DeutschlandDer Überlebenskampf der Linken

Deutschland / Der Überlebenskampf der Linken
Nach dem Abgang ihrer Co-Vorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow führt Janine Wissler Die Linke alleine Foto: Wolfgang Kumm/dpa

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Endspiel: Die Linke kämpft um ihre Existenz. Beim Bundesparteitag in einer Woche in Erfurt wählt die chronisch zerstrittene Partei eine neue Führung und will alten Streit hinter sich lassen.

Diese Woche ist Geburtstag. Vielleicht hilft eine kleine Feier in Erinnerung an bessere Tage für mehr Geschlossenheit. Vor 15 Jahren lagen sich Mitglieder der ostdeutschen PDS und der westdeutschen WASG am 16. Juni 2007 in der Westfalenhalle in Dortmund jubelnd, klatschend, lachend und auf eine große gemeinsame Zukunft hoffend in den Armen. Lothar Bisky, Gregor Gysi, Klaus Ernst und Oskar Lafontaine hatten federführend aus zwei Parteien eine gemacht und die gesamtdeutsche Partei Die Linke gegründet. Doch Zeiten ändern sich. Manchmal radikal.

Denn für die Linke wird es hart. Es wird eng. Und vielleicht auch ganz bitter. Die Partei steckt in einem fundamentalen politischen Überlebenskampf. Ausgang offen, auch wenn Janine Wissler, die derzeit die Partei alleine führt, immer wieder gerne auf das Potenzial hinweist. Nach einer Umfrage im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung könnten sich 18 Prozent der Wahlberechtigten vorstellen, die Linke zu wählen. Wohl gemerkt: könnten. Sie tun es nur nicht. Im Karl-Liebknecht verweist man trotzdem gerne darauf, dass die Linke aktuell noch an vier Landesregierungen (Thüringen, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Bremen) beteiligt ist. Doch Wahlniederlage reiht sich an Wahlniederlage: erst im Bund, dann im Saarland, ihrer einstigen Hochburg im Westen, dann in Schleswig-Holstein, dann in Nordrhein-Westfalen. Im Bund retteten nur drei direkt gewonnene Mandaten der Genossen Gregor Gysi (Berlin) und Sören Pellmann (Leipzig) sowie der Genossin Gesine Lötzsch (Berlin) der Linken den Fraktionsstatus im Bundestag. Zuletzt erschütterte ein Skandal um sexuelle Übergriffe in mehreren Landesverbänden die Partei.

Nun will die Linke beim Bundesparteitag Ende kommender Woche in Erfurt einen Aufbruch schaffen. Es geht für sie längst um alles oder nichts. Nach vielen Jahren eines zermürbenden und quälenden Streites auch zwischen Partei- und Fraktionsführung wird für diese innerparteiliche Friedensmission eine neue Parteiführung gesucht. Co-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow war im April nach nur 14 Monaten an der Spitze völlig überraschend vom höchsten Parteiamt zurückgetreten und hatte damit selbst ihre Mitstreiterin an der Parteispitze, Janine Wissler, kalt erwischt. Hennig-Wellsow und Wissler waren erst im Februar 2021 als erste weibliche Doppelspitze der Linken mit dem Ziel angetreten, die Partei wieder wirklich zusammenzuführen. Doch Hennig-Wellsow warf entnervt hin. Mission gescheitert.

Viele „Ich-AGs“

Seither führt Wissler als Vorsitzende die Partei alleine. Wissler, die wieder antritt, muss in Erfurt wohl durch eine Kampfkandidatur. Die 34 Jahre alte niedersächsische Bundestagsabgeordnete Heidi Reichinnek fordert die Vorsitzende heraus. „Wenn wir die Krise unserer Partei überwinden wollen, muss sich die viel beschworene Erneuerung auch im Parteivorstand widerspiegeln“, hatte Reichinnek ihre Kandidatur begründet. Zudem bewerben sich der Europaabgeordnete Martin Schirdewan wie auch der Leipziger Bundestagsabgeordnete Pellmann um einen der beiden Vorsitzenden-Stühle bei der Linken.

Pellmann hatte sich mit der einstigen Fraktionschefin Sahra Wagenknecht und fünf weiteren Mitstreitern in einer gemeinsamen Erklärung gegen die Linie der eigenen Partei- und Fraktionsspitze gestellt und den USA eine Mitverantwortung am russischen Angriffskrieg auf die Ukraine gegeben. Die einstige Linken-Galionsfigur Gregor Gysi äußerte sich darüber „entsetzt“. Die neue Parteiführung soll nun versuchen, die vielen „Ich-AGs“, wie manche prominente Selbstdarsteller in der Partei genannt werden, künftig besser einzubinden, sie mindestens jedoch zur Disziplin zu verdonnern.

Wissler selbst ist gerade zur Erkundung des Seelenzustandes ihrer Partei auf einer Tour durch den Osten. Dort will sie kommende Woche in Mecklenburg-Vorpommern auch bei der Initiative „Faire Feldarbeit“ vorbeischauen. Für den Fall ihrer Wiederwahl muss Wissler ein Feld mit besonders tiefen Furchen beackern: ihre eigene Partei.

Kennerfontaine
17. Juni 2022 - 21.05

Links oder AfD. Ich würde anderwo investieren.