FünfbrunnenVon der Erinnerung zum Aufbau – Luxemburgs Gedenken an die Opfer der Shoah unter neuen Voraussetzungen

Fünfbrunnen / Von der Erinnerung zum Aufbau – Luxemburgs Gedenken an die Opfer der Shoah unter neuen Voraussetzungen
Das Wercollier-Monument in Fünfbrunnen Foto: Ben Pfeiffer

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Seit genau 53 Jahren gedenkt Luxemburg am ersten Wochenende im Juli in Fünfbrunnen (Gemeinde Wintger) der Opfer der Shoah, erinnert an mehr als 300 Männer und Frauen, die von 1941 bis 1943 zeitweilig im Kloster lebten und von hier aus deportiert wurden. Dieses Jahr allerdings unter neuen Voraussetzungen.

Der Weg über die „Nordstrooss“ und dann über kleine, verschlungene Straßen bis hin zur „Pafemillen“ mag an einem sonnigen Sonntagmorgen idyllisch erscheinen. Vor allem, wenn die Gedenkfeiern gekoppelt sind an eine ausgedehnte Wandertour durch die Wälder rund um das Kloster. Wie aber mag den Männern und Frauen zumute gewesen sein, die ab 1941 aus ihren Häusern in der Hauptstadt oder anderen Ortschaften gerissen und ins ehemalige Kloster Fünfbrunnen verpflanzt wurden?

„Es liegt ganz abseits, von den nächsten Ortschaften je 2 bis 3 Kilometer entfernt. Am Fuße des Hügels führt die Bahnlinie von Clerf nach Ulflingen, sozusagen als einzige Verbindung mit der Außenwelt. Als Zugang dient ein sehr mittelmäßiger Feldweg, der bei schlechtem Wetter kaum passierbar ist.“ So beschreibt Hugo Heumann in seinem von Germaine Goetzinger veröffentlichen Tagebuch den Weg nach Fünfbrunnen. Er hat über zwei Jahre dort verbracht. Seine Mutter war die Verwalterin des Klosters.

Die Bewohner kamen per Autoomnibus, die Möbel per Möbelwagen. Anfangs konnten sich die Leute, Heumanns Beschreibungen nach, ihre Zimmer noch behaglich einrichten. Als dann jedoch ab November 1941 sämtliche in Luxemburg verbliebenen Juden dorthin gebracht wurden, wurde die Lage schwieriger. Aus dem großen Schlafsaal der ehemaligen Novizen wurden Einzelzimmer von knapp 10 Quadratmeter, in denen nur Platz für die Betten waren. Die Schränke standen im Mittelgang, einige Öfen sorgten für ein wenig Hitze. Später wurden sogar die Aufenthaltsräume im Erdgeschoss zu Schlafzimmern umgebaut.

Im Januar 1942 fand der Chef der Gestapo bei einem Kontrollbesuch im ersten Zimmer auf dem Waschtisch ein Stück fast neue Toilettenseife. Mit der Erklärung „sowohl er als auch die Soldaten an der Front hätten nur noch Kriegsseife, da brauchten die Juden sich nicht mit Toilettenseife zu waschen“ beschlagnahmte er jegliche im Kloster befindliche Seife und verhängte zusätzlich strengen Hausarrest, Rauch- und Leseverbot. „Man muss sich vorstellen, wie das sich bei den alten, kranken Menschen auswirkte“, so Heumann.

Nach den ersten Transporten nach Theresienstadt blieben im Kloster vor allem alte und kranke Menschen, sowie einige jüngeren Frauen und Jugendliche, die sie versorgten und pflegten. Im April 1943 wurden die letzten Bewohner des sogenannten „jüdischen Altersheimes“ von der Laderampe unterhalb des Klosters abtransportiert.

