Alain spannt den BogenJunge Talente, klangliche Höhenflüge und lethargische Profis

Alain spannt den Bogen / Junge Talente, klangliche Höhenflüge und lethargische Profis
Vom jungen Talent zum Superstar: Der Dirigent Yannick Nézet-Séguin begeistert immer wieder mit mitreißenden Interpretationen Foto: Alfonso Salgueiro

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Lokale Musikergrößen und junge Talente zusammenzubringen, das ist das Ziel des „Catch Music Festival“, das vom 12. bis zum 14. Mai zum ersten Mal in der Bonneweger Kirche stattgefunden hat. Das von der Pianistin Cathy Krier und der Violinistin Laurence Koch, die beide auch Lehrerinnen am hauptstädtischen Konservatorium sind, initiierte Festival präsentierte fünf Konzerte mit zehn verschiedenen Ensembles und Werken.

Wir besuchten das erste Konzert am Freitag, das von den beiden exzellenten Pianisten Colin Toniello und Jakob Udelhoven mit der populären „Petite suite pour piano à 4 mains L.65“ von Claude Debussy eingeleitet wurde. Auch Lili Boulangers kurzes Stück „D’un matin de printemps für Violine, Cello und Klavier“ befand sich bei Kelly Ge (Violine), Stéphane Giampellegrini (Cello) und Jakob Udelhoven (Klavier) in besten Händen. Große Musik erlebte das Publikum dann mit dem gefährlich doppelbödigen „Quartett Nr. 3“ von Dimitri Schostakowitsch. Isabelle Kruithof und Kelly Ge (Violinen) Ralph Szigeti (Bratsche) und Stéphane Giampellegrini boten eine starke Ensembleleistung und präsentierten sich als ideal aufeinander eingespieltes Quartett.

Wie schnell man vom jungen Talent zu einem Superstar werden kann, zeigt die Entwicklung des Dirigenten Yannick Nézet-Séguin, der am Freitagabend mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in der Philharmonie zu Gast war. Erste Aufmerksamkeit erhielt er als künstlerischer Leiter des kanadischen Orchestre Métropolitain in Montreal (ab 2000), dann als Chefdirigent des Rotterdam Philharmonic Orchestra (2008-2018). 2012 wurde Nézet-Séguin Chefdirigent des Philadelphia Orchestra und 2018 neuer künstlerischer Leiter der Metropolitan Opera in New York. Eine Bilderbuchkarriere.

Klangrausch mit Nézet-Séguin und dem BR

Yannick Nézet-Séguin ist in der Tat einer der interessantesten und sicherlich auch besten Dirigenten der Gegenwart. Kein Schaumschläger, sondern ein Vollblutmusiker, der immer wieder mit ungewöhnlichen und mitreißenden Interpretationen begeistert. Heute dirigierte er das Klavierkonzert von Clara Schumann und Richard Strauss’ „Ein Heldenleben“. Die Solistin war Beatrice Rana, die sich dann auch ideale Interpretin für Clara Schumanns Klavierkonzert entpuppte. Sehr klar im Ausdruck, unaffektiert im Spiel, hoch konzentriert und mit wunderschönen Solomomenten verlieh sie diesem hörenswerten, wenn auch nicht unbedingt genialen Konzert den Hauch des Besonderen.

Nézet-Séguin begleitete seine Solistin exzellent und bot ihr einen Klangteppich, auf dem sie ihr Spiel bestens entfalten konnte. Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks durfte seine einmalige Klasse dann nach der Pause mit Strauss’ „Ein Heldenleben“ zeigen. Es war eine in allen Hinsichten atemberaubende, ja fast rauschhafte Interpretation, die selbst in den gewaltigen Tutti noch immer transparent und feinnervig klang. Sicher, das Orchester ist durch Maazel und Jansons in diesem Repertoire geeicht worden, doch mit Yannick Nézet-Séguin erreichte es noch einmal eine ganz andere Stufe der Interpretation. Der Dirigent, der wie Jansons, Maazel, Karajan oder Nelsons ein wahrer Klangmagier ist, konnte auf unerschöpfliches Potenzial zurückgreifen und es nach Herzenslust formen. Herausgekommen ist eine klangliche Großtat, voller intensiver, aber auch ironischer Momente. Und vor allem besaß Nézet-Séguin die Fähigkeit, diese großangelegte, pathetische und kraftvolle Musik immer wieder wie fein gearbeitete Kammermusik klingen zu lassen. Großartig.

