr eines Sturzes, sodass bis zur Zieleinfahrt am Sonntagabend und halb acht Uhr auf den Champs-Elysées von Paris noch viel passieren kann.

Je fünf Teamgefährten

Die Ausgangslage ist bekannt. Jonas Vingegaard führt vor der ersten der drei Pyrenäenetappen mit 2‘22“ Vorsprung auf seinen Rivalen Tadej Pogacar. In puncto Mannschaftshelfer herrscht Gleichheit. Sowohl Vingegaard (Jumbo-Visma) als auch Pogacar (UAE Team Emirates) gehen die letzte Tour-Woche mit noch fünf Teamgefährten an.

Jumbo-Visma musste die verletzten Primoz Roglic und Steven Kruijswijk nach Hause schicken. Jonas Vingegaard kann noch auf Tiesj Benoot, Sepp Kuss, Christophe Laporte, Wout Van Aert und Noël van Hooydonck zurückgreifen. An Tadej Pogacars Seite radeln Mikkel Berg, Rafal Majka, Brian McNulty, Marc Soler und Marc Hirschi. Ausgeschieden sind bisher George Bennett und Vegard Stake Laengen.

Im Moment spricht alles für Vingegaard. Er braucht nicht anzugreifen und kann den Dingen, die da auf ihn zukommen, gelassen entgegensehen. Seine Attacke auf der 11. Etappe am Col du Granon setzte Pogacar derart zu, dass dieser fast drei Minuten verlor und das „Maillot jaune“ an seinen großen Rivalen abtreten musste.

An den Hängen des 2.413 m hohen Bergriesen wurde der Beweis erbracht (falls es noch eines Beweises bedurft hätte), dass der Radsport nicht nur eine Einzel-, sondern auch eine Mannschaftssportart ist. Der allein auf sich gestellte Pogacar musste den wiederholten Angriffen des Jumbo-Visma-Teams Tribut zollen. In der Schlusssteigung reichte die Kraft nicht mehr aus, um Vingegaard zu folgen. Der berühmte „Mann mit dem Hammer“ schlug zu. Pogacar ging die Luft aus. Er quälte sich mit weit aufgerissenem gelbem Hemd ins Ziel. Wo er seinen Bezwinger mit einer beispielhaften Geste zum Erfolg beglückwünschte (Bravo!).

„Never dies“

Während die heutige Etappe von Carcassonne über den Port de Lers und die Mur de Péguère eher auf einen „Baroudeur“ à la Bob Jungels oder dergleichen zugeschnitten ist (bitte die richtige „Echappée“ nicht verpassen), kommt es morgen und übermorgen gleich zu zwei Bergankünften, die es in sich haben.

Am Mittwoch endet die Etappe in Peyragudes auf dem Altiport 007, dort also, wo vor 25 Jahren die legendäre Eröffnungsszene des 18. James-Bond-Films „Tomorrow never dies“ mit Pierce Brosnan und Michelle Yeoh in den Hauptrollen gedreht wurde. Es ist zum dritten Mal, dass die Tour in Peyragudes über dem „Lac de Loudenvielle“ Halt macht. Am 19. Juli 2012 siegte dort ein gewisser Alejandro Valverde, fünf Jahre später schrieb Romain Bardet seinen Namen ins Etappenpalmarès ein. Der damalige Sprint des Franzosen auf der äußerst steilen Zielgeraden dürfte noch in bester Erinnerung sein.

Anfang Mai hat Tadej Pogacar die Etappe mit seinem polnischen „Sherpa“ Rafal Majka in Augenschein genommen. Er kennt den Anstieg demnach aus dem Effeff. Allerdings gilt es, auf dem nur 129 km langen Teilstück von Saint-Gaudens über den Col d’Aspin, die Hourquette d’Anzican und den Col de Val Louron-Azet genügend Kräfte bis in die Schlusssteigung aufzusparen.

Wölfe, Bären und Riis

Am Donnerstag erhält die Tour auf der Etappe Lourdes-Hautacam hohen Besuch. Der französische Präsident Emmanuel Macron, dessen Großmutter in Bagnères-de-Bigorre lebte (sie starb 2013), verfolgt an diesem Tag nicht nur die Radrennfahrer, sondern er trifft sich auch mit einer Delegation von Schafzüchtern, die wegen der Präsenz von Wölfen in den Pyrenäen um ihre Herden bangen. Das Problem ist nicht neu, es wird jedes Jahr während der Tour thematisiert und dann scheinbar wieder „ad acta“ gelegt. Ähnlich verhält es sich mit den Bären, deren Bestand in den Pyrenäen auf rund 70 geschätzt wird.

Wenn ich den Namen Hautacam in meinen Computer tippe, kommt mir unweigerlich der Name Bjarne Riis in den Sinn. Wir schreiben das Jahr 1996, es ist die zweite Ankunft in der Skistation nach dem Erfolg des Franzosen Luc Leblanc 1994.

In den Alpen profitiert Bjarne Riis von den scheußlichen Witterungsverhältnissen und gewinnt in Sestriere die wegen Schneefällen am Col du Galibier auf 46 km verkürzte Etappe. Riis schafft es in Gelb in die Pyrenäen, wo er am 16. Juli 1996 auf der Etappe von Agen nach Lourdes-Hautacam den Überheblichen spielt, sich manchmal zurückfallen lässt, seine Gegner erniedrigt und dann (vollgepumpt mit EPO) zum entscheidenden Schlag ausholt. Ganz Steinsel, wo der Däne damals lebt, ist aus dem Häuschen. Obwohl Riis im Jahre 2007 Doping gesteht, bleibt sein Name auf ewig im Tour-Palmarès. So will es das Gesetz der Verjährung (na ja!).

Vorteil Vingegaard

Hautacam ist mit einem weiteren Doping-Fall verbunden. Im Jahre 2008 gewinnt dort der Italiener Leonardo Piepoli. Wegen zweier positiver Kontrollen wird er disqualifiziert und der Spanier Juan José Cobo Acebo zum Sieger erklärt. Sechs Jahre danach (2014) zähmt Piepolis Landsmann Vincenzo Nibali den 13,6 km langen und im Schnitt 7,8 Prozent steilen Anstieg. Danach muss Hautacam acht Jahre auf eine Etappenankunft warten.

Sollten am Donnerstagabend noch Zweifel über den zukünftigen Gesamtsieger bestehen, müssen diese am Samstag beim Einzelzeitfahren zwischen Lacapelle-Marival und Rocamadour aus dem Weg geräumt werden. Die Strecke ist 40,7 km lang und überwiegend flach.

Nimmt man das „Contre-la-montre“ vom Vorjahr von Libourne nach Saint-Emilion (30,8 km) als Gradmesser, dürfte Jonas Vingegaard es schaffen. Der Däne klassierte sich damals als Zweiter hinter Wout Van Aert, wobei er Tadej Pogacar (Platz 8) um 25 Sekunden distanzierte. Auf 40,7 km hochgerechnet würde das einen Abstand um die 33 Sekunden bedeuten.

Vergleicht man allerdings die Zeiten der ersten Etappe 2022 in Kopenhagen, hat Pogacar leichte Vorteile. Er war auf den 13,2 km in den Straßen der dänischen Hauptstadt 8 Sekunden besser als sein Rivale.

„Faites vos jeux …!“