KirchbergTrance gegen Trauma: Ein Vormittag auf dem Hypnoseforum

Kirchberg / Trance gegen Trauma: Ein Vormittag auf dem Hypnoseforum
Vier Tage lang stand das Kongresszentrum auf Kirchberg im Zeichen der Hypnose als Therapiemöglichkeit Foto: Editpress/Julien Garroy

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Rund 600 Menschen hatten sich vergangene Woche auf dem Kirchberg versammelt, um an einem Forum mit dem Titel „L’Hypnose au croisement des cultures“ teilzunehmen. Es standen keine Uri Gellers auf der Bühne, sondern eine ganze Reihe international anerkannter Mediziner und Neurowissenschaftler. Ein Ortsbesuch.

Emsiges Treiben herrscht am Donnerstag um 8.30 Uhr am Empfang des Europäischen Kongresszentrums auf dem Kirchberg. Die Teilnehmer des zwölften Forums der „Confédération francophone d’hypnose et thérapies brèves“, kurz CFHTB, trudeln ein und erhalten ihre Badges. Diese sichern ihnen bis Samstag den Zugang zu 90 Ateliers mit insgesamt 150 Vortragsrednern. Es wird Französisch gesprochen, auch die vor dem großen Saal postierten Buchhändler bieten hauptsächlich Literatur in der Sprache Molières an. Esoterik-Ratgeber sucht man vergebens. Dagegen gibt es Fachbücher, bei denen bereits der Titel für Laien eine echte intellektuelle Herausforderung sein kann.     

Die Teilnehmer bekommen mit ihrem Badge auch die offizielle Kongressbroschüre. 156 Seiten dick, mit dem Detail des Programms und Biografien der Redner. Im vollbesetzten großen Saal beginnt die Eröffnungsveranstaltung. Dr. Marco Klop, Anästhesist der Zithaklinik, ist der Gastgeber und Klop ist sichtlich berührt, dass das Forum erstmals in Luxemburg stattfinden wird. Er heißt die Teilnehmer willkommen, seine Vorfreude ist groß. Denn mit dabei sind Koryphäen auf dem Gebiet der medizinischen Hypnose wie die Belgierin Marie-Elisabeth Faymonville. Sie war die erste Medizinerin weltweit, die einen Patienten vor einer Operation in Trance versetzte und so maßgeblich daran beteiligt, dass Hypnose heute als Therapiemöglichkeit anerkannt ist. 

Die Vorredner

Nach CFHTB-Präsident Pierre Castelnau spricht Dr. Paul Rauchs, der Inbegriff der Luxemburger Psychiatrie. Es geht um die Hassliebe zwischen Psychoanalyse und Hypnose. Immer wieder kommt Sigmund Freud ins Spiel, der Begründer der Psychoanalyse. Rauchs Vortrag ist mit einer Prise Humor gewürzt, doch der nach ihm sprechende Dominique Megglé stellt ihn in den Schatten. Er redet davon, dass es bei Hypnose darum gehe, die Aufmerksamkeit des Gegenübers einzufangen. Wie, das zeigt Megglé am Rednerpult. Kunstpausen prägen seinen Vortrag, große Gesten und kleine Pointen. Das Publikum hängt an seinen Lippen, als wäre es in Trance.    

Atelier im Saal 8: Thema Corona und Hypnose
Atelier im Saal 8: Thema Corona und Hypnose Foto: Editpress/Julien Garroy

Die Zeit vergeht wie im Flug. Es folgt ein Intermezzo mit Mohand Chérif Si Ahmed, alias Muhuc. Er ist Psychiater und auch Karikaturist oder Karikaturist und auch Psychiater. Jedenfalls fasst er das eben Gesagte für das Publikum in Zeichnungen zusammen. Dr. Marco Klop beendet die Eröffnungsveranstaltung und wünscht allen Teilnehmern viel Spaß bei den Ateliers und Konferenzen. Zehn Stück finden an diesem Vormittag statt. In Saal 7 geht es um Mobbing in der Schule und wie den Betroffenen mit Hypnosetechniken zu helfen ist, in Saal 1 und 2 um Schmerztherapie durch Hypnose. Die restlichen Themen sind für Nichtspezialisten ohne Google nicht zu verstehen.