Tristan und Isolde im Spukhaus

 Foto: Kaufhold

Im Staatstheater Saarbrücken läuft momentan eine Neuinszenierung von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ (weitere Vorstellungen gibt es am 22. und 26. Mai, am 4., 19., und 26. Juni sowie am 9. Juli.). Die beiden ungarischen Regisseurinnen und Bühnenbildnerinnen Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka, die übrigens im kommenden Jahr einen neuen „Ring des Nibelungen“ in Saarbrücken in Angriff nehmen, entführen das Publikum auf eine Reise des Unbewussten. Es ist die Geschichte zweier Menschen, die nicht mehr leben wollen und den Tod sehnsüchtig herbeisehnen, ihn dann als Geister immer wieder in einer Wiederholungsschleife durchleben müssen. Tristan und Isolde sterben in jedem der drei Akte an gleicher Stelle. Die Handlung, die in einem viktorianischen Herrenhaus spielt, aus dem es kein Entkommen gibt, führt sie immer wieder an den gleichen Ort zurück.

 Foto: Kaufhold

Für ihre Inszenierung bedienen sich die Regisseurinnen der Erzählweise einer englischen Gruselgeschichte. Dass ihre Inspiration vom klassischen Grusel- und Geisterfilm wie „The Others“, „Rebecca“, „Wuthering Heights“ oder „The Innocents“ herkommt, ist sehr deutlich zu erkennen. Sehenswert ist dieser ungewöhnliche Tristan auf jeden Fall, auch wenn es den Regisseurinnen nicht immer gelingt, Wagners Text und ihre eigene Handlung logisch zusammenzubringen. Das Bühnenbild und die Kostüme sind gelungen und das Publikum darf sich auf einen wirklichen Gruselabend mit Tiefgang freuen. Musikalisch beeindruckt vor allem das hervorragend disponierte Saarländische Staatsorchester unter Sébastien Rouland; aus dem Sängerensemble stechen Aile Asszonyi als stimmgewaltige Isolde, Peter Schöne als makellos singender und fantastisch phrasierender Kurwenal sowie Judith Braun als starke Brangäne heraus. Burkhard Fritz, der in dieser Aufführungsserie als Tristan debütiert, meistert die Partie makellos, interpretationsmäßig ist die Figur aber sicher noch ausbaubar. Eine Enttäuschung dagegen ist der eher markierende als singende Hiroshi Matsui als Marke, der seinen großen Monolog im zweiten Akt regelrecht in den Sand setzt.

Mahler als Dienstleistung

Zurück in die Philharmonie. Nach der Galaleistung des BR kamen wir mit dem Konzert der Filarmonica della Scala wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Im ersten Konzertteil glänzte der Violinist Ray Chen mit seiner brillanten, virtuosen und frischen Interpretation des Violinkonzertes von Felix Mendelssohn-Bartholdy während Riccardo Chailliy und das Scala Orchester nur eine routinierte Begleitung boten. Der Jubel des Publikums für Chens Leistung war berechtigt und der Violinist bedankte sich mit eine Paganini-Zugabe.

Nach der Pause stand dann Gustav Mahlers „1. Symphonie“ auf dem Programm. Dem Mahler-Spezialisten Riccardo Chailly gelang es aber diesmal nicht, die Filarmonica della Scala in die Naturwelt Mahlers zu entführen. Die Musiker blieben lethargisch, das Spiel ungefähr, es fehlte an vielem, vor allem aber an spielerischer Brillanz. Nur die Holzbläsergruppe zog sich gut aus der Affäre, während die Geigen erschreckend dünn und farblos erschienen, die dunklen Streicher sich nur dort bemerkbar machten, wo sie mussten. Feinheiten suchte man vergebens. Natürlich lieferte das Scala-Orchester in den Tutti-Passagen und war sich somit, trotz rustikaler Mittel, der Begeisterung des Publikums sicher. Ansonsten enttäuschend.