Deutschland / SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert über die Zusammenarbeit in der Ampel und Gerhard Schröder
Der Generalsekretär der SPD, Kevin Kühnert, der im linken Lager der Partei verortet ist, ist vor allem damit beschäftigt, dem deutschen Kanzler Olaf Scholz den Rücken frei zu halten. Ein Gespräch über Stilfragen, die Zusammenarbeit in der Ampel und die Altlast Gerhard Schröder.
Tageblatt: Herr Kühnert, wie gefährlich wird die FDP nach ihren Verlusten bei den Landtagswahlen für eine Zusammenarbeit in der Ampel?
Kühnert: Die Ampel braucht jeden der drei Partner, sonst ist sie keine Ampel. Das Versprechen dieser Regierung ist, dass alle sich inhaltlich wiederfinden und jede Partei Erfolge erzielen können soll. Wir haben uns zugesichert, Projekte nicht gegeneinander durchzusetzen, sondern miteinander. Dieses Versprechen gilt für alle drei Parteien.
Der Eindruck verfestigt sich, dass die beiden kleineren Ampel-Koalitionspartner bei wichtigen Projekten ausscheren. Die FDP bei der Impfpflicht, die Grünen beim Sondervermögen. Ist die Disziplin im Bündnis schon wieder vorbei?
Ich werde Ihnen nicht die Geschichte auftischen, dass alles immer nur super läuft in der Ampel. Natürlich ruckelt es mal, ist doch ganz normal. Wir sollten aber fair bleiben: Bei der Impfpflicht kann ich der FDP keinen Vorwurf daraus stricken, dass sie eine Gewissensentscheidung auch als solche behandelt hat. Ob ihr das konkrete Vorgehen dabei genützt hat, steht auf einem anderen Blatt.
Und beim Sondervermögen sorgt der Sicherheitsbegriff der Grünen nun dafür, dass eine Einigung mit der Union scheitern könnte?
Die 100 Milliarden Euro sollen dazu dienen, unsere Sicherheit nachhaltig zu verbessern und unsere Streitkräfte besser auszustatten. Da geht es ganz maßgeblich um robuste Verteidigung. Das Projekt steht nicht im Koalitionsvertrag, muss also ganz grundlegend verhandelt werden. Wir sind uns auch einig, dass Verteidigung mehr ist als Heer, Marine und Luftwaffe. Cybersicherheit etwa ist ein Element, das zwingend zu einer zeitgemäßen Sicherheitsstrategie gehört. Was genau davon künftig über den Kernhaushalt erledigt wird, und was über das Sondervermögen, das ist nun Gegenstand der Gespräche und dafür wird es am Ende Lösungen geben.
Die SPD-Regierungsmitglieder Karl Lauterbach und Christine Lambrecht sowie Kanzler Scholz ernten viel Kritik für ihre Kommunikation. Kommt ausgerechnet die größte Ampel-Partei unter die Räder?
Sicherlich nicht, und trotzdem können und wollen wir natürlich besser werden. Jedoch werden wir unsere Kommunikation nicht an anderen ausrichten, denn Kommunikation muss auch authentisch sein. Olaf Scholz ist Olaf Scholz. Er ist mit seiner hanseatischen Nüchternheit eine Marke. Ich kann Heino nicht die Sonnenbrille wegnehmen und Udo Lindenberg nicht den Hut. Wenn Olaf Scholz anfangen würde, wie Robert Habeck zu reden, würden alle denken, es sei Karneval. Jeder hat seinen eigenen Stil.
Wird der Stil des Kanzlers der Krise und auch dem Erfolg der SPD gerecht?
Olaf Scholz ist davon überzeugt, dass seine abwägende Art die richtige ist, um seriöse Politik in ernsten Zeiten zu vermitteln. Und die Geschichte gibt ihm recht. Er weiß natürlich auch, dass wir in einem audiovisuellen Zeitalter leben und sich seine Botschaften nicht nur als Text verbreiten. Seine häufigen Auftritte im Fernsehen tragen dem Rechnung. Ohnehin wird die Bilanz, ob uns der Kanzler gut durch die Ukraine-Krise geführt hat, nicht mittendrin gezogen, sondern im Rückblick. Es zählen die Ergebnisse.
Hält die Ampel die gesamte Wahlperiode durch?
Daran habe ich keinen Zweifel. Wir haben als SPD zwei große Koalitionen hintereinander durchgestanden. Dagegen ist das bisschen Ruckeln in der Ampel Kindergarten.
Soll Christine Lambrecht ihr Amt volle vier Jahre behalten?
Derzeit wird viel über die Person Christine Lambrecht und wie sie angeblich so ist gesprochen, aber das wird der Bedeutung der Aufgaben nicht gerecht. Christine Lambrecht ist in einem Ministerium angetreten, das Probleme von hier bis zum Mond angehäuft hat. Ein Urteil über ihre Amtsführung nach so wenigen Monaten, wie von einigen gerade gefällt, halte ich für unernst. Sie muss wie ihre Vorgängerinnen später daran gemessen werden, ob sie das Haus aufgeräumt hat, ob Rüstungslobbyisten weniger Einfluss haben und das Beschaffungswesen effizienter funktioniert. Um nur ein paar Megabaustellen zu nennen.