Hypnose und Corona

Außer das Thema in Saal 8: Hypnose und Covid. Es geht langsam los, mit Hypnose als Therapiemöglichkeit von Long-Covid-Patienten. Doch dann geht es ans Eingemachte. Das 24-köpfige Publikum besteht in erster Linie aus medizinischem Pflegepersonal. Man merkt an ihren Wortmeldungen, dass sie während der Corona-Wellen Schlimmes erlebt haben. Von Triage ist die Rede, von Machtlosigkeit. Und noch öfters fallen die Schlagwörter Burnout, Überbelastung, geistige Müdigkeit oder Schlafstörungen. Sie haben sich ihren Beruf nicht ausgesucht, um zwei Monate lang Applaus von den Balkonen zu ernten. Und auch nicht wegen der Bezahlung. Nein, sie möchten Menschen helfen. Wie sehr es auf die Psyche schlägt, wenn man das nicht wie gewünscht oder gewohnt tun kann, obwohl man rund um die Uhr arbeitet, wird schnell deutlich.

Also spricht Vanessa Grandjean aus dem CHL über die Belastungen des Pflegepersonals. Die Krankenschwestern waren während der Pandemie der letzte Bezugspunkt der (sterbenden) Patienten, da Familienbesuch lange verboten war. In voller Schutzmontur sei das schwierig, zudem kommen die permanente Angst wegen der Ansteckungsgefahr und die Unsicherheit hinzu. Psychisch extrem belastend sei das gewesen. Flavy Derynck Godchaux, eine Psychiaterin aus Marseille, wird diese Lage auf den Intensivstationen später in ihrem Vortrag kafkaesk nennen. Corona-Leugner kamen erst sehr spät (zum Sterben) ins Krankenhaus, weil sie zuvor meinten, dort würde man die Menschen umbringen. In solchen Situationen droht beim Pflegepersonal die Empathie für den Patienten, eine Grundvoraussetzung in diesem Job, verloren zu gehen.    

Wie ein Pendel schwebt die Beleuchtung im Kongresszentrum von Kirchberg über den Teilnehmern des 12. CFHTB-Forums
Wie ein Pendel schwebt die Beleuchtung im Kongresszentrum von Kirchberg über den Teilnehmern des 12. CFHTB-Forums Foto: Editpress/Julien Garroy

In Anbetracht dieser Herausforderungen für das Personal hat man im CHL während der zweiten Welle ein Projekt unter dem Motto „prendre soin de soi“ gestartet. Dabei spielten Hypnose und Meditation eine ganz wesentliche Rolle. Erst in der Gruppe, später wurden dann Einzeltherapien angeboten. So kam man im CHL besser durch die folgenden Corona-Wellen. Einen Schritt weiter ging man im Hôpital de Mercy in Metz, wie die Notfallärztin Nazime Guler berichtet. Ein „Tornado“ sei auf sie zugekommen, sagt sie und erzählt vom Sterben der Patienten, dem gegenüber man machtlos gewesen wäre. „Als ein Kollege mir in die Augen schaute und sagte, ‚Nazime, rette mich’, da bin ich zusammengebrochen“, blickt Guler zurück. Sie schottete sich zehn Tage ab, suchte Hilfe bei Psychologen und griff auf Selbsthypnose zurück. Viele Kollegen seien anschließend zu ihr gekommen, um Hypnosetechniken zu erlernen. Daraufhin bot man im Krankenhaus eine zweitägige Ausbildung an und richtete einen Rückzugsort fürs Personal ein.

Die Corona-Pandemie sei für das Personal eine Burnout-Epidemie gewesen, sagt Nazime Guler: „Das Problem der Pfleger ist, dass sie keine Mentalität haben, sich selber helfen zu lassen. Denn sie sind die Helfer. Also krepieren sie.“ Dramatische Worte zum Ende des ersten Vormittags im CFHTB-Forum. Wer so etwas hört, der assoziiert die Hypnose, um die es vier Tage lang auf Kirchberg ging, ganz sicher nicht mehr mit Bühnenklamauk à la Uri Geller. 

Paul Rauchs war einer der Redner der Eröffnungsveranstaltung
Paul Rauchs war einer der Redner der Eröffnungsveranstaltung Foto: Editpress/Julien Garroy