Radfahren in Luxemburg (9)Das Fazit der Fahrradserie: Von Verkehrskrieg und sicheren Wegen

Radfahren in Luxemburg (9) / Das Fazit der Fahrradserie: Von Verkehrskrieg und sicheren Wegen
Vorfahrt Fahrrad? Es bleibt noch einiges zu tun in Luxemburg. Foto: Tageblatt-Archiv/Alain Rischard

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Das Fahrrad boomt und spielt eine Schlüsselrolle bei der Verkehrswende. Warum aber tut sich Luxemburg beim Schaffen einer modernen Radinfrastruktur so schwer? Dieser Frage ist das Tageblatt nachgegangen. Es entstand eine neunteilige Serie, die mit den Zielen der Fahrradpolitik im nationalen Mobilitätsplan 2035 begann und heute mit dem Fazit der Autoren Cédric Feyereisen und Philip Michel endet. 

Auto vs. Fahrrad: Ein Krieg, der keiner sein müsste

Cédric Feyereisen
Cédric Feyereisen Foto: Editpress/Julien Garroy

„Cycloterroristen“, „Fahrrad-Diktatoren“, „Fahrradpropaganda“: Das sind nur ein paar der Begriffe, die als Antwort auf unsere Serie zu lesen und hören waren. Radfahren in Luxemburg scheint ein emotionales Thema zu sein – für beide Seiten. Klickt man sich durch die Fahrradgruppen und -chats in den sozialen Medien, trifft man auch dort auf Frust und Wut. Videos zeigen, wie Autofahrer hautnah an Fahrradfahrern vorbeizischen und auf Fotos ist ein Fahrradweg zu erkennen, auf dem absichtlich Nägel gestreut wurden. Auf der anderen Seite berichten die Pkw-Fahrer von Radfahrern, die selbstgerecht mit Beleidigungen um sich werfen und Fußgänger gefährden.

Aber die Kommunikation der Politiker – unabhängig davon, ob es sich dabei um leere Versprechen handelt oder nicht – scheint klar: Mehr Fahrradinfrastruktur muss her. „Dem Radfahrer muss Schritt für Schritt die Vorfahrt eingeräumt werden“, sagt etwa der Escher Bürgermeister Georges Mischo in unserem Interview. Laut Verkehrsschöffe Patrick Goldschmidt ist es wichtig, dass mehr Menschen für kurze Strecken nicht das Auto benutzen. In einer Stadt mit viel Lebensqualität „muss das Fahrrad eine wichtige Rolle spielen“, so Verkehrsminister François Bausch.

Dass Fahrradmuffel ihren Komfort beim Lesen dieser Aussagen gefährdet sehen, ist verständlich. Doch was ist die Alternative? Der neueste IPCC-Bericht macht klar: Die große Klimakatastrophe steht bevor – falls wir jetzt nichts unternehmen. Der Transport produziert in Luxemburg nun einmal den größten Teil der CO₂-Ausstöße. Heißt: Weniger Autofahren muss Teil der Lösung sein. Doch es geht nicht darum, das Auto komplett zu verbieten, den Autofahrer als Mensch zweiter Klasse abzustempeln oder einen Krieg gegen die Autoindustrie zu führen. „Ziel ist, dass die Menschen auf kurzen Distanzen nicht mehr das Auto nehmen“, hat Schroeder&Associés gegenüber dem Tageblatt gesagt. Oder wie Bausch im Interview meinte: „Es hat nichts damit zu tun, gegen das Auto zu sein, sondern für eine andere Lebensqualität.“

Denn jeder Verkehrsteilnehmer profitiert von einer guten Fahrradinfrastruktur. Mehr Menschen auf dem Drahtesel würden die Straßen auch für diejenigen entlasten, die trotzdem mit dem Privatauto zur Arbeit fahren müssen. Und: Die Konfliktsituationen zwischen Fahrrad und Auto oder Fahrrad und Fußgänger würden mit durchgehender und guter Infrastruktur auch seltener werden. Das beweisen laut Verkehrsministerium auch Erhebungen aus Kopenhagen: „Wenn die Infrastruktur und Wegeführung qualitativ hochwertig ist, verstoßen Fahrradfahrer nicht häufiger gegen Regeln als andere Verkehrsteilnehmer“, so das Ministerium.

