Must-See Movies (6)Zärtliche Männerfreundschaft im Wilden Westen: „First Cow“ von Kelly Reichardt

Must-See Movies (6) / Zärtliche Männerfreundschaft im Wilden Westen: „First Cow“ von Kelly Reichardt

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Die städtische „Cinémathèque“ hat zu Jahresbeginn wieder cinephilen Nachhilfeunterricht im Spielplan. Aus verschiedensten Gründen sind die programmierten Filme nicht oder nur sporadisch auf luxemburgischen Kinoleinwänden zu sehen gewesen. Das Tageblatt stellt die sogenannten elf Must-See-Filme vor.

Wenn es ein zeitgenössischer Filmautor – oder Filmautorin, wie sich herausstellt – sein soll, um den Begriff des „Americana“ poetisch und pur zu artikulieren, dann kann das nur Kelly Reichardt sein. Mehr Independent- als Arthouse-Kino hat Reichardt mit ihren sieben Spielfilmen einen schlüssigen künstlerischen Weg eingeschlagen, der aus der amerikanischen Filmtopografie nicht mehr wegzudenken ist. Apropos Topografie: Für „First Cow“ schlägt sie ihr Zelt wieder einmal im Bundesstaat Oregon auf, in dem sie scheinbar jeden grünen Flecken und jede Waldlichtung zu kennen scheint. Immer wieder sind dort nämlich ihre Geschichten auf der Landkarte zu verorten.

Oregon in „First Cow“ ist ein noch ungezähmter und wilder Flecken, auf dem die ersten Siedler und Cowboys versuchen, über die Runden zu kommen. Und zwar jeder auf seine Art. Die meisten scheinen schlecht gelaunte rüpelige Trapper zu sein, die auf Biberfelle aus sind, doch auch schlecht gelaunte rüpelige Trapper müssen was in den Magen bekommen. Auftritt Otis Figowitz, Cookie genannt, der genau das macht und ist, wie sein Spitzname nahelegt.

Feministisch trotz fehlender Frauenfiguren

Eine ruhige, introvertierte Seele, die tagaus, tagein für diese Trapper durch Waldlandschaften zieht, um Essbares zu finden. Eines Nachts trifft er auf King-Lu, einen chinesischen Immigranten, der auf der Flucht ist, weil er einen Russen umgebracht hat. Cookie bietet ihm an, sich in seinem Zelt zu verstecken. Die beiden freunden sich an und Cookie erzählt, wie er sich seinen Traum einer eigenen Bäckerei erfüllen möchte. Wenn auch keine Bäckerei, so eröffnet sich mit der Ankunft der „first cow“, der ersten Kuh des lokalen Kommissionärs, kurzfristig eine Gelegenheit, schnelles Geld zu verdienen. Mit der Kuhmilch könnte man nämlich sehr lecker backen.

Mit einer Seelenruhe und Präzision in Regie und Dramaturgie schmiedet Regisseurin Kelly Reichardt einen Western, der so in seiner Art und Weise einzigartig ist. Der Western, das amerikanische Filmgenre schlechthin, welches seit Anbeginn des Films ein Männlichkeitsbild perpetuiert und fantasiert wie sonst kaum etwas, wird hier im Film von einem Feminismus unterwandert und dekonstruiert, ohne sich auch nur eine Sekunde der zerstörerischen Konnotation des Begriffes Dekonstruktion hinzugeben. Feministisch, obwohl nicht eine einzige weibliche Figur von narrativer Wichtigkeit im Film wiederzufinden ist.

„First Cow“, ein Western durch und durch, nicht einmal revisionistisch zu denken, inszeniert und formuliert eine Männerfreundschaft, wie man sie in einem solchen Rahmen noch nicht gesehen hat. Voller Empathie und Nächstenliebe von den relativen unbekannten Gesichtern von John Magaro und Orion Lee verkörpert, ist „First Cow“ auch ein Film über das Sinnliche. Sei es das Sinnliche des Handgemachten, des Essens oder zwischenmenschlicher Beziehungen. Es bietet sich an, Kelly Reichardts Film im Doppelpaket mit Jane Campions „The Power of the Dog“ zu sehen. Beide Filme verhandeln im Grunde die gleichen Thematiken, könnten sie aber nicht gegensätzlicher angehen.

Wann läuft der Film?

Mittwoch, 19. Januar 2022, um 18.30 h: „First Cow“ (2019) von Kelly Reichardt mit u.a. John Magaro und Orion Lee. Erstplatzierung auf der Jahresbestenliste der „Cahiers du cinéma 2021“ sowie Jurypreis beim amerikanischen Filmfestival von Deauville 2020.