AnalyseGesunde Staatsfinanzen werden immer mehr zur Herausforderung

Analyse / Gesunde Staatsfinanzen werden immer mehr zur Herausforderung
Eine ganze Reihe Faktoren sorgen für steigenden Druck auf Luxemburgs Staatsfinanzen Foto: Editpress/Julien Garroy

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In weniger als einem halben Jahr haben sich die Prognosen für die Staatsfinanzen merklich verschlechtert. Das hat mit den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine zu tun, aber nicht nur. Auch die steigenden Zinssätze, die langsamer drehende Wirtschaft und die Aussichten im Bereich der Sozialversicherungen drücken die Stimmung.

Ende März hatte die Luxemburger Regierung verkündet, dass sie die Staatsschulden gesenkt und eine Anleihe von einer Milliarde Euro zurückbezahlt hat. Das sei möglich gewesen, ohne dafür einen weiteren Kredit aufnehmen zu müssen, so das Finanzministerium damals. Mit der Rückzahlung spare der Staat nun jährlich Zinszahlungen in Höhe von 22,5 Millionen Euro.

Keine zwei Monate später verkündet die Regierung dann, dass sie sich nun mittels einer neuen Anleihe insgesamt 2,5 frische Milliarden Euro am Markt geliehen hat. Wegen der Verschlechterung der makroökonomischen Lage und der im Tripartite-Abkommen vorgesehenen Maßnahmen wolle man das „Liquiditätspolster“ erweitern, so die „Trésorerie de l’Etat“ in der betreffenden Pressemitteilung.

Die neue Anleihe besteht aus zwei Tranchen. Die erste hat ein Volumen von 1,25 Milliarden Euro, eine Laufzeit von sieben Jahren und einen Zinssatz von 1,375 Prozent. Die zweite hat ebenfalls ein Volumen von 1,25 Milliarden, aber eine Laufzeit von 20 Jahren und wird mit 1,75 Prozent verzinst.

Die Zeit der Negativzinsen ist vorbei

Diese Zahlen zeigen, dass die Zeit, in der kreditwürdige Regierungen von Anlegern mit Negativzinsen für geliehenes Geld bezahlt werden, wieder vorbei ist. Das erste Mal, als Luxemburg für die Aufnahme neuer Schulden bezahlt wurde, war im November 2019.

Hintergrund der Trendwende dürfte die Aussicht auf ein nahendes Ende der Niedrigzinspolitik der Zentralbanken sein. Europaweit, so zeigen neue Zahlen von Eurostat, müssen alle Länder seit Februar 2022 wieder Zinsen auf neu getätigten Schulden zahlen.

Die Zeit der niedrigen Zinsen haben die Mitgliedsstaaten indes kaum genutzt, um ihren Schuldenstand zu senken. Selbst letztes Jahr, als die Wirtschaft in Europa (und in Luxemburg) gebrummt hat wie seit vielen Jahren nicht mehr, war das Volumen der Staatsschulden nicht rückläufig, sondern ist um 675 Milliarden Euro gestiegen. Nur vier Länder haben von der guten Konjunktur profitiert, um Schulden zurückzuzahlen. Luxemburg gehört nicht dazu.

Schulden kosten wieder Geld

Für die Luxemburger „Trésorerie de l’Etat“, das Schatzamt, waren die negativen Zinsen eine willkommene Entwicklung. Obwohl die Anzahl der geliehenen Milliarden seit der Finanzkrise von 2008 fast stetig gestiegen war, waren die Zinszahlungen während einiger Jahre rückläufig. Zahlte das Land 2013 noch insgesamt 245 Millionen Euro an Zinsen auf den Schulden, so waren es 2020 nur noch 149 Millionen Euro.

Diese Lage wird sich nun aber wieder ändern. So schreibt das Finanzministerium in dem Ende April vorgestellten „Programme de stabilité et de croissance“ (PSC), dass die Zinszahlungen Luxemburgs von 111 Millionen Euro im Jahr 2022 auf 229 Millionen Euro im Jahr 2026 ansteigen werden. Hintergrund sind jedoch nicht nur die höheren Zinssätze, sondern auch eine höhere Summe an geliehenen Milliarden.

Keine weiteren Neuschulden in diesem Jahr?