Wir haben als SPD zwei große Koalitionen hintereinander durchgestanden. Dagegen ist das bisschen Ruckeln in der Ampel Kindergarten.
Manch einer wundert sich, wo der alte, laute Kühnert geblieben ist. Sind Sie im Amt angekommen?
Ja und nein. Das Amt ist mit vielem Neuen verbunden, vor allem organisatorischen Aufgaben, die einige Einarbeitungszeit erfordern. Aber ich verstehe, worauf sie hinauswollen. Manche haben ja kritisiert, dass es nicht zu mir passen würde, dass ich nach unserem Abschneiden bei der NRW-Wahl nicht einfach „draufhaue“. Das ist aber ein Missverständnis. Ich halte Selbstgeißelung für kein hilfreiches politisches Konzept. Und Lautstärke ersetzt auch nicht das Nachdenken.
Kommen wir zur Causa von Altkanzler Gerhard Schröder im Ukraine-Konflikt. Das EU-Parlament will Schröder auf die Sanktionsliste. Gut so?
Ich habe keinen Anlass, eine schützende Hand über ihn zu halten. Wenn es klare, objektive Kriterien für Sanktionslisten gibt, dann gelten die natürlich für alle. Ob das hier der Fall ist, müssen andere bewerten. Ich nehme aber zur Kenntnis, dass Herr Schröder jetzt wohl nicht ganz zufällig von seinem Rosneft-Mandat zurückgetreten ist. Leider viel zu spät.
Der Bundestag hat beschlossen, Schröder bestimmte Privilegien wie Büroräume und Mitarbeiter abzuerkennen. Sehen Sie ein Problem darin, eine Art „Lex Schröder“ zu schaffen?
Diese Büroausstattung nach der Amtszeit verfolgt den Zweck, öffentliche Aufgaben erfüllen zu können – Schirmherrschaften, Schlichtungen oder internationale Auftritte. Aber niemand hat mehr ein Interesse an derartigen Dienstleistungen von Gerhard Schröder. Deswegen gibt es keinen Anlass für diese Ausstattung, die wir nun eingefroren haben.
Ich nehme aber zur Kenntnis, dass Herr Schröder jetzt wohl nicht ganz zufällig von seinem Rosneft-Mandat zurückgetreten ist. Leider viel zu spät.
Wie lange wird Deutschland noch Waffen in die Ukraine liefern?
Das kann heute niemand seriös beantworten, aber voraussichtlich noch eine ganze Weile. Ich hoffe sehr, dass die Notwendigkeit dafür bald entfällt, aber Voraussetzung dafür wäre, dass sich die russischen Truppen umgehend zurückziehen und dem Völkerrecht zur Geltung verholfen wird. Wann so ein Punkt erreicht ist, darüber entscheiden aber nicht wir in Deutschland, sondern die gewählte Regierung der Ukraine. Im Moment gibt es leider kaum Anhaltspunkte dafür, dass das in naher Zukunft eintritt. Deswegen bleibt die Unterstützung für die Ukraine, die wir anhand klarer Kriterien leisten, auf absehbare Zeit weiter notwendig. Auch mit Waffen.
Was wäre nicht mehr vertretbar?
Nicht vertretbar ist alles, was uns und unser Bündnis zur Kriegspartei oder Zielscheibe werden lässt, was unsere eigene Verteidigungsfähigkeit schwächt und was als Alleingang verstanden werden kann. Ziel muss sein, diesen Krieg so schnell wie möglich zu beenden.
Als eine Folge des Ukraine-Krieges steigen die Preise für Rohstoffe und Baumaterialien an. Muss das Ziel der Bundesregierung, pro Jahr 400.000 neue Wohnungen zu bauen, kassiert werden?
Nein, wir müssen uns besser auf die neuen Umstände vorbereiten. Das Ziel ist ja an einem klaren Bedarf ausgerichtet. Die Tatsache, dass viele Menschen eine Wohnung suchen, ändert sich schließlich nicht, nur weil der Holzpreis steigt. Wir müssen unser Ziel erreichen. Wir haben im Wahlkampf ganz bewusst mit der messbaren Größe von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr geworben. Am Ende werden wir zurecht auch daran gemessen werden.
Haben Sie inzwischen eine Wohnung gefunden?
Nein, aber um mich ging es auch nie. Für mich ist die Wohnungssuche „nur“ nervig. Für viele Familien oder Leute mit geringem Einkommen geht es um existenzielle Fragen. Dass Menschen unterschiedlichster Einkommensgruppen gleichermaßen Wohnraum suchen, zeigt aber eines ganz deutlich: Zu wenig Wohnraum bei hoher Nachfrage ist ein Problem der gesamten Gesellschaft. Wo nichts ist, kann niemand einziehen. Wohnungsbesichtigungen mit 200 Interessenten sind für alle eine Zumutung. Und wir tun alles dafür, dass neuer Wohnraum auch wirklich bezahlbar ist. Aber die grundsätzliche Baufeindlichkeit in Teilen unserer Gesellschaft, die können sich Millionen Menschen nicht mehr leisten. Damit muss Schluss sein.
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