1944 machte das amerikanische Militär aus dem Internierungslager ein Feldlazarett, nach dem Krieg kehrte die Ordensgemeinschaft, die 1941 vertrieben worden war, wieder zurück. 1973 machte sie aus dem vormaligen Noviziat einen Ort des Rückzugs und der Besinnung. Bis Dezember 2021 fanden dort Fastenwanderungen oder Studienaufenthalte statt, manch ein Abiturient hat dort fürs Examen gebüffelt.

Nicht stillgelegt

Am 27. Januar 2021, dem 76. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers von Auschwitz, kaufte der Staat der Herz-Jesu-Gemeinschaft das Kloster Fünfbrunnen mit seinem ganzen Bering für rund 8 Millionen Euro ab, in der festen Absicht, hier eine moderne Erziehungs- und Gedenkstätte zu errichten. Es ist in der Tat der einzige Ort, der in Luxemburg an das Schicksal der Juden im Zweiten Weltkrieg erinnert. Seinen Namen „Pafemillen“ verdankt es übrigens der bescheidenen Sägemühle, die etwa ab der Mitte des 19. Jahrhunderts dort funktionierte. 1889 kauften die Herz-Jesu-Brüder das Gelände, ab 1903 bauten sie dort das Kloster. 1969 entstand das Monument, vor dem unter der Regie des „Comité Auschwitz“ die Gedenkfeier stattfindet.

Im Kloster selbst wird heute der Opfer der Shoah gedacht, hier werden aber auch Kinder und Jugendliche über Verfolgungen und Völkermord aufgeklärt, hier kommen Menschen- und Kinderrechte zur Sprache. Toleranz, Zivilcourage und die Auseinandersetzung mit Vorurteilen und Stereotypen sind weitere Diskussionsthemen. Angesprochen werden Kinder und Jugendliche, aber auch Erzieher und Lehrer, sowie alle Menschen, die bereit sind, die Erinnerung zu pflegen.

Fast 20 Millionen Euro will die Regierung in den nächsten Jahren in die Hand nehmen, um das ehemalige Kloster den genannten Anforderungen gerecht zu machen.

Fünfbrunnen wird jedoch in der Zwischenzeit nicht stillgelegt. Die Renovierung läuft in drei Phasen ab. Bis es zu den notwendigen Umbauarbeiten kommt (der Beherbergungsbetrieb wurde eingestellt, weil die Räumlichkeiten den Sicherheitsvoraussetzungen nicht entsprechen), sind der „Service national de la Jeunesse“ (SNJ) und das „Zentrum fir politesch Bildung“ (ZpB) regelmäßig mit Schülergruppen und pädagogischen Ateliers präsent.

Zusammen mit den Verantwortlichen des Bautenministeriums, dem Denkmalschutz, der Archäologie und dem Umweltschutz bereiten sie aber auch die Renovierung und Neuorientierung vor. Fünfbrunnen soll kein Museum werden, selbst wenn es die Erinnerung an schlimme Zeiten aufrechterhält. Es ist auch keine rein staatliche Anlaufstelle: Alle Vereinigungen, die sich der Wahrung der Erinnerung verschrieben haben, finden dort Platz für ihre Veranstaltungen. Zurzeit laufen die einzelnen Projekte in den bestehenden Räumlichkeiten sowie in dem angegliederten „Chalet“, das 1956 von der Caritas gebaut wurde und das Tagungs- und Schlafräume bietet.

Die in der zweiten Phase geplanten Umbauarbeiten werden die Aktivitäten zwar verringern, aber nicht völlig lahmlegen. Ziel ist es, in einer dritten Phase aus dem ehemaligen Kloster einen modernen, lebendigen und vielfältigen Erinnerungs- und Begegnungsort zu machen.

Um sie auch dem breiten Publikum näherzubringen, sollen in allernächster Zukunft ein Fahrradweg sowie ein Wanderweg durch das Areal entstehen. Ein Tag der Offenen Türen ist indes fürs erste Wochenende im Oktober geplant.