StandpunktWie die G7 verschuldeten Ländern helfen könnten

Standpunkt / Wie die G7 verschuldeten Ländern helfen könnten
Die Gipfelteilnehmer (im Uhrzeigersinn): Bundeskanzler Olaf Scholz (Mitte, vorn), US-Präsident Joe Biden, Boris Johnson, Premierminister von Großbritannien, Fumio Kishida, Premierminister von Japan, Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin, Charles Michel, EU-Ratspräsident, Mario Draghi, Premierminister von Italien, Justin Trudeau, Premierminister von Kanada, und Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, sitzen bei der Arbeitssitzung, während der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj per Videokonferenz zugeschaltet ist Foto: Michael Kappeler/dpa

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In diesem Monat kommen die Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten in Deutschland zusammen, um eine ganze Reihe sich überschneidender globaler Krisen zu erörtern, darunter den Krieg in der Ukraine, Ernährungsunsicherheit, Inflation, den Rückstau in globalen Lieferketten, die Pandemiebekämpfung und den Klimawandel. Diese Herausforderungen haben einen gemeinsamen Nenner: am härtesten betroffen sind nämlich jene Länder niedrigen und mittleren Einkommens, die bereits mit einer eskalierenden Schuldenkrise konfrontiert sind.

Als Covid-19 vor zweieinhalb Jahren auf der Bildfläche erschien, befanden sich bereits 60 Prozent der ärmsten Länder in einer Schulden-Notlage oder waren kurz davor, sich in diese Richtung zu entwickeln. Seitdem hat die Pandemie die Gesamtverschuldung dieser Gruppe von Ländern auf ein 50-Jahres-Hoch ansteigen lassen, sodass mittlerweile mehr als zwei Dutzend Staaten Gefahr laufen, im Jahr 2022 in die Zahlungsunfähigkeit abzurutschen (wobei Sri Lanka im letzten Monat zum ersten Opfer wurde).

Die meisten dieser Länder ringen immer noch darum, sich von der Pandemie zu erholen, und nun bedroht ein Tsunami an negativen Schocks ihre Aussichten weiter. Zusätzlich zu den steigenden Preisen für Grundbedarfsgüter wie Energie, Weizen und Dünger treiben die Zinserhöhungen in den Vereinigten Staaten und anderen großen Volkswirtschaften die Kreditkosten weltweit in die Höhe.

Da viele der einkommensschwächsten Länder noch nicht einmal über ein Kreditrating verfügen, sind sie weiterhin vollständig auf Entwicklungsfinanzierung angewiesen, um Einnahmeausfälle auszugleichen und die Grundversorgung zu decken. Die Weltbank prognostiziert, dass im Jahr 2022 beinahe 100 Millionen Menschen in extreme Armut abrutschen könnten.

Die internationale Fiat-Währung

Die Mitglieder der G7 – Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, das Vereinigte Königreich, die USA und die Europäische Union – sind in einzigartiger Weise positioniert, einkommensschwache Länder bei der Bewältigung der sich verschlechternden makroökonomischen Bedingungen zu unterstützen. Neben China bilden sie weltweit die bedeutsamste Quelle der Entwicklungsfinanzierung. Außerdem zählen sie zu den größten Anteilseignern des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank und sind einflussreiche Akteure in Schlüsselgremien wie dem Pariser Club staatlicher Gläubiger und den G20, wo die meisten der heutigen Vereinbarungen über Schuldenerlass und Umschuldungen getroffen werden.

Trotz der außerordentlichen Macht dieser kleinen, vermögenden Gruppe hat sie die ihr zur Verfügung stehenden Mittel zur Unterstützung ärmerer Länder nicht vollständig genutzt. Das erste Instrument sind die Sonderziehungsrechte (SZR) des Internationalen Währungsfonds, eine internationale Fiat-Währung, deren Ausgabe die G7-Länder vom IWF fordern können, um ärmeren Ländern bei der Bewältigung ihrer steigenden Schulden und der Auswirkungen der Inflation zu helfen.

Wir wissen, dass dieses Instrument funktioniert, denn die SZR-Zuteilung im Ausmaß von 650 Milliarden Dollar im August 2021 hat zahlreichen Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen geholfen, Haushaltskrisen und Zahlungsausfälle zu vermeiden und gleichzeitig wichtige öffentliche Dienstleistungen aufrechtzuerhalten. Jetzt ist eine neuerliche Zuteilung erforderlich, um eine menschliche und wirtschaftliche Katastrophe abzuwenden, da sich die Hungerkrisen und der Inflationsdruck in den kommenden Monaten verschärfen werden. Die G7-Länder sollten überdies die USA dazu drängen, ihre nicht verwendeten SZR-Zuteilungen „wiederzuverwerten“, um bedürftigen Ländern damit unter die Arme zu greifen. Das haben alle anderen G7-Mitglieder durch Zusagen an den Resilience and Sustainability Trust des IWF bereits getan.

