Must-See Movies (4)„The Woman Who Ran“: Vom Schein und Sein von Frauen aus der Mittelschicht

Must-See Movies (4) / „The Woman Who Ran“: Vom Schein und Sein von Frauen aus der Mittelschicht

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Die städtische Cinémathèque hat zu Jahresbeginn wieder cinephilen Nachhilfeunterricht im Spielplan. Aus verschiedensten Gründen sind die programmierten Filme nicht oder nur sporadisch auf luxemburgischen Kinoleinwänden zu sehen gewesen. Das Tageblatt stellt die sogenannten elf Must-see-Filme vor.

Das koreanische Kino ist in aller Munde. Und nicht erst, seit der Oscar an „Parasite“ und seinen Regisseur Bong Joon-ho ging. Bereits davor konnte Park Chan-wook mit seinen Filmen „Oldboy“ und „The Handmaiden“ Kritiker- sowie Publikumserfolge feiern. Die Liste von koreanischen Regisseuren und Regisseurinnen, die interessante Arbeiten liefern, scheint schier unendlich.

Die Streamingplattform „Mubi“ bietet in diesem Kontext gerade eine Auswahl an „New South Korean Cinema“ an, die unbekannte(re) Kreativköpfe und Filme hervorzuheben gedenkt. Hong Sang-soo ist einerseits verhältnismäßig bekannt und preisgekrönt – seine jeweiligen Filme wurden auf den Berlinalen 2020 und 2021 mit Bären ausgezeichnet –, doch außerhalb von Filmfestivals und hartgesottenen cinephilen Kreisen wird seiner Filmografie wenig Beachtung geschenkt. Vor allem auch, weil seine Filme weniger automatisch den Weg in reguläre Kinoprogramme finden. Der Autor dieser Zeilen wagt zu behaupten, dass „The Woman Who Ran“ der erste Film des Regisseurs ist, der es auf eine luxemburgische Kinoleinwand geschafft hat.

Samtpfoten auf der Leinwand

Statt zu rennen, wie etwa im Titel angedeutet, geht Gam-hee in der traditionell kurzen Spielzeit des Films (knappe 75 Minuten; mit „Un monde“, der am Dienstag lief, der kürzeste Film der Must-see-Auswahl) vielmehr während einer kurzen Arbeitsreise ihres Mannes drei Freundinnen besuchen. Die erste Freundin hat sich in einem idyllischen Vorstadtgebiet Seouls niedergelassen, wo sie nach ihrer Scheidung mit einer Mitbewohnerin einen Garten hegt und pflegt. Die Nächstbesuchte ist Pilates-Trainerin und gelegentliche Tanzperformance-Produzentin, die sich vor allem jedoch über ihre neu erlangte Wohnung freut. Das Treffen mit der dritten Bekannten ist insofern anders, als damit vielleicht die Hintergründe von Gam-hees kurzer Reise und ihrer Psyche geliefert werden, die bis dahin trotz perfekt ausgeleuchteter Wohnungen im Dunkeln bleiben.

Wenn man einmal vom größten Katzenauftritt der jüngsten Kinogeschichte absieht – schon alleine der Zoom beim „Reaction Shot“ auf eine Katze, über die minutenlang für Hong-Sang-soo-Verhältnisse aufgeladen hitzig diskutiert wird und der bei der Pressevorstellung bei der Berlinale für spontanen Szenenapplaus geführt hat –, erzählt der koreanische Regisseur hier mit Hilfe von narrativen und formalen Wiederholungen vom Schein und Sein mittelständischer Frauen. Diese Wiederholungen ziehen sich wie ein roter Faden durch sein Œuvre, aber schon unabhängig davon sind die Repetitionen mit den klitzeklein subtilen Variationen als regietechnisches Merkmal Hong Sang-soos zu verstehen.

Nicht alles ist eitel Sonnenschein

Kim Min-hee  – mit der der Regisseur schon fast zehn Filme gemacht hat und die auch in „The Handmaiden“ eine Hauptrolle innehatte – als Gam-hee gibt auch jedes Mal auf die Frage nach ihrem Mann zu verstehen, dass sie glücklich seien und noch nie in fünf Jahren getrennt waren, und trotzdem schimmert in der Wiederholung durch, dass nicht alles „heile Welt“ ist. Und sei es nur wegen einer längeren Atempause oder eines leeren Blicks. Und es ist am Zuschauer, die Variationen als solche herauszulesen und für sich zu interpretieren.

Das Kino von Hong Sang-soo bleibt sich auch in diesem Film treu. Ästhetisch low-fi, ähneln seine Bilder denen der Überwachungskameras, die scheinbar in jeder Wohnung, die Gam-hee besucht, installiert sind. Die sporadisch auftauchenden Männerfiguren werden systematisch von hinten eingefangen und man wird das Gefühl nicht los, dass Gam-hee eben vor diesen wegläuft. „The Woman Who Ran“ ist auf alle Fälle eine interessante Einführung in das Kino eines Regisseurs, der schon länger hier hätte vorgestellt werden sollen.