TheaterSich für sich selbst vierteilen: „Poupette“ von und mit Marie Jung im TNL

Theater / Sich für sich selbst vierteilen: „Poupette“ von und mit Marie Jung im TNL
I am (br)OK(en): Marie Jung überzeugt als 96-jährige Poupette im gleichnamigen Stück Foto: Bohumil Kostohryz

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Ihren ersten Bühnentext spielt Marie Jung gleich selbst – und liefert damit das berührende Porträt einer Schriftstellerin, Widerstandskämpferin und Unterhalterin, in dem Selbstbestimmung als ewiger Kampf mit sich selbst, seinen Erinnerungen und der (chauvinistischen) Außenwelt dargestellt wird.

In der linken Ecke der Bühne stehen in Plastik gehüllte Möbel einer Wohnung – ganz so, als würde man das Mobiliar einer verstorbenen Person in einem Hangar lagern. Neonröhren prangen über der Bühne – erst leuchten alle Buchstaben so, dass man „I am broken“ lesen kann, später steht dann nur noch, weil nun das B, das R, das E und das N „broken“ sind, „I am OK“. Von kaputt zu okay – dies ist eine der möglichen Lesarten der Lebensgeschichte der „gefährlichen, unberechenbaren, provokanten“ Anna Denise Schmit, genannt „Poupette“. Poupette ist 96 und hat ein subversives, aufmüpfiges Leben hinter sich – und trägt ihren Spitznamen folglich mit reichlich Ironie.

Während ihres Monologs, der von der Form her auf die modernistische Technik des Stream of consciousness verweist, erinnert sich Poupette an ihre Kindheit, ihre Liebhaber, ihre Karriere – und ihren Mops Ricky, dank dem ihr „die Straße zu der Brücke, von der ich springen wollte, versperrt“ ist und dem gegen Ende des Stückes auch szenografisch gehuldigt wird.

Wesentlich ist dabei die Frage, was am Ende unseres Lebens von uns bleibt. Denn hier spricht eine Frau, die mehr sein möchte als das textliche Äquivalent des Möbelhaufens hinter ihr – und die auf erfrischend unpathetische Weise „Abschied nehmen will“. Marie Jungs Text bleibt dabei stets so elliptisch, dass der feministische Einschlag des Textes nie plakativ wirkt, ist aber in seinen Erinnerungsfragmenten und Lebensskizzen gleichzeitig konkret genug, um der Figur der Poupette ausreichend Tiefe zu geben.

Denn diese Lebensgeschichte will kein ausführliches Porträt, kein teleologisches Selbstnarrativ sein – vielmehr werden hier Erinnerungen skizziert, die eben kein einheitliches Gesamtbild ergeben, sondern eine Frauenfigur in ihrer Vielfalt, ihren Widersprüchen erzählen. Die einzelnen Fragmente wirken dabei, als würde man die einzelnen Stücke vieler verschiedener Puzzles zu einem Gesamtbild zusammenfügen wollen – die Summe der einzelnen Biographeme ergeben ein verzerrtes Selbstbild, weswegen Marie Jungs Poupette wohl auch irgendwann den kurz davor aufgetragenen Lippenstift im Gesicht verschmiert.

In einer präzisen und poetischen Sprache erzählt Poupette von den „wässrigen, versoffenen“ Augen ihres Robert, vom frühen Tod Josephs, der „bis zum Ende nicht wusste, dass [sie s]ich in ihn verbissen hatte“, vom „Neuen“, den Robert den „Milkshake“ nannte, von den Hierarchen, die ihr vorwerfen, zu laut zu sein (denn in deren Weltbild dürfen dies nur Männer mit fettem Range Rover sein), Hierarchen, die jede Passage der Klassiker auswendig kennen – und trotzdem davon überzeugt sind, dass der wichtigste Tag in der Geschichte ihr Geburtstag ist: Hier prallt männliche Wichtigtuerei immer wieder gegen feministische Ironie.

Everybody loves a clown

Dabei tanzt und steppt die 96-jährige Poupette wie ein Derwisch über die Bühne, schlüpft in verschiedene Rollen, wechselt Tonlage und Vokabular: Die Schriftstellerin Marie Jung erlaubt es so der Schauspielerin Marie Jung, die verschiedensten Facetten ihres Talentes während einer intensiven Stunde auf der Bühne auszuleben.

Am schönsten wird „Poupette“ aber immer dann, wenn die Unterhalterin aufhört, zu unterhalten, wenn die schrecklichen oder schrecklich lustigen Anekdoten über mit Freundinnen geteilte Liebhaber, Ratten, die im Kinderspielzeug leben, oder ein aus Versehen getötetes Nilpferd Momenten der echten Introspektion, der Melancholie und der Selbstkritik weichen: „Dinge wollen und sie nicht sagen. Aber sich festkrallen daran. Das kann ich gut.“ Oder auch: „Ich müsste mehr sagen, dann würden meine Dummheiten weniger ins Gewicht fallen.“ Und immer wieder erwähnt sie, wie sie mit 24 Jahren zur Witwe wurde – aber ohne dabei in die Klischees oder ins Pathos der Trauma-Erzählung zu fallen.

Auch wenn das Stück stellenweise etwas zusammenhanglos wirkt und der oder die Zuschauer*in manchmal etwas im Dunkeln tappt: Mit „Poupette“ ist Marie Jung ein vielversprechendes erstes Theaterstück gelungen, dem sie, dank der präzisen, gleichzeitig überdrehten und behutsamen Regie von Franziska Autzen, auch auf der Bühne eindrucksvoll Leben einhaucht.


Weitere Vorstellungen am 17., 18., 24. und 25. Mai um 20.00 Uhr im TNL