Aber die Situation ist die, die sie ist. Verschiedene Autofahrer feinden eben Fahrradfahrer an – und umgekehrt. Da der nationale Mobilitätsplan 2035 dem Zweirad allerdings eine essenzielle Rolle zuspricht, muss die Regierung es auch schaffen, die gesamte Bevölkerung mit ins Boot zu bekommen. Schroeder&Associés haben zum Beispiel gute Erfahrungen mit Bürgerbeteiligung und Workshops gesammelt. „Als Politiker braucht man jedenfalls Mut dazu, denn man muss unter Umständen auf Konfrontation mit einem Bürger gehen, der eine ganz andere Meinung vertritt. Wenn dann zum Schluss jedoch ein gemeinsam ausgearbeitetes Resultat auf dem Tisch liegt, dann ist die Akzeptanz gegeben.“

Cédric Feyereisen


Der sichere Weg

Philip Michel
Philip Michel Foto: Editpress

Vor 40 Jahren war die Welt noch in Ordnung. Wir fuhren mit dem Fahrrad zur Schule, zum Training, zum Spielplatz und zu den Kumpels. Auf dem Bürgersteig, das Radfahren auf der Straße hatten uns die Eltern verboten. Und daran störte sich auch niemand, denn es herrschte allgemeiner Konsens, dass die Straße exklusiv dem Auto gehöre und sogar die wenigen Erwachsenen, die ein Rad benutzten, auf den Fußweg gehörten.

Das Auto war die Nummer eins, Symbol des Wohlstands und des Fortschritts. Als Anfang der 1980er-Jahre auf der Hauptstraße in Beggen eine der ersten Busspuren des Landes eingezeichnet wurde, gab es einen Aufschrei in der Bevölkerung, der in einer Petition der Autofahrer gipfelte. Die hatten den alltäglichen Stau an dieser Stelle satt und verstanden nicht, was eine Busspur an der Situation verbessern sollte.

40 Jahre später ist das Land ein anderes: Die Einwohnerzahl hat sich fast verdoppelt, die der Grenzgänger versechzehnfacht. Luxemburg ist Opfer seines Wachstums geworden. Da die Verkehrswende von den Regierungen Santer und Juncker verschlafen wurde, erlebt das Großherzogtum seinen alltäglichen Verkehrskollaps. Verschlafen ist auch das Stichwort für eine zeitgemäße Radinfrastruktur, vor allem im urbanen Raum. Das war der Ausgangspunkt dieser Serie. Es ging darum, Ursachenforschung zu betreiben und die politischen Entscheidungsträger mit konkreten Problemen zu konfrontieren. Herausgekommen sind viele große Worte. Und ein allgemeiner Konsens zugunsten der sanften Mobilität.

Ich lebe nicht mehr in dem gleichen beschaulichen Vorort wie vor 40 Jahren. Sondern mitten in Esch. Einer Stadt, die vor langer Zeit ein Radkonzept umsetzte und dann vergaß, es weiterzuentwickeln. Daran ist Bürgermeister Georges Mischo nicht schuld, vielmehr seine Vorgänger. Doch Mischo gerät genau wie seine Kollegen über Land mehr und mehr in Zugzwang. In einem Jahr sind Gemeindewahlen und dann werden die Politiker an ihren Taten, nicht an ihren Worten gemessen. Im Fall Esch ist in den letzten fünf Jahren trotz gegenteiliger Behauptungen nichts Wesentliches geschehen, was das Radfahren komfortabler und vor allem sicherer gemacht hätte. Das kann jeder bezeugen, der hier regelmäßig mit dem Rad unterwegs ist.

Die Probleme Eschs stehen dabei stellvertretend für das Land: kaum vom restlichen Verkehr getrennte Radwege, plötzlich endende Radpisten, Hindernisse auf den Radwegen und nicht verkehrsberuhigte Tempo-30-Straßen. Die Ausweichroute für die Alzettestraße steht sinnbildlich für das „Gebastel“, das Mischo im Tageblatt-Interview anprangert. Gefährlich ist sie allemal, vor allem wenn man im Gegenverkehr durch die Brillstraße fährt und wie immer der Radstreifen zugeparkt ist. Oder wenn man in der Kanalstraße das sogenannte Dooring, den Zusammenstoß mit einer sich plötzlich öffnenden Autotür, riskiert.

