TheaterTiefgehender als Papierschnittwunden: Larisa Fabers „Papercut“ im Merscher Kulturhaus

Theater / Tiefgehender als Papierschnittwunden: Larisa Fabers „Papercut“ im Merscher Kulturhaus
Im Rahmen einer fiktionalen Talkshow verhandeln Larisa Faber und ihre beiden Schauspielerinnen Andrea Hall und Sascha Ley den luxemburgischen „School-Leaks“-Skandal (C) Jeannine Unsen

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In ihrem englischsprachigen „Papercut“ – einer Produktion des Merscher Kulturhauses – verarbeitet und inszeniert Larisa Faber nicht nur die „School-Leaks“-Affäre aus dem Jahr 2015, sondern zeichnet auch das Porträt einer couragierten Frau, die nicht stillschweigend über die Missstände im hiesigen Schulsystem wegsah und für ihre Überzeugungen und Werte eintrat. Auf spielerische Art und Weise nähert sich das Zwei-Personen-Stück diesem heiklen Thema, das in Luxemburg lange Zeit für reißerische Schlagzeilen und Diskussionen sorgte, an.

Nachdem vor fast sieben Jahren Prüfungsfragen der nationalen Leistungstests beim Übergang der Grund- in die Sekundarschule noch vor Abschluss der Examen in Umlauf geraten waren, mussten sich drei Lehrerinnen aus dem Echternacher Lyzeum (LCE) und der Ehemann einer der Sekundarlehrerinnen vor Gericht verantworten.

Larisa Fabers „Papercut“ nimmt den Skandal und die Gespräche mit einer der Frauen, die in die Affäre verwickelt war und unbeabsichtigt zur Mitwisserin und Whistleblowerin wurde, als Grundlage, um unter anderem Themen wie Chancengleichheit, Ungerechtigkeit und Zivilcourage zu beleuchten.

Was man sicherlich in Form eines narrativen und aufklärerischen Dokumentartheaters hätte gestalten können – man denke etwa an Ian De Toffolis „Terres arides“ – wird hier im Rahmen der fiktiven Talkshow „5 vir Zwielef“ auf die Bühne gebracht. Ein verspieltes und einfallsreiches Konzept, das trotz der schwerverdaulichen Kost aufgeht.

Die engagierte Sekundarschullehrerin, Mutter und Whistleblowerin (Sascha Ley) – deren Figur an der damals involvierten Danielle H. inspiriert ist –, erscheint bei einer luxemburgischen Fernsehshow als Gast, um vor Publikum mit der Moderatorin (Andrea Hall) über den „School-Leaks“-Skandal zu sprechen.

Dabei wird jedoch nicht bloß anhand von hitzigen Diskussionen und Musikeinlagen aller Art – das Stück hält durchaus einige Musical-Elemente bereit – die gesamte Affäre von vorne bis hinten wieder aufgerollt. Vielmehr erhalten die Zuschauer*innen einen tiefen Einblick in das durch den Skandal und den Gerichtsprozess erschütterte Privatleben der Whistleblowerin, die mit ihren Taten eigentlich nur das Richtige tun und auf gravierende Probleme in Luxemburger Schulen aufmerksam machen wollte.

Gerechtigkeit, doch um welchen Preis?

„Papercut“ verdeutlicht auf eingängige Manier, wie eine Frau, eine Sekundarschullehrerin aus Leidenschaft, die für ihren Beruf lebte und sich über diesen definierte, vermeintlich Komplizin und zugleich Opfer eines Falls von Ungerechtigkeit wurde.

Dabei illustriert das tragikomische Stück, wie die Affäre und die damit einhergehende gesellschaftliche Stigmatisierung sie nachhaltig prägte. Denn anders als Papierschnittwunden werden diese tiefgehenden Verletzungen wohl nie wieder heilen.

Selbstvorwürfe, Gewissensbisse und die immer wieder aufkommenden Frage, wie die Welt heute aussehen würde, wenn sie nicht für ihre Werte eingestanden und die Augen vor den Tatsachen verschlossen hätte, werden die Frau, die laut für Gerechtigkeit plädierte und dafür ihren Job, ihre Familie und ihre eigene Identität aufs Spiel setzte, bis an ihr Lebensende begleiten. Hätte sie damals gewusst, welchen Preis sie dafür zahlen muss, würde sie dann nochmal alles riskieren oder würde sie, wie viele andere, klein beigeben und wegschauen?

Immersive und inbrünstige Performance

Larisa Fabers hochbrisantes Stück, das sich gegen Ende hin immer mehr zuspitzt und die beiden aufgewühlten Frauenfiguren zu einer Persönlichkeit verschmelzen lässt, funktioniert gerade wegen der etwas ungezwungeneren Form einer Fernseh-Talkshow.

Die Authentizität dieses Rahmens wird durch die eingesetzte Multimedialität noch verstärkt: Über Lautsprecher eingespielte Publikumszwischenrufe, Lacher und Applauseinfälle sowie unterbrechende Werbespots und andere diverse auf eine Leinwand projizierte Videoeinlagen lassen den Theatersaal zu einem Talkshow-Raum werden, wobei die realen Zuschauer*innen auch hier auch die Rolle des fiktiven Publikums einnehmen.

Die von Marie-Lucie Theis entworfene Raumbühne, um die das Publikum im Halbkreis platziert ist, erweist sich dabei als genauso minimalistisch wie die Kostüme der beiden Darstellerinnen, die bei der Premiere von „Papercut“ eine hervorragende schauspielerische Leistung auf der Bühne – deren Boden ebenfalls ganz im thematischen Kontext der Schule als Schreibtafel fungiert – ablegten.

Wenn Sascha Ley lauthals vor sich hin schreit „I was burning inside!“, kann man die Wut, Enttäuschung, Zerrissenheit und Desillusionierung der Whistleblowerin weitaus mehr als nur nachempfinden. Dabei werden die aufbrausenden Dialoge, die sich zwischen den beiden Frauenfiguren, die sich im Nachhinein als zwei Versionen der ein und derselben Persönlichkeit entpuppen, zutragen, zu einem immersiv-intensiven Erlebnis. „Papercut“ erweist sich somit als ein Stück, das einschneidende ethische und moralische Fragen aufwirft und das man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte.

Info

Das Stück läuft noch am 25., 26., 27. und 29.1. um 20.00 Uhr im Mierscher Kulturhaus.