Mit der neuen Anleihe wird sich die Gesamtsumme der Luxemburger Staatsschulden nun auf 19,5 Milliarden Euro (oder 25,2 Prozent des BIP) belaufen, berichtete das Ministerium in der Meldung weiter. Damit liege man weiter unter der Verschuldungsschwelle von 30 Prozent des BIP, die sich die Regierung zum Ziel gesetzt hat. Zusätzliche Schulden dürfte die Regierung – ihrem eigenen Plan von Ende April zufolge – in diesem Jahr nun jedoch nicht mehr machen: 19,6 Milliarden sind bis Ende 2022 vorgesehen. 

Ob der Plan von Ende April aber eingehalten wird, darf zumindest bezweifelt werden. So ist beispielsweise in den Zahlen des PSC, wie auch in dem umstrittenen Tripartite-Abkommen, nur die Verschiebung einer einzigen Indextranche um ein Jahr vorgesehen. Wie das Tageblatt jedoch bereits Anfang April vorhergesagt hatte, hat Statec mittlerweile höhere Inflationsprognosen vorgelegt. Es dürfte also zumindest eine Tranche mehr fallen als geplant. Wenn die nun zu den gleichen Bedingungen verschoben werden soll, wird dies den Staat zusätzliche, nicht eingeplante, 750 Millionen Euro pro Jahr kosten.

Anders als ursprünglich geplant

Dabei war die aktuelle Regierungskoalition im Jahr 2013 unter anderem mit dem Versprechen angetreten, die Staatsfinanzen wieder ins Lot zu bringen. In den Jahren zuvor hatte vor allem der Zentralstaat einige Jahre lang deutlich mehr Geld ausgegeben als eingenommen (siehe blaue Balken in der Grafik). In der Folge hatte sich der Staat damals Geld leihen müssen, und die Schulden stiegen.

In den ersten Jahren der neuen Regierungskoalition war dann alles nach Plan gelaufen. Finanzminister Pierre Gramegna stieß zu Beginn seiner Amtszeit Sparmaßnahmen („Zukunftspak“) an, um den Haushalt wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Es gelang ihm, das Defizit beim Zentralstaat zu verringern. Die wegfallenden Einnahmen aus dem E-Commerce ersetzte er durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte. In den Jahren 2018 und 2019 erwirtschaftete der Zentralstaat schlussendlich ein Plus.

Ein teurer Stillstand

Dann schlug 2020 die Corona-Krise zu. Mit milliardenschweren Hilfszahlungen half der Staat der Wirtschaft mit Erfolg, die Zeit des Stillstands zu überstehen. Jedoch erwirtschaftete er so auch das höchste Defizit seit Jahrzehnten. Im darauffolgenden Jahr besserte sich die Lage, mit einem rekordträchtigen Wirtschaftswachstum von 6,9 Prozent, wieder deutlich. Alles schien wieder aufwärts zu gehen. Im Oktober 2021 wurde geplant, dass der Luxemburger Gesamtstaat (Zentralstaat, Gemeinden und Sozialversicherungen) 2024 wieder einen Überschuss erwirtschaften soll.

Doch 2022 sollte es anders kommen als wenige Monate zuvor geplant. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine und seine Folgen sorgten für eine Verschärfung der Schwierigkeiten in den globalen Lieferketten und drückten die bereits hohen Preise noch weiter nach oben. Die erwartete Wachstumsrate für 2022 hat Statec mittlerweile deutlich, auf 1,4 Prozent, gesenkt. In den Jahren zwischen 2023 und 2026 wird mit zwischen 2,6 und 2,9 Prozent Wachstum gerechnet.

Um der Allgemeinheit der Unternehmen das Fallen mehrerer Indextranchen innerhalb von zwölf Monaten zu ersparen, entschied die Regierung sich für das bereits erwähnte Tripartite-Abkommen. Erwirtschaftet werden soll 2022 nun das zweithöchste Defizit der vergangenen Jahrzehnte. Auch in den Jahren 2023, 2024 und 2025 soll das Minus beim Zentralstaat deutlich höher bleiben als es zu Zeiten der Finanzkrise je war. Einen Überschuss soll der Gesamtstaat nun erst 2026 wieder verbuchen können. Bis 2026 soll auch das Volumen der Luxemburger Staatsschuld jedes Jahr weiter steigen.