„Lebensqualität bedeutet, dass die Stadt den Menschen gehört“, sagte François Bausch in dieser Serie, und eben nicht dem Auto. Jean-Luc Weidert vom Ingenieurbüro Schroeder&Associés erklärte das Feedback der Einwohner nach einem Pilotprojekt mit Modalfilter (Straßendesign, das die Durchfahrt bestimmter Fahrzeuge einschränkt) in Alzingen wie folgt: „Die Menschen sind froh über das Plus an Lebensqualität durch weniger Verkehr, sind teilweise aber auch genervt von den Umwegen mit dem Auto, trauen sich aber mittlerweile auch, ihre Kinder mit dem Rad zur Schule fahren zu lassen.“ Letzteres muss das Ziel sein. Was für uns vor 40 Jahren der Bürgersteig war, kann heute nur eine sichere und durchgehende Fahrradinfrastruktur sein.

Philip Michel


Radfahren in Luxemburg – die Serie:

1. Auf dem Weg zum vollwertigen Individualverkehrsmittel: Das will der nationale Mobilitätsplan 2035
2. Acht Thesen, acht Antworten: Beliebte Vorurteile gegenüber dem Rad
3. Bürgermeister Mischo über Escher Radwege: „Habe kein Problem damit, Parkplätze zu opfern“

4. Hauptstädtischer Verkehrsschöffe Patrick Goldschmidt: „Radfahren in der Stadt ist nicht überall so ohne“
5. Der lange Weg zur Mobilität der Zukunft: Blick hinter die Kulissen
6. Wenn eine Luxemburger Stadtplanerin in den Niederlanden lebt: So sieht gute Fahrradinfrastruktur aus
7. Mobilitätsminister François Bausch: „Das alte Lagerdenken muss aufgebrochen werden“
8. Fahrradaktivisten melden sich zu Wort: „Entscheidend sind die Dinge, die man macht“

jhemp01
20. Mai 2022 - 1.24

Emmer méi Leit kommen vun emmer méi wäit an d'Stad schaffen. En plus goufen enner Gambia vill Buslinien gestrach, ennert anerem fir den Tram ze fellen! Wéi soll do also den Velo hellefen? Propos: Loosst déi komesch Kompromissléisungen vun Velosweeer sinn, an stockt den Busverkéier kräfteg op!

Fräns
19. Mai 2022 - 16.51

@ Jemp Ich liebe ihren Kommentar.

Beobachter
5. Mai 2022 - 7.13

Alles op den All Terrain Bike, och um Trottoir wou kaum ee Foussgänger ze gesinn as.No risk, no fun! Allez hop.

Jemp
4. Mai 2022 - 21.14

@ setzer: Dass gemeinsam genutzter Verkehrsraum viele Unfälle provoziert ist längst bewiesen. Leider ist man als Autofahrer sogar teilweise schuldig, wenn ein Fußgänger, der auf sein Handy starrt, von der Seite gegen ein Auto läuft, und das Auto sogar steht. Deshalb: Die Fußgänger und die Radfahrer runter von der Straße. Die Radfahrer unbedingt runter von den Gehwegen. Wir brauchen völlig getrennte Räume für Autos, Fahrräder und Fußgänger. Am besten sollte die Politik das Radfahren (und das Motorradfahren) entmutigen, es ist die gefährlichste Fortbewegungsweise, für die Radfahrer und die Fußgänger. Ich hoffe, es wird jemand irgenwann mal ausrechnen, wieviele Unfälle, Verletzte, lebeslängliche Krüppel und Tote Bausch und andere mit ihrer unsäglichen Fahrradpropaganda provoziert haben.

Romain C.
4. Mai 2022 - 18.41

Bürgersteige einfach umbenennen zu Radfahrsteigen und das Problem ist vielerorts vom Planungstisch!

setzer
4. Mai 2022 - 18.08

Wenn schon den Verkehr neu denken, warum dann nicht mit der natürlichsten Fortbewegungsart des Menchen anfangen? Und im gesamten urbanen Raum dem Fußgänger oberste Priorität einräumen? Und anstatt getrennten Verkehrswegen warum nicht hin zum gemeinsam genutzten Verkehrsraum? In 30er Zonen damit beginnen und diese so gestalten, dass ein Durchrasen weder mit dem PKW noch mit dem Fahrrad möglich ist? Und ja, auch Fußgänger die die Verkehrsregeln nich beachten und andere gefährden müsse zur Rechenschaft gezogen werden!