KolumbienEin Ex-Guerillakämpfer erobert den Präsidentenpalast – und dies ganz friedlich

Kolumbien / Ein Ex-Guerillakämpfer erobert den Präsidentenpalast – und dies ganz friedlich
Der neu gewählte kolumbianische Präsident Gustavo Petro feiert seinen Wahlsieg Foto: AFP/Daniel Munoz

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Kolumbiens angehender Präsident Gustavo Petro verspricht „eine Politik der Liebe, des Verständnisses und des Dialogs“. Erstmals übernimmt ein Linker in dem südamerikanischen Land die Staatsspitze.

Ein früherer Guerillakämpfer hat den Präsidentenpalast erobert – und dies ganz friedlich. In Kolumbien beginne nun „eine Politik der Liebe, des Verständnisses und des Dialogs“, verkündete Gustavo Petro am Sonntag in blumiger Rhetorik nach seinem Triumph bei der Stichwahl. Sein Sieg stellt in jedem Fall eine historische Zäsur dar: Erstmals rückt ein Vertreter der Linken in dem südamerikanischen Land an die Staatsspitze.

Petro setzte sich mit 50,4 Prozent gegen den politisch nicht klar zu verortenden Unternehmer Rodolfo Hernández durch. Dass die Vertreter der traditionell das Land beherrschenden konservativen und liberalen Eliten es nicht in die Endrunde geschafft hatten, spiegelt die tiefsitzende Frustration in der Wählerschaft über die politischen und sozialen Verhältnisse.

Aus Protest gegen Duqué

Ein Großteil von Petros Anhängern rekrutiert sich aus der Protestbewegung, die vergangenes Jahr angesichts der durch die Corona-Pandemie verschärften Nöte großer Bevölkerungsteile gegen den konservativen Staatschef Iván Duque auf die Straße gegangen war. Bei den Unruhen wurden nach UN-Angaben mindestens 46 Menschen getötet. In seiner Siegesrede stellte Petro nun eine Überwindung der tiefen Spaltungen in Aussicht: „Hass“ und „Sektierertum“ müssten zurückgelassen werden.

Den versprochenen Aufbruch in eine neue Ära personifiziert auch Petros künftige Stellvertreterin Francia Márquez: Die gewählte Vizepräsidentin ist eine Umweltaktivistin sowie die erste schwarze Frau in diesem Amt. Petro verspricht einen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Reformkurs. Dazu gehören Steuern für Vermögende, ein Notprogramm gegen den Hunger, die Reduktion der Ölförderung und der Übergang hin zu erneuerbaren Energien.

Petro-Wähler feiern in Cali: Ein Großteil seiner Anhänger rekrutiert sich aus einer Protestbewegung
Petro-Wähler feiern in Cali: Ein Großteil seiner Anhänger rekrutiert sich aus einer Protestbewegung Foto: AFP/Paola Mafla

Petro ist keine charismatische Figur, aber ein guter Redner – und ein Mann mit bewegter Biografie. Der studierte Ökonom wuchs in einer Mittelschichtfamilie auf und besuchte eine von katholischen Priestern geleitete Schule. Geprägt wurde er durch die Theologie der Befreiung, die sich für arme und ausgegrenzte Bevölkerungsschichten einsetzt.

Schon als Teenager schloss sich Petro der Stadtguerilla M-19 an. Er trug damals das Pseudonym „Comandante Aureliano“ – nach einer Figur aus dem Roman „Hundert Jahre Einsamkeit“ des von ihm bewunderten Autors Gabriel García Márquez.

Die bereits Anfang der 1990er Jahre aufgelöste M-19 ist vor allem durch ihre Besetzung des Justizpalastes in der Hauptstadt Bogotá im Gedächtnis geblieben. Die Rebellen nahmen 1985 in dem Gebäude hunderte Geiseln, darunter die obersten Richter. Bei der Erstürmung des Gebäudes durch die Sicherheitskräfte wurden mehr als hundert Menschen getötet.

Einst Diplomat in Belgien

Petro war im Justizpalast nicht dabei, er befand sich zu diesem Zeitpunkt im Gefängnis. Rund anderthalb Jahre saß er ein und wurde gefoltert. Nach seiner Entlassung und Abkehr vom bewaffneten Aufstand wurde er unter anderem Abgeordneter, Diplomat in Belgien, Bürgermeister von Bogotá und Senator – der Triumph bei der Präsidentenwahl gelang dem 62-Jährigen nun im dritten Versuch.

Petro legte im Wahlkampf viel Wert darauf, sich als moderate Kraft zu präsentieren – in Abgrenzung nicht zuletzt zur einstigen Guerillaorganisation Farc, die einen jahrzehntelangen Bürgerkrieg gegen die Armee führte und sich erst vor sechs Jahren auflöste. So versprach er unter anderem, das Privateigentum zu respektieren.

Einflussreiche Vertreter der Wirtschaft und Streitkräfte stellen Petro gleichwohl als Bedrohung für Sicherheit und Stabilität dar. Aus seiner Zeit als Bürgermeister von Bogotá hängt dem sechsfachen Vater zudem der Ruf nach, zu autoritärem Gebaren zu neigen.

In jedem Fall ist Petros selbsterklärtes Ziel eines vereinten Kolumbien in dem von tiefreichenden politischen und sozialen Verwerfungen sowie fortbestehender Gewalt durch bewaffnete Gruppierungen und Drogenbanden geprägten Land eine Herkulesaufgabe.

Auch wird sich der einstige „Comandante Aureliano“ weiterhin sehr vorsichtig bewegen müssen. Seit Jahrzehnten lebt er mit Morddrohungen, die ihn einst auch zum Umzug nach Belgien veranlassten. Im Wahlkampf trug er eine kugelsichere Weste und war von Leibwächtern umringt – schwierige Startbedingungen für eine „Politik der Liebe“. (AFP)