Portugal Spannender Wahlkampf mitten in der Corona-Welle

Portugal  / Spannender Wahlkampf mitten in der Corona-Welle
Selfie mit Wählerin: Für Portugals Ministerpräsidenten Antonio Costa wird es enger als erwartet  Foto: AFP/Patricia de Melo Moreira

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In Portugal wird gewählt und Premier Costa muss um sein Amt bangen. Seine Sozialisten wurden mittlerweile von den Konservativen fast eingeholt. 

Keine Massenveranstaltungen in Sporthallen, um Parteianhänger auf den Sieg einzuschwören. Keine öffentlichen Wahlkampfevents auf den großen Plätzen Lissabons und Portos, um noch unentschlossene Wähler zu überzeugen. Stattdessen ein Marathon aus sage und schreibe 30 TV-Debatten, in denen sich Portugals sozialistischer Premier António Costa und sein konservativer Herausforderer Rui Rio duellieren.

Die heftige Corona-Welle, die auch vor Impf-Europameister Portugal nicht haltmacht, zwingt den Staat, neue Wege in diesem Wahlkampf zu gehen. Ebenso bei der Stimmabgabe: Sie begann bereits am vergangenen Sonntag, um Schlangen vor den Urnen zu vermeiden. Und sie endet am 30. Januar mit dem Hauptwahltag in dieser vorgezogenen Parlamentswahl, aus der eine neue Regierung für jenen Staat hervorgehen wird, der in Europa wegen seiner erfolgreichen Reformen als „Wunderland“ gefeiert wird.

Spezielle Wahlzeiten für Corona-Infizierte

Auch der Favorit, der sozialistische Regierungschef Costa, warf schon am letzten Sonntag seinen Stimmumschlag in die Urne. Er forderte die Bürger auf, sich durch die Pandemie, die Portugals Infektionszahlen auf ein Rekordhoch treibt, nicht von der Wahl abschrecken zu lassen. „Wir sorgen dafür, dass alle in einem sicheren Umfeld wählen können.“ Für die aktuell schätzungsweise 400.000 mit Corona infizierten Portugiesen wurde die letzte Stunde vor Schließung der Wahllokale reserviert.

Die meisten Umfragen sehen den Sozialisten Costa, der mit seiner Minderheitsregierung bisher eine sozialdemokratische Linie verfolgte, in dieser Neuwahl vorn. Allerdings schmilzt sein Vorsprung von Tag zu Tag. Der konservative Rival und Oppositionschef Rui Rio rückt in den Wählerbefragungen immer näher an den seit sechs Jahren amtierenden Ministerpräsidenten heran. Und zwar so nahe, dass er sich inzwischen Hoffnung machen kann, die Macht in Portugal zu erobern.

Laut dem letzten Wahlbarometer, das Portugals öffentlicher TV-Sender RTP und die große Tageszeitung Público veröffentlichten, liegt der Abstand zwischen beiden Konkurrenten nur noch bei vier Prozentpunkten. Costas Sozialisten (PS) können demzufolge mit 37 Prozent rechnen, Rios Konservative, die in Portugal kurioserweise als Sozialdemokratische Partei (PSD) firmieren, werden 33 Prozent zugetraut. Zu Beginn dieser Wahlschlacht lagen die Sozialisten noch zehn Prozentpunkte vor den Konservativen.

Ohne kleine Parteien wird nichts gehen 

Wenn sich die Tendenzen am 30. Januar bestätigen sollten, wird eine neue Regierung lediglich mit Pakten möglich sein. Dem Sozialisten Costa bleibt dann nur, sich mit jenen zwei kleinen Linksparteien wieder zusammenzuraufen, mit denen er sich in den letzten Monaten zerstritten hatte – ein wackeliges Regierungsmodell, das in Portugal als „Klapperkiste“ bezeichnet wurde.

Die beiden potenziellen  Partner, der Linksblock und die Kommunistische Partei, hatten Costa seit seinem Regierungsantritt 2015 unterstützt. Doch dann, im Herbst 2021, ließen sie Costa und seinen Haushalt fallen. Vor allem, weil ihnen die geplanten sozialen Reformen, wie etwa die Erhöhung des Mindestlohns und der Renten, nicht weit genug gingen.

Wahlplakat in Lissabon: Oppositionschef Rui Rio rückt in den Wählerbefragungen immer näher an den seit sechs Jahren amtierenden Ministerpräsidenten heran
Wahlplakat in Lissabon: Oppositionschef Rui Rio rückt in den Wählerbefragungen immer näher an den seit sechs Jahren amtierenden Ministerpräsidenten heran Foto: AFP/Patricia de Melo Moreira

Dem konservativen Kandidaten Rio bieten sich als Steigbügelhalter ebenfalls Kleinparteien rechts der Mitte an. Darunter befindet sich die populistische Formation Chega. Die Rechtsaußenpartei, die bisher einen Abgeordneten im Parlament hatte, könnte nun mindestens sechs Prozent holen und damit drittstärkste Fraktion werden. Chega trommelt, wie die meisten europäischen Schwesterparteien, gegen Einwanderer, den Islam und die EU-Gemeinschaftspolitik. Eine Zusammenarbeit mit Chega wäre für Rio, ein gemäßigter Konservativer, nicht einfach.

Eine Große Koalition zwischen den beiden Volksparteien, Sozialisten und Konservativen, scheint unterdessen ausgeschlossen. Costa lehnt ein solches Kabinett der politischen Mitte, wie es zum Beispiel in Deutschland von 2017 bis 2021 bestand, rundweg ab. Während sein Konkurrent Rio die Hand ausstreckte mit dem Argument: Ein Pakt zwischen den beiden Traditionsparteien sei besser, als sich in die Abhängigkeit kleiner Bewegungen am Rand des politischen Spektrums zu begeben.

Sechs Jahre gar nicht so schlecht gefahren

Dabei ist Portugal die letzten sechs Jahre mit seiner sozialistischen „Klapperkisten“-Regierung, die von den kleinen Linksparteien gestützt wurde, gar nicht so schlecht gefahren. Das Land, das vor einem Jahrzehnt noch der Staatspleite nahe war, glänzt heute durch eine solide Haushaltspolitik, überdurchschnittliches Wachstum und geringe Arbeitslosigkeit.

Auch in Sachen Pandemie gilt Portugal als Musterland: Die sehr hohe Impfquote von 90 Prozent der Bevölkerung sorgt nun dafür, dass die Portugiesen gut durch die aktuelle Corona-Welle kommen: Die Neuinfektionen sind zwar, wie überall auf dem Kontinent, explodiert. Aber in kaum einem anderen europäischen Land liegen so wenige Menschen mit Covid-19-Komplikationen auf der Intensivstation.