Trendwende bei den Sozialversicherungen

Für die Regierenden dürften es schwierige Jahre werden. Die Verbesserung auf Ebene des Gesamtstaates verdecke gegenläufige Trends auf der Ebene der Einzelbereiche, ist, vorrausschauend, im PSC von April 2022 zu lesen. Das Finanzministerium warnt, dass der Zentralstaat zwar wieder auf eine ausgeglichenere Situation zusteuert, der Überschuss im Bereich der Sozialversicherungen jedoch sehr deutlich abnimmt: ein Rückgang von 900 Millionen Euro (2022) auf nur noch 242 Millionen Euro (2026).

Hintergrund der Verschlechterung ist eine Beschleunigung der Renteneintritte, gekoppelt an eine Verlangsamung des Wachstums der Zahl der Beschäftigten, so das Ministerium. So würde die Zahl der Rentner im Durchschnitt um 3,9 Prozent steigen, während die Beschäftigung nur um 2,2 Prozent zunehmen würde. Die Rentenausgaben würden folglich schneller steigen als die Sozialbeiträge.

Diese wirtschaftlich unerfreulichen Zahlen entsprechen auch den Erwartungen, wie sie die „Inspection générale de la sécurité sociale“ (IGSS) Ende April in ihrem „bilan technique“ vorgestellt hat. Den Prognosen der IGSS zufolge würden die monatlich bezahlten Rentenbeiträge bereits ab 2027 nicht mehr ausreichen, um die Auszahlung der Renten zu finanzieren. Es müsste dann damit begonnen werden, die in den letzten Jahren aufgebaute Rentenreserve anzuzapfen. Bei gleichbleibender Politik wäre die derzeit gut gefüllte Reserve dann jedoch schnell, bis 2047, komplett aufgebraucht.

Ähnliche Prognosen hat auch die Luxemburger Zentralbank vor kurzem vorgestellt. „Unseren Berechnungen zufolge würde das allgemeine Rentensystem bis 2024 in der Gewinnzone bleiben, d.h. die Einnahmen würden die Ausgaben übersteigen. Die Reserve wird aus diesem Überschuss sowie aus den Zinsen, die die Reserve erwirtschaftet, gespeist. Ab 2024 würde das System defizitär werden.“ Mit kleinen Einschnitten wäre es noch möglich, das Defizit zwischen 2024 und 2033 mithilfe der aus der Reserve erwirtschafteten Zinsen auszugleichen, so die BCL. Ab 2034 würde das Defizit jedoch die Zinseinnahmen übersteigen und die Reserve würde dann zu schrumpfen beginnen. Bei unveränderter Politik würde die Reserve bis 2048 auf null sinken.

Für steigenden Druck auf die Staatsfinanzen wird derweil nicht nur das Rentensystem sorgen. Auch andere Unsicherheiten bleiben. Hervorgehoben werden im PSC von 2022 beispielsweise die kommenden Reformen bei den globalen Steuervorschriften für international tätige Unternehmen. Luxemburg drohe Steuereinnahmen zu verlieren, hat diesbezüglich unter anderem auch bereits der Internationale Währungsfonds (IWF) in einem Arbeitspapier gewarnt. Auch der Kampf gegen den Klimawandel sowie alle nicht eingeplanten Krisen werden finanziert werden müssen.

Der Luxemburger Rechnungshof, die „Cour des comptes“, hatte die Regierung bereits Ende 2020 zu mehr Nachhaltigkeit bei den öffentlichen Finanzen aufgefordert. Die Behörde wies die Regierenden damals darauf hin, dass Covid nicht die einzige Herausforderung sei, vor der das Land stehe. Doch sehe es danach aus, als würde Luxemburg – um die Auswirkungen jeglicher Krisen zu bewältigen – immer wieder auf neue, zusätzliche Schulden zurückgreifen.

Dabei sind Krisen teuer. Wurde beispielsweise Ende 2019 erwartet, dass das Land Ende 2023 eine Verschuldung von insgesamt 13,3 Milliarden Euro haben würde, so lag die Prognose für 2023 im Oktober 2021 bereits bei 20,8 Milliarden Euro. Der Corona-Unterschied ist gewaltig, es handelt sich demnach um 7 Milliarden Euro Schulden mehr als geplant. Auf eine nächste Krise ist Luxemburg somit leicht weniger gut vorbereitet als noch vor zwei oder vor acht Jahren.

Weiterführende Lektüre:

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