BuchkritikUnbekümmerte Sprache, tief sitzende Probleme: Heinz Strunks „Es ist immer so schön mit dir“

Buchkritik / Unbekümmerte Sprache, tief sitzende Probleme: Heinz Strunks „Es ist immer so schön mit dir“
Heinz Strunk erhielt 2016 den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis Foto: Dennis Dirksen

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Wie man aus einer stinknormalen, gar öden Liebesgeschichte eine anregende Erzählung macht, zeigt uns der gebürtige Hamburger Heinz Strunk. Mit seinem Roman „Es ist immer so schön mit dir“ landete der Schriftsteller und Musiker nicht nur auf der diesjährigen Longlist des Deutschen Buchpreises, sondern schreibt damit eine Tragikomödie, die vertrackte Persönlichkeiten in den Fokus rückt und in erster Linie wegen ihres ironisch-sarkastischen Tons überzeugt. Wäre die Handlung stellenweise nicht derart vorhersehbar, hätte Strunk mit seinem Text einen Volltreffer gelandet.

Der namenlose Protagonist der Erzählung scheint in einer Midlife-Crisis angekommen: Der Mittvierzigjährige fühlt sich in seinem Körper, in dem „aufrecht stehenden Sack voller Eingeweide“, ebenso unwohl wie in seiner langjährigen und sexlosen Beziehung zu der tantchenhaften Mathematiklehrerin Julia. Wilde Nächte weichen Zoobesuchen am Wochenende und aus leidenschaftlicher Liebe wird Freundschaft. Die Flamme ist schlichtweg erloschen und über das Problem der unfreiwilligen Enthaltsamkeit, das wie eine dunkle Wolke über der Beziehung hängt, wird lieber nicht gesprochen.

Heinz Strunk in Luxemburg

Der 59-jährige Satiriker, Schauspieler und Schriftsteller wird am kommenden Sonntag (16.1.) auf der Bühne des Atelier in Luxemburg-Stadt stehen, um aus seinem Buch „Nach Notat zu Bett. Heinz Strunks Intimschatulle“ vorzulesen. Den Grundstein für das Buch legte Strunk mit seinen Kolumnen im Satiremagazin Titanic, wo er drei Jahre lang öffentlich Tagebuch schrieb. Der Text pendle laut der Website des Veranstalters zwischen „unernster Figurenrede, Kurzessayistik, Aphorismus, Quatsch, Trübsinn und auch nicht wenig Tiefsinn“. Geschildert würden „’Alltagsbeobachtungen’, Lektüren anderer Autoren, Privatfernsehabende bei viel Alkohol, Aphorismen, Selbstbeobachtung beim Altern, alberne ’Karrieretipps’, manchmal auch Poesie“.

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Das Leben des ehemaligen Musikers – der inzwischen ein Tonbandstudio besitzt – ändert sich jedoch schlagartig, als er auf einer Premierenfeier die junge Schauspielerin Vanessa kennenlernt. Vom ersten Moment an schwirrt sie in seinem Kopf herum – er kann nicht anders als durchgehend an sie zu denken, denn sie gibt ihm das lang ersehnte Gefühl, endlich wieder begehrt und lebendig zu sein. Nach einigen mehr oder weniger gelungenen Treffen gerät der Stein dann langsam ins Rollen: Die beiden beginnen eine Affäre, die, nachdem er sich von Julia trennt, in eine feste Beziehung mündet. Dass der Protagonist des Romans damit seine ehemalige Kuschelbeziehung gegen ein toxisches Liebesverhältnis austauscht, konnte er nicht ahnen – die LeserInnen allerdings schon.

Sich gegenseitig tiefe Wunden reißen

Aus der Perspektive eines auktorialen Erzählers, mit interner Fokalisierung auf die männliche Hauptfigur des Romans, schildert Strunk das Geschehen einer verhängnisvollen Amour fou, die immer obsessiver und giftiger wird. Dabei weiß man eigentlich nicht so recht, welche der beiden Parteien versehrter ist, denn sowohl der Held der Geschichte – der hinsichtlich seines selbstzerstörerischen Charakters zum Anti-Held wird – als auch Vanessa sabotieren die Beziehung.