Restrukturierung von Staatsschulden

Bei dem zweiten Instrument handelt es sich um den an Bedingungen geknüpften Schuldenerlass. Auf dem Gipfel in diesem Monat sollten die Staats- und Regierungschefs der G7 ihre Amtskollegen in den G20-Ländern drängen, sofort die Entschuldungsinitiative Debt Service and Suspension Initiative bis 2023 zu verlängern. Außerdem gilt es, den ins Stocken geratenen Gemeinsamen Rahmen der G20, den aktuellen „Ansprechpartner“ für die Restrukturierung von Staatsschulden, zu stützen. Hier ist es wichtig, Wege zu finden, um mit China und privaten Gläubigern zusammenzuarbeiten. Gelingt dies nicht, sollte der Mechanismus aufgegeben werden, damit ein besser funktionierender, wirklich multilateraler Rahmen für die Umschuldung entwickelt werden kann.

In jedem Fall sollten die G7 die Idee von Entschuldungsmaßnahmen im Gegenzug für Gesundheits- oder Klimaschutzmaßnahmen prüfen, im Rahmen derer Staatsschulden erlassen werden, wenn das Land sich dafür verpflichtet, die frei werdenden Mittel für Investitionen in Gesundheitssysteme, saubere Energie und so weiter einzusetzen. Der Globale Fonds hat diesen Mechanismus (in kleinerem Umfang) bereits genutzt, um Finanzmittel für den Kampf gegen HIV, Tuberkulose und Malaria zu mobilisieren. Nun sollte dieser Ansatz zur Stärkung der Gesundheitssysteme sowie der Vorsorge- und Reaktionsmaßnahmen im Fall einer Pandemie (PPR) auf breiterer Basis verfolgt werden.

In Anbetracht der Tatsache, dass die jährliche Finanzierungslücke im Bereich Vorsorge und Reaktion im Pandemiefall auf etwa 10,5 Milliarden Dollar geschätzt wird und der Finanzvermittlungsfonds für PPR bisher weniger als 1 Milliarde Dollar aufgebracht hat, müssen wir eindeutig wirksamere Wege finden, um Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen bei der Finanzierung ihrer Investitionen in ihre Gesundheitssysteme zu unterstützen. Ein gezielter Schuldenerlass ist ein wichtiger erster Schritt.

Kreditvergabe durch den IWF

Das dritte Instrument ist die Kreditvergabe durch den IWF – allerdings nur, wenn diese reformiert werden kann. Seit Beginn der Pandemie hat der IWF mehr als 150 Länderkredite vergeben, angeblich um Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen dabei zu helfen, fiskalischen Spielraum zu schaffen, mit dem sie eine Krise im Bereich der öffentlichen Gesundheit und der Wirtschaft bewältigen können. Allerdings enthalten die meisten dieser Verträge kontraproduktive Bestimmungen, in denen von den Empfängerstaaten verlangt wird, ihre öffentlichen Lohnkosten zu senken oder ihre Schuldenquote zu senken. Sogar die eigene Forschungsabteilung des IWF hat festgestellt, dass derartige Bedingungen die staatlichen Möglichkeiten tendenziell einschränken, lebensnotwendige Leistungen gefährden und mittel- bis langfristig die Ungleichheit verstärken.

Die Staats- und Regierungschefs der G7 sollten ihren erheblichen Einfluss auf den IWF nutzen, um auf ein neues Funktionsmodell zu drängen, damit das Geld, das der IWF zur Unterstützung öffentlicher Investitionen in grundlegende staatliche Leistungen vergibt, nicht die Möglichkeiten dieser Länder untergräbt, diese Leistungen anzubieten.

Wenn die G7 erreichen wollen, dass Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen mehr in „Gesundheit für alle“, Dekarbonisierung und die anderen UN-Ziele nachhaltiger Entwicklung investieren, müssen sie alles in ihrer Macht Stehende tun, um die richtigen äußeren Bedingungen zu schaffen. Mit ihrer Unterstützung einer neuerlichen SZR-Zuteilung, dem Angebot eines bedingten Schuldenerlasses und einem Ende der Fixierung des IWF auf Austerität können die G7-Führungen beitragen, den ärmeren Ländern eine reelle Chance zu verschaffen.

* Mariana Mazzucato ist Gründungsdirektorin des UCL Institute for Innovation and Public Purpose und Vorsitzende des Rates der Weltgesundheitsorganisation für die Ökonomie der Gesundheit für alle. Alan Donnelly ist ehemaliger Abgeordneter des Europäischen Parlaments sowie Gründer und Vorsitzender der Gesundheits- und Entwicklungspartnerschaft der G20.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier.

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