Must-See Movies (5)Ein Trickbetrüger-Trio aus Los Angeles: „Kajillionaire“ von Miranda July

Must-See Movies (5) / Ein Trickbetrüger-Trio aus Los Angeles: „Kajillionaire“ von Miranda July

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Die städtische „Cinémathèque“ hat zu Jahresbeginn wieder cinephilen Nachhilfeunterricht im Spielplan. Aus verschiedensten Gründen sind die programmierten Filme nicht oder nur sporadisch auf luxemburgischen Kinoleinwänden zu sehen gewesen. Das Tageblatt stellt die sogenannten elf Must-See-Filme vor.

Oft werden die Filme von Miranda July als quirky und schrullig abgestempelt. Was ja meistens sonst nichts ist als eine Reformulierung für „ganz nett anzusehen, hinterlässt aber keine lang anhaltenden Spuren“. Egal wie man zu Julys Filmen steht – und es waren bisweilen nur zwei abendfüllende Spielfilme sowie das Drehbuch für „Beginners“ in der Regie ihres Lebenspartners Mike Mills – dürfte dieser im Grunde degradierende Stempel mit „Kajillionaire“ ein für allemal begraben werden.

Der dritte Film von July erzählt von einer kleinen Gruppe von Trickbetrügern. Eine Familie aus Trickbetrügern. Vater Robert, Mutter Theresa und Tochter Old Dolio. Kulisse ihrer familiären Routine aus Geschwindel mit Coupons, Betrügereien mit mehr oder weniger ausgeklügelten Szenarien und regelrechtem Geklaue ist das von der Sonne verbleichte, menschenleere Industriezonen-Los-Angeles. Die Familie lebt sogar in einer zweckentfremdeten kleinen Halle, in der wenigstens einmal am Tag rosaroter Schaum von der benachbarten Fabrik von der Decke herab an der Mauer entlang herunter quillt.

Ein Film mit viel Humor und toller Musik

Dass das Zwischenmenschliche bei dieser Familie längst auf der Strecke geblieben ist, ist nicht sonderlich schwer zu erkennen. Vor allem Old Dolio tut sich im Austausch mit der Umwelt schwer. Bei einem für die familiären Verhältnisse aufwendigen Coup, der die monatelang hinfällige Miete decken soll, lernt das Trio Melanie kennen. Dass diese junge Frau die Familienverhältnisse zu sprengen vermag, daran wurde im Masterplan kein Gedanke verloren.

Einigen Zuschauern wird auch die neue Regiearbeit von Mirandy July außer der gewohnten Schrulligkeit nichts weiter geben dürfen. Aber das liegt daran, dass sich „Kajillionaire“ auf der Oberfläche als etwas verkauft und darunter etwas ganz anderes versteckt. „Kajillionaire“ will sich auf den ersten Blick als eine Art Riff auf „Ocean’s Eleven“ und das Genre des Heist-Films verstehen. Nur, dass es um keine Beträge in Millionenhöhe geht und die Protagonisten alles andere als glamouröse Herzensbrecher à la Brad Pitt und Matt Damon sind – ganz im Gegenteil. Alleine Evan Rachel Woods Auftreten ist irritierend und herzzerbrechend zugleich. Glatte, bauchlange Haare, riesige Brille und übergroßer Trainingsanzug sind visuelle Codes für eine Figur, die in ihrem Leben nicht einmal das eigene Spiegelbild gesehen und Elternliebe erhalten hat.

„Kajillionaire“ ist eine understatete Affäre voller erfinderischer Momente aus inszenatorischen, choreografischen und humoristischen Elementen – und von der einfach nur wunderschönen Filmmusik nicht zu reden, die Bobby Vintons Nummer „Mr. Lonely“ als Grundlage hat –, hinter der sich eine erdrückende Traurigkeit versteckt. Der wunderbare Richard Jenkins wird hier nicht gegen seinen Typ besetzt, aber mit seiner quirligen Art und Weise wird etwas viel Tragischeres erzählt als die traurige Clownsfigur. „Kajillionaire“ ist die Geschichte einer dysfunktionalen Familie kosmischen Ausmaßes. Denn es wird mehr als ein kleines Zittern der kalifornischen tektonischen Platten brauchen, damit sich in dieser Familie was ändert.

Wann läuft der Film?

Montag, 17. Januar 2022 um 20h30: „Kajillionaire“ (2020) von Miranda July, mit u.a. Evan Rachel Wood, Debra Winger und Richard Jenkins. Publikumspreis beim Pariser „L’Etrange Festival 2020“.