GroßbritannienBeim Sonderstatus für Nordirland geht London auf Konfrontation zu Brüssel

Großbritannien / Beim Sonderstatus für Nordirland geht London auf Konfrontation zu Brüssel
Nach der Niederlage seiner Partei blockiert DUP-Chef Jeffrey Donaldson eine Regierungsbildung in Nordirland Foto: AFP/Paul Faith

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Die britische Regierung sucht neuen Streit mit der EU. Außenministerin Elizabeth Truss kündigte am Dienstag im Unterhaus ein neues Nordirland-Gesetz an.

Das neue Gesetz soll den völkerrechtlich verbindlichen Austrittsvertrag der Brexit-Insel verändern, soweit er die Sonderregelung für den irischen Teil des Königreichs betrifft. Damit erfüllt Premier Boris Johnson den Wunsch von London-treuen Unionisten in Nordirland. Hingegen stößt die Initiative in Brüssel, Washington, Dublin, bei den meisten nordirischen Gruppierungen sowie bei einigen konservativen Parteifreunden auf heftige Ablehnung.

Bei der Regionalwahl zu Monatsbeginn hatte Sinn Féin (SF) 29 Prozent und die meisten Mandate gewonnen. Erstmals ist damit eine irisch-nationalistische Partei stärkste politische Kraft im Belfaster Parlament. Daraus leitet sich der Anspruch der regionalen SF-Chefin Michelle O’Neill auf das Amt der Ministerpräsidentin ab. Eine Konkordanzregierung mit einem Vertreter der größten unionistischen, London-treuen Gruppierung kann aber nur gebildet werden, wenn die von der Wählerschaft abgestrafte DUP (21 Prozent) einen Vertreter als Vize-Premier benennt. Dies verweigert DUP-Chef Jeffrey Donaldson. Mehr noch: Seine Fraktion stimmte nicht einmal der Wahl eines Parlamentspräsidenten zu, womit das gesamte politische System Nordirlands brachliegt.

An diese Verweigerer gerichtet schrieb der Premierminister in einem Artikel für den Belfast Telegraph, die Wählerschaft habe ihren Politikern einen klaren Auftrag erteilt: „Konzentrieren Sie sich auf die alltäglichen Probleme, Schulen, Krankenhäuser, Lebenshaltungskosten.“ Daraus ergebe sich die Forderung, die politischen Institutionen mit Leben zu erfüllen: „Gehen Sie zurück an die Arbeit.“

Zugeständnisse an Unionisten in Belfast

Als Zugeständnis an die unionistische Seite aber reden Johnson und seine Nordirland-Chefunterhändlerin Truss seit Wochen einer Neuformulierung des sogenannten Protokolls das Wort. Diese Vereinbarung gehört zum EU-Austrittsvertrag des Königreiches. Es soll die Landgrenze zur Republik im Süden offenhalten, aber gleichzeitig die Integrität des Binnenmarktes gewährleisten. Deshalb wurden zwischen Nordirland und der britischen Hauptinsel Zoll- und Einfuhrkontrollen fällig, was die Unionisten verärgert. Vize-Kommissionspräsident Maros Sefcovic hatte nach monatelangen Verhandlungen vergangenen Oktober erhebliche Verbesserungen der bis dahin eher kleinlich gehandhabten Vorschriften zugesagt, was in London als unzureichend gilt. Allerdings pocht Brüssel darauf, eine Neuverhandlung des Protokolls komme nicht in Frage.

Genau dies strebt Truss unbeirrt an. Eine Verhandlungslösung wäre ihr lieber, teilte die Ministerin unter dem Hohngelächter der Opposition mit. Notfalls aber müsse London einseitig handeln, um die „schwerwiegende und ernste Situation in Nordirland“ zu verändern. Als Probleme benannte Truss den Warenverkehr zwischen Großbritannien und Nordirland, die gemeinsame Mehrwertsteuer sowie Subventionsgesetze.

Der Frieden in Nordirland ist auf immer neuen Kompromissen aufgebaut

Julian Smith, ehemaliger Nordirland-Minister

Was Johnson und Truss vorhaben, sei „rücksichtslos“, schäumt O’Neill. Truss’ irischer Kollege Simon Coveney warnte vor britischen Alleingängen. Auch aus Washington ist keine Rückendeckung zu erwarten, wie der enge Johnson-Vertraute Conor Burns auf einer kürzlichen Reise in die US-Hauptstadt feststellen musste. Die Entwicklung in Nordirland wird von der mächtigen irischen Lobby im Kongress sowie vom irischstämmigen Präsidenten Joe Biden genauestens verfolgt. Man wünsche „kein Theater“, wurde Burns signalisiert, wie er der Times anvertraute.

Liz Truss will sich bei rechten Torys einschmeicheln

Am Montag hatte Johnson Belfast besucht und von allen Seiten Prügel bezogen. Sogar der umworbene DUP-Chef Donaldson sprach verächtlich davon, man werde den Premier „an Taten messen, nicht an Worten“. Zusätzlich kompliziert wird die Lage durch das Misstrauen zwischen Johnsons Downing Street und der hochehrgeizigen Ministerin Truss. Diese nutzt die sperrige Angelegenheit, um sich beim harten rechten Flügel der regierenden Torys einzuschmeicheln. Es gebe da „unterschiedliche Motivationen“ im Regierungsviertel Westminster, seufzt der liberale Tory Julian Smith.

Nach einer langen Reihe inkompetenter konservativer Nordirland-Minister war es Smith im Februar 2020 gelungen, die Provinzpolitiker wieder am Belfaster Regierungstisch zu versammeln. Kurz darauf wurde er von Johnson gefeuert. Jetzt wirbt der Ex-Minister für rasche Verhandlungen, wie er dem Londoner Club der Auslandspresse FPA berichtete. Dazu müssten sich beide Seiten bewegen, so Smiths Appell an die eigene Regierung, aber auch an Brüssel: „Der Frieden in Nordirland ist auf immer neuen Kompromissen aufgebaut.“ Truss’ Gesetz als Grundlage einer einseitigen Neufassung des Protokolls erteilte der enge Vertraute von Ex-Premier Theresa May eine Absage: „Ich halte es nicht für hilfreich, ein Gesetz als Drohung einzusetzen.“