ÖsterreichIn Gasputins Händen – kaum ein EU-Land ist derart abhängig von russischem Gas

Österreich / In Gasputins Händen – kaum ein EU-Land ist derart abhängig von russischem Gas
Österreichs Gasspeicherstation in Haidach: Probleme, wo man hinschaut Foto: ldpa/Barbara Gindl

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Kaum ein europäisches Land hat sich derart in die Abhängigkeit von russischem Gas begeben wie Österreich. Nun rächt sich eine Energiepolitik wider besseres Wissen.

Es sind schwarze Tage für die Grünen nicht nur in Österreich, aber ganz besonders hier. Wie ihr deutscher Minister- und Parteikollege Robert Habeck muss die alpenrepublikanische Energieministerin Leonore Gewessler gerade krass anti-grüne Maßnahmen setzen. Schon vor Wochen hat sie die Reaktivierung des Kohlekraftwerkes im steirischen Mellach angeordnet, das 2020 als letzter österreichischer Stromgenerator dieser Art eingemottet worden war. Am Dienstag gab Gewessler ihren Grünen notgedrungen die nächste Kröte zu schlucken: Industrielle Großverbraucher wurden angewiesen, wenn möglich von Erdgas auf Öl umzusteigen.

Hatten sich die Grünen bislang nicht einmal mit Gas als Brückentechnologie auf dem Weg zur Dekarbonisierung anfreunden können, diktiert die Ukraine-Krise nun fossile Energieträger mit wesentlich schlechterer CO2-Bilanz als Gasersatz.

Versiegt Gasstrom?

Zwar steht Österreich bislang erfolgreich auf der Bremse, wenn in der EU über ein Gasembargo als nächste Sanktionskeule gegen Russland nachgedacht wird, doch die Frage könnte sich bald so gar nicht mehr stellen. Wladimir Putin selbst setzt Gas als Druckmittel ein. Am Wochenende etwa läuteten alle Alarmglocken, weil weniger russisches Gas als geplant in die österreichischen Speicher strömte. Gewessler will zwar das Ziel, bis Oktober die Speicher zu 80 Prozent aufgefüllt zu haben, noch nicht als gefährdet betrachten und Stufe zwei im dreistufigen Gasnotfallplan ausrufen, doch das könnte sich bald ändern. Kommenden Montag beginnt eine routinemäßige Wartung der Pipeline Nord Stream 1. Niemand will sich aber auf darauf verlassen, dass diese nach den zehn geplanten Tagen tatsächlich beendet wird. Nicht nur Österreich, sondern viele Länder stellten sich, so Gewessler am Mittwoch, die Frage: „Geht die Pipeline wieder in Betrieb?“

Kaum ein anderes Land muss eine negative Antwort aber mehr fürchten als Österreich. Denn während Deutschland seit März die Abhängigkeit vom Russengas sukzessive zurückschraubt, macht Österreich dabei kaum Fortschritte. Und das bei einer russischen Gasimportquote von 80 Prozent.

„Landesverrat“

Die fatale Abhängigkeit war gestern auch Thema eines Schlagabtausches im Parlament. Den härtesten Vorwurf erhob Neos-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger, die „der FPÖ und allen, die dieses schäbige Spiel in den letzten Jahren gespielt haben“ vorwarf, „unser Volk und unser Land verraten (zu) haben“. Neben der notorisch russophilen FPÖ waren damit SPÖ und ÖVP gemeint.

Die Genesis der österreichischen Abhängigkeit beginnt in der Nachkriegszeit, wurde unter SPÖ-Kanzlern weiterentwickelt und von ÖVP-Regierungen auf die Spitze getrieben. Letztere agierten wider besseres Wissen: Denn schon im Winter 2005/6 war es im Zuge ukrainisch-russischer Auseinandersetzungen zu plötzlichen Druckabfällen in der Pipeline Richtung Österreich gekommen. Der damalige ÖVP-Kanzler und spätere Lukoil-Aufsichtsrat Wolfgang Schüssel gab zwar mit dem Ruf nach „Diversifizierung“ vor, Lehren gezogen zu haben. Tatsächlich geschah aber das Gegenteil.

Dass der Kreml-Autokrat einmal „Gasputin, der Schreckliche“ werden könnte, kam in österreichischen Krisenszenarien nicht vor. Vielmehr galt das energiepolitische Motto von Rainer Seele, dem kürzlich ausgeschiedenen Chef des teilstaatlichen Energiekonzerns OMV: „Man soll nur auf einer Hochzeit tanzen.“ Und zwar auf der mit Putin. Folglich wurden die bis 2028 laufenden Lieferverträge mit Gazprom vor vier Jahren unter dem damaligen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gleich bis 2040 verlängert.

Auch Öl-Not droht

Die grüne Ministerin Gewessler muss diese Auslieferung an Putin heute ausbaden – und gerade erleben, dass dessen Arm noch weiter reicht. Ein russisches Gericht ordnete am Mittwoch wegen eines angeblichen Verstoßes gegen Umweltauflagen die 30-tägige Sperre eines für den Export von kasachischem Öl bestimmten Terminals am Schwarzen Meer an. Kasachstan hat sich wohl den Zorn Moskaus zugezogen, weil es die wegen des EU-Ölembargos gegen Russland ausgefallenen russischen Lieferungen zu ersetzen angeboten hat. Fast 40 Prozent der österreichischen Ölimporte kamen im Vorjahr aus Kasachstan.

Die nunmehrige Sperre hat nur insofern vorerst keine Folgen, als Österreichs einzige Raffinerie nach einem Unfall ohnehin bis September still steht. Für die Zeit danach wird sich Österreich aber wohl nach neuen Lieferanten umsehen müssen. Denn überall, wo Putin seine Finger im Spiel hat, muss mit dem Schlimmsten gerechnet werden. Das haben inzwischen sogar die zu lange energiepolitisch naiv gewesenen Österreicher begriffen.