Während sie Psychospielchen mit ihm treibt, ihn absichtlich tagelang ignoriert (Stichwort „Ghosting“) und mehr von ihm verlangt, als sie geben kann, betrügt er sie, wird zum notorischen Lügner und versinkt in Selbstmitleid, das er mit seinen ständigen Saufgelagen nur noch verschlimmert. Es scheint, als hätten zwei sehr kaputte Menschen zueinander gefunden, nur um sich gegenseitig noch mehr Schaden zuzufügen.

Destruktive Liebe und toxische Männlichkeit

Vanessa macht ihn verrückt – sowohl im positiven wie auch im negativen Sinne – und er kommt einfach nicht von ihr los. Ihre Beziehung ist einerseits geprägt von extremen Höhen und von kurzatmigen Glücksmomenten, zeichnet sich anderseits durch wiederkehrende Funkstille, Misskommunikation und psychisch belastende Streitereien aus. Hinzu kommen die Eifersuchtsanfälle des Protagonisten, die sich insbesondere durch seine eigene Unsicherheit und seinen Mangel an Selbstbewusstsein erklären lassen. Strunk entwirft damit einen männlichen Hauptcharakter, der nicht nur sein Leben und sich selbst als gescheitert betrachtet (der fehlende Durchbruch als Mitglied einer Rockband hat ihn nachhaltig geprägt), sondern der hinsichtlich seines Aussehens in seinen Augen nicht mit den anderen Männern in Vanessas Leben mithalten kann. Er vergleicht sich mit ihren ehemaligen Partnern und stellt sich konsequent selbst infrage.

Heinz Strunk: „Es ist immer so schön mit dir“, Rowohlt 2021, 288 Seiten, 22 Euro
Heinz Strunk: „Es ist immer so schön mit dir“, Rowohlt 2021, 288 Seiten, 22 Euro Foto: dpa

Dieses Verhalten wirkt sich ebenso negativ auf die Beziehung aus wie Vanessas Borderline-Syndrom (das im Text zwar nicht explizit geschildert wird, man kann die Persönlichkeitsstörung dennoch herauslesen) und ihre Essstörung, die stets am Rande erwähnt wird. So ernst und alarmierend Anorexie eigentlich ist, so überspitzt und bissig geht der Autor in seinem Roman mit diesem Thema um, wenn er seinen Protagonisten die sich nahezu in Luft auflösende Figur und die eingeschränkte Nahrungsaufnahme seiner Partnerin kommentieren lässt.

Hemmungslos direkter Schreibstil

Vanessas gestörtes Verhältnis zu Männern lässt sich mutmaßlich auf ihren erlebten sexuellen Missbrauch in ihrer Jugendzeit zurückführen: Lars, der Diakon aus der Gemeinde, hat das junge Mädchen damals mehrfach vergewaltigt. Später stellte sich dann heraus, dass der Mann sich bereits an mehreren Mädchen vergangen hat und nahezu ungeschoren davongekommen ist. Strunk lässt in dieser Passage von seinem sarkastischen Stil ab und schildert das Vergangene in einem tiefergreifenden Ton. Der Roman streift damit ernste Probleme wie Magersucht und Missbrauch, stellt allerdings die instabile männliche Psyche des Protagonisten in den Vordergrund.

Punkten tut der Roman vor allem mit den unverschämt frechen und ironischen Bemerkungen des Erzählers und den unzensierten Gedanken des Protagonisten, die zwischenzeitlich in der Ich-Form wiedergegeben und in Kursivschrift gekennzeichnet werden. Strunk nimmt in „Es ist immer so schön mit dir“ kein Blatt vor den Mund und kommt mit teils sehr saloppen Redewendungen daher, die die unterschwellige schwere Kost des Romans durchaus verdaulicher machen, aber keineswegs verharmlosen. Schade, dass der Plot an manchen Stellen von Einfallslosigkeit strotzt und die Reaktionen und Handlungen der Figuren, wie die Untreue des Protagonisten, teilweise zu vorhersehbar sind.