Kopf des TagesAlliierter Krisenlöser – NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist ein Plus für das Bündnis

Kopf des Tages / Alliierter Krisenlöser – NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist ein Plus für das Bündnis
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg Foto: AFP/Javier Sorano

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Jens Stoltenberg ist der Mann, der die NATO zusammenhält. Eigentlich wollte der Norweger seinen Posten als Generalsekretär in diesem Jahr räumen. Aber dann kam der Ukraine-Krieg, und Stoltenberg blieb. Jetzt hat der Mann an der Spitze der NATO in kürzester Zeit im Streit zwischen der Türkei und den nächsten Beitrittskandidaten Finnland und Schweden einen Kompromiss geschafft, der das Bündnis stärkt.

Es war eines jener Frühstücke, die Jens Stoltenberg vor und bei NATO-Gipfeln immer wieder erlebt. An jenem Juli-Tag vor vier Jahren gab es Fruchtsalat, Toast, Orangensaft – und einen schlecht gelaunten Gast. Aber als NATO-Generalsekretär muss man da durch. Der Tisch ist reichlich gedeckt, nur niemand isst davon oder trinkt. Stoltenberg gegenüber sitzt ein Mann, der sich selbst im Kreise der Alliierten benimmt wie ein Elefant im Porzellanladen: Donald Trump. Der US-Präsident zieht über den NATO-Partner Deutschland her, weil die Regierung in Berlin sich weiter weigere, das Zwei-Prozent-Ziel der NATO zu erfüllen. Außerdem mache sich Deutschland wegen seiner Abhängigkeit von russischem Gas zu einer „Geisel“ von Moskau. „Sie sagen mir, das sei angemessen. Ich sage, das ist es nicht. Das ist schlecht für die NATO“, blufft Trump den Generalsekretär der Allianz an.

Solche Situationen muss ein Generalsekretär der NATO aushalten, mehr noch, er muss Dissonanzen unter den Mitgliedern im Bündnis moderieren. Und in einem Klub mit mittlerweile 30 Staaten gibt es viel zu moderieren, erst recht, wenn ein Mann vom Schlage Trumps die Allianz für „veraltet“ hält, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron das Bündnis für „hirntot“ erklärt und der NATO-Partner Türkei ohnehin für permanentes Nörgeln und Fordern bekannt ist. Daran hat sich im Falle der Türkei bis heute wenig geändert. Präsident Recep Tayyip Erdogan hielt zuletzt Stoltenberg wieder in Alarmbereitschaft, weil die Türkei ihre Art von Sperren für den Weg von Schweden und Finnland ins Bündnis aufgebaut hatte. Stoltenberg vermittelte, reiste nach Helsinki und Stockholm, telefonierte mit Erdogan. Nun konnte er mit dem historischen Gipfel von Madrid den Durchbruch verkünden. Die Türkei ist einverstanden, die NATO kann den Beitrittsprozess für Schweden und Finnland starten.

Der Norweger Stoltenberg, seit 2014 erster politischer Mann im Bündnis, wollte eigentlich in diesem Herbst seinen Schreibtisch im Hauptquartier der Allianz in Brüssel räumen. Madrid sollte sein letzter Gipfel werden. Sein Wechsel auf den Posten der norwegischen Zentralbank galt als beschlossen. Doch dann kam der Ukraine-Krieg. Ein Bündnis wechselt in solchen Krisenzeiten nicht sein Spitzenpersonal.

Stoltenberg, 63 Jahre alt, wird für seine ausgleichende und ruhige Art im Bündnis und bei den Partnerstaaten geschätzt. Die hohe Kunst eines Generalsekretärs ist es, Beiträge der NATO-Partner, auch wenn sie klein sind, eben nicht kleinzureden, sondern sie als „starken Beitrag“ für die gemeinsame Sicherheit zu loben. Wenn Deutschland in den vergangenen Jahren also seinen Verteidigungshaushalt gemessen am Bruttoinlandsprodukt nochmals um 0,1 Prozent gesteigert hat: „starker Beitrag“. Seit der Zeitenwende und dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr ist das ohnehin anders. An diesem Mittwoch ist es in Madrid ein bisschen umgekehrt. Stoltenberg steht mit Gastgeber, Spaniens Ministerpräsident Pedro Sanchez, auf einer Bühne und begrüßt die anderen Staats- und Parteichefs einzeln und per Handschlag. Beinahe alle klopfen ihm auf die Schulter: „starker Beitrag“. Lohn eines Generalsekretärs für harte Arbeit. Im Herbst 2023 soll dann wirklich Schluss sein.

w.d.
30. Juni 2022 - 9.22

"Alliierter Krisenlöser" - provozierender Strippenzieher wäre wohl eher angebracht. Wer sich noch an die unsäglichen Ereignisse der Nato Osterweiterung in der jüngsten Vergangenheit erinnern kann, weiß wovon ich rede!