AustralienPolitische Beben und nette Menschen – das Wichtigste zur Wahl, die neun Jahre Rechtspolitik beendet

Australien / Politische Beben und nette Menschen – das Wichtigste zur Wahl, die neun Jahre Rechtspolitik beendet
Australien halt: Ein Mann wählt in Badehosen Foto: AFP/Steven Saphore

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Was ist in Australien passiert?

Australiens Mitte-Rechts-Koalition muss abtreten. Die Parlamentswahl am Samstag wird die Sozialdemokraten nach fast einem Jahrzehnt in der Opposition zurück in die Regierung holen. Neuer Premierminister wird Anthony Albanese, der als Sohn einer alleinerziehenden Mutter in einer Sozialwohnung aufwuchs. Für den Kampf gegen den Klimawandel sollte der Regierungswechsel ein Gewinn sein. Die Wahl blieb lange spannend: Früh am Abend nannte Australiens führender Wahlanalyst Antony Green sie sogar „chaotisch“. Dies lag daran, dass zahlreiche Wähler sich von den großen Parteien abgewendet hatten. Die heimlichen „Gewinner“ der Wahl waren die Grüne Partei und eine Reihe unabhängiger Kandidaten – meistens Akademikerinnen, die sich den Kampf gegen den Klimawandel auf die Fahnen geschrieben haben. Das Thema Nummer eins, das die bisherige liberal-konservative Regierung Stimmen gekostet hat, scheint der Klimawandel gewesen zu sein – ein Aspekt, den das Mitte-Rechts-Bündnis eher vernachlässigt hat.

Wahlkampagne voller Fauxpas

Der sechswöchige Wahlkampf, der der Wahl vorausgegangen war, war ähnlich chaotisch wie der Wahlabend: Der sozialdemokratische Kandidat Anthony Albanese fiel gleich am ersten Tag der Wahlkampagne mit einem mentalen Blackout auf. Wenig später wurde er dann noch mit Covid diagnostiziert und fiel für sieben Tage aus, da er sich in Quarantäne begeben musste. Doch auch Morrison stand ihm an Peinlichkeiten während der Kampagne in nichts nach. In einer Debatte sagte er vor Publikum, er sei „gesegnet“, keine Kinder mit Behinderungen zu haben. Kritiker nannten diesen Kommentar „verstörend“. Auch die vielen inszenierten Fotogelegenheiten, die der ehemalige Marketingmann Morrison den Medien regelmäßig servierte, brachten ihm mehr Häme als Applaus ein: So wusch er einer Kundin in einem Friseursalon in Victoria die Haare und für einen TV-Beitrag gab er seiner Familie ein Ständchen mit einer Ukulele.

Jetzt Ex-Premier: Scott Morrison drückt seine Töchter an sich
Jetzt Ex-Premier: Scott Morrison drückt seine Töchter an sich Foto: AFP/Saeed Khan

Das Leben ist teuer geworden

Bisher hatten die Liberalkonservativen oft noch mit einer relativ starken Wirtschaft punkten können, doch selbst diese ist inzwischen angeschlagen. Zwar ist die Arbeitslosenquote auf einem Rekordtief, doch die Inflation ist mit 5,1 Prozent inzwischen hoch: Die Preise für Lebensmittel, Wohnraum und Benzin sind in den vergangenen Wochen in die Höhe geschossen. Außerdem hob die Zentralbank den Leitzins zum ersten Mal seit 2010 deutlich an: von 0,1 auf 0,35 Prozent. Weitere Zinsanhebungen sollen zudem in der Pipeline sein. Letzteres trifft viele Bürger im Land schwer, da Australier oft hohe Hypotheken aufnehmen, um sich den Traum vom Eigenheim zu erfüllen.

Der Konservative Scott Morrison dürfte die Wahl auch aufgrund seiner verfehlten Klimapolitik verloren haben
Der Konservative Scott Morrison dürfte die Wahl auch aufgrund seiner verfehlten Klimapolitik verloren haben Foto: AFP/Stephen Saphore

„Builder“ versus „Bulldozer“

Anthony Albanese punktete beim Volk dagegen weniger mit einem mutigen, zukunftsweisenden Ansatz: Vielmehr verkaufte er sich als der „nettere Mensch“ und versprach ein „milderes“ Vorgehen als Morrison. Er wolle mehr „Builder“ als „Bulldozer“ sein, meinte er während des Wahlkampfes – also jemand, der aufbaut und nicht niederwälzt. Morrison hatte sich selbst zuvor als „Bulldozer“ bezeichnet. Albanese will „Erneuerung“, aber keine „Revolution“: Beim Kampf gegen den Klimawandel verspricht er mehr Einsatz, ohne sich dabei zu allzu ehrgeizigen Zielen zu verpflichten. Außerdem setzen sich die Sozialdemokraten für höhere Mindestlöhne, eine nationale Antikorruptionskommission, bessere Kinder- und Altenbetreuung und eine besser finanzierte staatliche Krankenkasse ein.

Demokratie mit Würstchen und Kuchen

Im Wahlkampf wird in Australien oft mit harten Bandagen gekämpft. Auf Wahlwerbungen wird gerne mal gelogen oder heillos übertrieben. In diesem Jahr machte ein Wahlplakat Schlagzeilen, auf dem der chinesische Präsident Xi Jinping „seine“ Stimme der Labor Party, den australischen Sozialdemokraten, gab. Auch die Rupert-Murdoch-Medien sind bekannt dafür, gegen die „Linken“ anzuschreiben. Doch umso harscher es während der Kampagne zugeht, umso friedlicher läuft der eigentliche Wahltag ab. An den Wahlstationen werden die sogenannten „Demokratie-Würstchen“ gebraten, es gibt Kaffee und Kuchen – Traditionen, die die Leute unabhängig von ihrer politischen Couleur zusammenbringen sollen. Meist bilden sich vor den Wahlurnen lange Schlangen, denn in Australien herrscht ab 18 Jahren Wahlpflicht. Wer nicht wählt, muss mit einer Geldstrafe rechnen. Insofern geben die meisten der 17 Millionen Wahlberechtigten tatsächlich ihre Stimme ab. Insgesamt werden 151 Sitze im Repräsentantenhaus neu besetzt. Wer auch immer die Regierung bilden will, braucht mindestens 76 Sitze.