Must-See Movies (8)Abtreibung, unter allen Umständen: „Never Rarely Sometimes Always“ von Eliza Hittman

Must-See Movies (8) / Abtreibung, unter allen Umständen: „Never Rarely Sometimes Always“ von Eliza Hittman

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Die städtische Cinémathèque hat zu Jahresbeginn wieder cinephilen Nachhilfeunterricht im Spielplan. Aus verschiedensten Gründen sind die programmierten Filme nicht oder nur sporadisch auf luxemburgischen Kinoleinwänden zu sehen gewesen. Das Tageblatt stellt die sogenannten elf Must-See-Filme vor.

Der Sundance- und Berlinale-Film „Never Rarely Sometimes Always“ ist auf den ersten Blick ein Abtreibungsdrama. Der 17-jährigen Autumn wird bestätigt, was sie seit einigen Tagen sowieso schon geahnt hat. Die introvertierte junge Frau ist sich trotz allem sicher, dass ein Leben als Mutter für sie keine Option ist. Tatsache ist aber auch, dass die Prozedur eines Schwangerschaftsabbruchs in ihrem Bundesstaat Pennsylvania schwieriger ist als angenommen. Ohne das Einverständnis eines Elternteils kann Autumn die nächsten Schritte nicht gehen. Zusammen mit ihrer Cousine und bester Freundin Skylar steigt sie in einen Bus mit New York als Ziel, wo sie aber genau diesen Eingriff alleine durchziehen lassen kann. Der Aufenthalt vor Ort stellt sich schlussendlich als länger heraus als anfangs gedacht.

Das Abtreibungsthema ist in den Vereinigten Staaten weiterhin ein sehr heißes Eisen. Und oft das Zeichen für weibliche Selbstbestimmung. Es mag alles andere sein als ein US-amerikanisches Thema  – ein Wiederaufblühen von regressiv-patriarchalen Elementen in Gesellschaft und Politik ist auch in der Post-„metoo“-Ära zu beobachten –, doch „Never Rarely Sometimes Always“ ist sehr wohl eine Reaktion auf die traurigen Entwicklungen unter der letzten Präsidentschaft, die die Fortschritte in dieser Hinsicht um Jahrzehnte nach hinten geworfen haben. Die Regisseurin Eliza Hittman setzt diesem „Real-Life“-Drama ein filmisches Drama entgegen. Ein Abtreibungsdrama. Obwohl das Wort Drama für diesen cineastischen Vorschlag zu diesem Thema nicht wirklich angebracht ist.

Ein leiser Film mit lauter Botschaft

Der Autor dieser Zeilen stand während der Berlinale 2020 diesem Film einen Funken ratlos gegenüber. Und erst bei der wiederholten Betrachtung fiel der Groschen. „Never Rarely Sometimes Always“ entzieht sich den konventionellen dramatischen Konventionen – die Hauptfigur erhält nicht den klassischen dramaturgischen Bogen und der Film lauert nicht mit Kehrtwendungen auf, die die Figuren zu meistern haben. Das Drama ist da – die Szene, die den Filmtitel erklärt, bricht einem das Herz –, der Schwerpunkt liegt jedoch woanders.

Hittman interessiert natürlich der sogenannte Abtreibungstourismus, an dem Frauen partizipieren, um die Behandlung zu bekommen, die sie sich wünschen. Es ist aber die komplette Entdramatisierung der Prozedur Schwangerschaftsabbruch, die sich schlussendlich als logistisch etwas aufwendig und lästig erweist. Und dieses – im Film übrigens wortwörtlich formulierte – „kind of whatever“ ist das Politische, welches den AbtreibungsgegnerInnen auf allen Ebenen die Luft aus den Segeln zu nehmen versucht.

Ähnlich wie „The Assistant“ von Kitty Green ist „Never Rarely Sometimes Always“ ein leiser Film mit einer leisen Protagonistin – Debütantin Sidney Flanigan, die in ihrer Zerbrechlichkeit wie aus dem wahren Leben gepflückt erscheint. Hélène Louvarts 16mm-Bilder lassen ein zeitloses New York aufblitzen, welches an Chantal Akermans Porträt der Stadt aus „News from Home“ erinnert. Es sind aber gerade die grobkörnigen Bilder, die den Film zu einer detailverliebt präzisen, emphatischen, fast schon dokumentarisch anmutenden Arbeit werden lassen. „Never Rarely Sometimes Always“ ist gerade in seiner Ruhe der lauteste Schrei nach Veränderung.