Rechte von KriegsgefangenenWas geschieht mit den Gefangenen von Mariupol? 

Rechte von Kriegsgefangenen / Was geschieht mit den Gefangenen von Mariupol? 
Ukrainische Soldaten tragen einen Verletzten: nach russischen Angaben insgesamt 2.439 ukrainische Soldaten, darunter 78 Frauen Foto: AFP/russisches Verteidigungsministerium

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Mit der Aufgabe des weitläufigen Stahlwerkes fiel Russland im Krieg gegen die Ukraine nicht nur eine strategisch wie symbolisch wichtige Hafenstadt endgültig in die Hände. Um die ukrainischen Soldaten, die sich ergeben haben, wachsen in der Ukraine und im Westen die Sorgen. Die wichtigsten Fragen.

Ab wann haben Kriegsgefangene Rechte?

Nach internationalen Verträgen wie der Genfer Konvention beginnen die Rechte von Kriegsgefangenen bereits damit, dass sie nicht den Personen unterstehen, die sie gefangen genommen haben, sondern dem Staat, der sie in Gewahrsam genommen hat. Damit soll verhindert werden, dass Soldaten, die sich gerade noch beschossen haben, die Kriegshandlungen fortsetzen, wenn sich eine Seite ergeben hat. Sie sollen sich nicht rächen dürfen für möglicherweise getötete Kameraden. In der Praxis ist das jedoch schwer zu kontrollieren, da die Kämpfenden und die Gefangennehmenden wie die Gefangengenommenen zumeist identisch sind. Kriegsgefangene sind „mit Menschlichkeit“ zu behandeln. Verboten ist damit alles, was zu ihrem Tod oder zu schwerer Gefährdung ihrer Gesundheit führt, sie dürfen nicht verstümmelt oder Opfer medizinischer Versuche werden. Sie sind zudem vor „öffentlicher Neugier“ zu schützen, dürfen also auch nicht an den Pranger gestellt werden.

Was ist das besondere am Fall Mariupol?

Im Zentrum der wochenlangen Verteidigung im Stahlwerk stand das Asow-Regiment, das 2014 die zeitweise Besetzung Mariupols beenden konnte und sich in Teilen aus Neonazis und Nationalisten zusammensetzt. Die nun öffentlich in Russland vorgeführten neonazistischen Tätowierungen auf dem Körper entblößter Gefangener dienen zum Beleg der angeblichen Motivation Russlands für die „Spezialoperation“, die Ukraine von Nationalsozialisten zu befreien.

Ist auch ein Gefangenenaustausch möglich?

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenkyi hat ihn bereits mehrfach angeregt. Bereits seit Februar brachte das ukrainische Militär immer mehr russische Soldaten in seine Gewalt. Es könnte auch ein besonderes Interesse des Kreml an dem pro-russischen Geschäftsmann Viktor Medwedtschuk bestehen, der in der Ukraine Mitte April festgenommen wurde und der ein Vertrauter von Russlands Präsident Wladimir Putin zu sein scheint. Allerdings wollen Politiker in Russland die Gefangenen vor Gericht stellen. Das ist eigentlich nur möglich, wenn ihnen Kriegsverbrechen nachgewiesen werden können. Doch es laufen in Moskau Bestrebungen, das Asow-Regiment als Terror-Organisation zu qualifizieren. Das dürfte dann einen Austausch sehr erschweren.

Was ist versäumt worden?

Für die Ukraine-Expertin des Europa-Parlamentes, die Grünen-Politikerin Viola von Cramon, können sich am Beispiel Mariupols alle bestätigt fühlen, die in der Ukraine vor einer wie auch immer gearteten Verhandlungslösung gewarnt haben. Nun gebe es eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Kriegsgefangenen für Schauprozesse in Russland missbraucht oder mit brutalen Folterungen Zwangsgeständnisse aus ihnen herausgepresst würden. „Dazu hätte es nicht kommen dürfen“, unterstreicht von Cramon. „Die Vereinten Nationen hätten dafür sorgen müssen, dass es unter ihrer Aufsicht einen Austausch nach internationalen Standards gegeben hätte“, erläutert die Außenpolitikerin weiter.

Was kann die EU tun?

Michael Gahler, der außenpolitische Sprecher der EVP-Fraktion im Europa-Parlament, verweist darauf, dass die Kriegsgefangenen von Mariupol „reguläre Kombattanten unter dem Oberbefehl des ukrainischen Präsidenten“ seien. Es sei somit klar: „Russland und seine Schergen im Donbass haben kein Recht, diese Soldaten anders zu behandeln als alle anderen ukrainischen Kriegsgefangenen.“ Es bleibe jedoch die Befürchtung von Schauprozessen, wie das auch von allen anderen faschistischen und stalinistischen Vorgänger-Regimen bekannt sei. „Die Beteiligten müssen von uns registriert und im Fall des Falles nach dem Weltrechtsprinzip auch schon in Abwesenheit angeklagt werden“, lautet für den CDU-Politiker die Konsequenzen für die EU-Mitgliedsstaaten. Seine Empfehlung: „Das muss bereits jetzt angedroht werden, damit es unter Umständen einen vorbeugenden Effekt hat.“