Ukraine-KriegAuch Industriestadt Sjewjerodonezk ist gefallen – russische Truppen besetzen immer mehr Gelände im Donbass

Ukraine-Krieg / Auch Industriestadt Sjewjerodonezk ist gefallen – russische Truppen besetzen immer mehr Gelände im Donbass
Kriegsszene in Charkiw: Russland intensivierte seine Angriffe auf die Ukraine am Wochenende des G7-Gipfels Foto: AFP/Sergej Bobok

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In der Industriestadt Sjewjerodonezk erleidet die Ukraine eine weitere Niederlage. Auch Kiew gerät wieder unter russischen Beschuss. Putin will Belarus mit atomwaffenfähigen Iskander-Raketen ausstatten.

„Winke mal, Kleiner“, sagt der nette russische Soldat. Die Mutter gehorcht, nimmt die Hand des Kleinkindes und winkt der Kamera zu. Eben gerade hat sie einen russischen Militärlaster bestiegen. Nach ihr folgt ein junger Mann mit Hund, beide werden von russischen Soldaten auf die Ladefläche gezogen. Dies und andere Propagandavideos sind auf dem Onlineportal der russischen Zeitung Iswestja zu sehen. Sie stammen aus der ukrainischen Industriestadt Sjewjerodonezk. Dort haben sich vor Monaten mindestens 100 Familien vor den Kämpfen im Donbass in die Bunker eines Düngemittelwerkes geflüchtet. Nun werden sie von den russischen Eroberern der 100.000-Einwohner-Stadt evakuiert.

Im Gegensatz zu den Evakuationsaufnahmen von Zivilisten aus dem „Asostal“-Werk von Mariupol vor Monatsfrist ist auf diesen Aufnahmen kein Kampflärm mehr zu hören. Denn Sjewjerodonezk wurde bis Samstagmittag von allen ukrainischen Soldaten verlassen. Die Verteidigung der Stadt habe keinen Sinn mehr, hieß es dazu bereits am Freitag in Kiew. So sind die rund 15.000 verbliebenen Zivilisten nun schutzlos den russischen Besetzern ausgeliefert. Die begannen am Wochenende mit dem Aufbau einer Zivilverwaltung in der eroberten Stadt.

Sjewjerodonezk ist nun besetzt – die Stadt ist zu 90 Prozent zerstört, was das Überleben extrem schwer macht

Serhiy Haidai, der Gouverneur der noch unter Kiewer Verwaltung verbliebenen Gebiete der Oblast Luhansk,

„Sjewjerodonezk ist nun besetzt – die Stadt ist zu 90 Prozent zerstört, was das Überleben extrem schwer macht; die Russen werden hier keine funktionierende Kommunikation aufbauen können“, ließ am Samstag Serhiy Haidai verlauten, der Gouverneur der letzten noch unter Kiewer Verwaltung verbliebenen Gebiete der Oblast Luhansk, in dessen Süden bereits im Sommer 2014 von pro-russischen Separatisten die „Volksrepublik Luhansk“ ausgerufen worden war.

Auch im Kiewer Verteidigungsministerium wurde die De-facto-Niederlage just am Tag nach dem moralischen Sieg in Brüssel durch den EU-Kandidatenstatus schöngeredet. Die Armee ziehe sich auf leichter zu verteidigende Positionen in der rund fünf Kilometer westlich gelegenen Nachbarstadt Lyssytschansk zurück, hieß es. Von dort könne auch leichter eine Gegenoffensive gestartet werden. Am Sonntag jedoch wurden russische Einheiten bereits in den südlichen Außenbezirken von Lyssytschansk gesichtet. Sie besetzten dort zwei strategisch wichtige Industriegelände. Damit droht auch diese letzte verbliebene Großstadt in der Oblast Luhansk in die Hände des Feindes zu fallen. Am Sonntag war Lyssytschansk von drei Seiten umzingelt. Alle Klagen der ukrainischen Verteidiger, man bräuchte dringend mehr westliche, schwere Waffensysteme in der Region, fruchteten nichts. Die Waffen werden zwar via Westukraine und Kiew geliefert, kommen allerdings zu langsam an den südostukrainischen Frontlinien an. Viele Bahnlinien und vor allem Brücken wurden zerstört, teils während der Kämpfe der letzten vier Monate, teils gezielt aus der Luft von Russland, teils auch aus taktischen Gründen von der ukrainischen Armee.

Nach dem Rückzug aus dem Kiewer Umland hatten sich die russischen Invasoren ab April auf den Donbass, das angebliche Ziel der Invasion vom 24. Februar, konzentriert. Sjewjerodonezk wurde dabei zum Hauptziel der russischen Armee. Nach einer schnellen Teileroberung von rund 80 Prozent der Stadt gelang der ukrainischen Nationalgarde Anfang Juni die Rückeroberung weiter Teile der ukrainischen Industriestadt, die vor allem wegen ihrer Chemiewerke bekannt ist. Letztmals hatten hier im Sommer 2014 Kämpfe getobt, als die pro-russischen Separatisten gegen Norden vorgestoßen waren. Nun droht der überlebenden Lokalbevölkerung eine Zwangsevakuierung in die südlich gelegene „Volksrepublik Luhansk“ und auch nach Russland.

Mit dem Fall von Sjewjerodonezk zieht sich auch die Schlinge um die letzten von der Ukraine gehaltenen Städte im Nord-Donbass zusammen. Lyssytschansk ist bereits fast vollständig umzingelt. In Slowiansk soll am Sonntag der russische Vormarsch von Norden her erfolgreich gestoppt worden sein. Bei Bachmut (früher: Artemiwsk) unweit der alten Minsker Waffenstillstandslinie hingegen soll die russische Armee Geländegewinne gemacht haben und bis auf neun Kilometer an die Stadt herangerückt sein.

Neuer Unbill droht aus Belarus

Neuer Unbill droht der Ukraine auch vonseiten Belarus’. Der autoritär regierende Staatspräsident Alexander Lukaschenko ließ bereits in der Vorwoche neue Manöver im Gebiet Gomel an der Grenze zur Ukraine abhalten, die bis 1. Juli dauern sollen. Damit werden ukrainische Truppe in der Nordukraine an der fast 1.000 Kilometer langen Grenze zu Belarus gebunden. Nach einem Treffen von Lukaschenko und dem russischen Präsidenten Putin in St. Petersburg am Samstag nahmen in der Nacht zum Sonntag auch die russischen Luftangriffe von belarussischem Gebiet aus auf Kiew, Schytomyr und Riwne zu.

Bei den Luftangriffen auf ein Stadtviertel im Nordwesten von Kiew, in dem auch eine zuvor bereits zweimal von Russland angegriffene Rüstungsfabrik liegt, wurden die obersten drei Etagen eines zehnstöckigen Hauses komplett zerstört. Mehrere Feuer brachen AFP-Reportern zufolge aus. Vier Menschen mussten nach Angaben von Bürgermeister Vitali Klitschko ins Krankenhaus gebracht werden, darunter ein sieben Jahre altes Mädchen. Am Sonntag kündigte Putin dazu an, bald atomwaffenfähige Iskander-Raketen ins belarussisch-ukrainische Grenzgebiet zu liefern, um den kleinen „Bruderstaat“ im Westen vor angeblich zu erwartenden ukrainischen Angriffen zu schützen. 

rczmavicrom
27. Juni 2022 - 14.07

Das geht aber gar nicht! Die Ukraine soll doch den Krieg gewinnen.Wann schlägt die NATO denn endlich zurück?