Anti-Corona-Proteste„Wenn ich Sie wäre, würde ich zurücktreten“: Parlament verurteilt Gewalt – und Roy Redings Posts

Anti-Corona-Proteste / „Wenn ich Sie wäre, würde ich zurücktreten“: Parlament verurteilt Gewalt – und Roy Redings Posts
 Foto: Editpress/Isabella Finzi

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Die Ausschreitungen bei dem Anti-Corona-Protest am vergangenen Samstag bewegen das Land. Am Dienstag waren sie auch Thema in der Chamber. Eingeleitet wurde die Sitzung von einer wütenden Rede von Premierminister Xavier Bettel. 

„Die Szenen am Samstag können wir nicht akzeptieren und werden wir nicht akzeptieren“, sagte Premierminister Xavier Bettel in einer emotionalen Rede am Dienstagnachmittag im Luxemburger Parlament. Man könne es nicht tolerieren, dass der Holocaust verleugnet, Gewalt ausgeübt, Personen eingeschüchtert und Journalisten in der Arbeit beeinflusst und gestört werden. „Es geht um das Fundament unseres Rechtsstaats“, sagt der Premier weiter. Deswegen müsse nun gehandelt werden.

Es habe deswegen am Dienstag im Staatsministerium ein gemeinsames Treffen mit der Polizei, der Staatsanwaltschaft und der Stadt Luxemburg gegeben. „Sämtliche Verstöße gegen geltende Gesetze müssen aufs strengste bestraft werden“, sagt Bettel unter Zustimmungsrufen anwesender Parlamentarier und Regierungsmitglieder. Es solle in Zukunft bei Demonstrationen strenger kontrolliert werden. Die Stadt Luxemburg würde der Polizei die notwendigen Möglichkeiten einräumen.

„Die Demokratie wird nicht vor einer gewaltbereiten Gruppe in die Knie gehen. Die Mehrheit verurteilt die Gewalt am Samstag“, erklärte Bettel – und wandte sich direkt an jene Corona-Protestler, die friedlich gegen die Maßnahmen demonstrieren wollten. „Lassen Sie sich nicht von Aufhetzern instrumentalisieren – beteiligen Sie sich nicht an Demonstrationen, bei denen schon im Vorfeld zu Gewalt und Hass aufgerufen wird.“ Man müsse als Demonstrant auch akzeptieren, wenn andere die eigene Weltsicht nicht teilten. 

„Brandherd“ soziale Medien

Die sozialen Medien hätten sich zu einem „Brandherd“ entwickelt, sagte Bettel. Die Ausschreitungen von Samstag seien das Symptom eines Problems, das man nun „dringend angehen müsse“ und das man „als Politik nicht immer ernst genommen habe“. Deswegen soll nun mit allen Parteien zusammen ein Aktionsplan ausgearbeitet und eine Beratungsdebatte einberufen werden. 

Bettel verurteilt auch die Handlungen des ADR-Abgeordneten Roy Reding scharf. Es sei nicht zu tolerieren, dass einzelne politische Mitglieder die Stimmung „selbst aufheizen“. Reding habe es bewusst in Kauf genommen, dass ein Tageblatt-Journalist unter Druck gesetzt wird, als er die Telefonnummer des Redakteurs veröffentlichte.

Die Handlungen Redings wurden auch von Fraktionsvorsitzenden in der anschließenden Debatte verurteilt. DP-Politiker Gilles Baum ging sogar so weit und legte Reding einen Rücktritt nahe: „Wenn ich Sie wäre, würde ich zurücktreten.“ LSAP-Fraktionschef Georges Engel bezeichnete die ADR-Abgeordneten als „Doppelagenten“, die Verschwörungstheorien in parlamentarischen Fragen und in ihren eigenen Veranstaltungen verbreiten würden – und schließt sich den Worten von Baum an. Die Haltung des Abgeordneten und der Post über die Reise nach Afrika, um die Omikron-Variante mitzubringen, seien „ein Schlag ins Gesicht von denen, die auf den Intensivstationen arbeiten“. Während die CSV auch der Regierung leichte Vorwürfe macht („Es wurde nicht ausreichend kommuniziert“), sah der LSAP-Fraktionsvorsitzende Goerges Engel ein Problem bei der Polizei. Die müsste in Zukunft die Fehler von Samstag vermeiden. „So ein Präsident (Reding ist der Vorsitzende der Chamber-Kommission zum Règlement) gehört abgesetzt“, sagte die Fraktionssprecherin der Grünen Josée Lorsché. Sie legt Reding ebenfalls den Rücktritt nahe. 

Alle Parteien verurteilten die Ausschreitungen von Samstag.* Die „Einschüchterungsmethoden“, die Stürmung des Weihnachtsmarkts und die Verharmlosung des Holocausts seien nicht zu akzeptieren. Die CSV-Fraktionsvorsitzende Martine Hansen betonte, dass nicht alle Protestierenden die Gewalt unterstützt hätten – und forderte diese auf, sich von den Taten zu distanzieren und nicht an solchen Protesten teilzunehmen.  

„Laute Minderheit mit Selbstbewusstsein“ 

Josée Lorsché findet in ihrer Rede hingegen klare Worte, was nach den Ausschreitungen am Samstag passieren müsse. Die „laute Minderheit“ habe mittlerweile ein großes „Selbstbewusstsein“ entwickelt. Doch wer gegen Gesetze verstoße und anderen drohe, müsse mit einer „bedingungslosen Antwort des Rechtsstaats“ rechnen. Die Sprecherin der Grünen reichte auch eine gemeinsame Resolution von „déi gréng“, LSAP, DP und „erfreulicherweise und das begrüße ich ausdrücklich“ auch der CSV, „déi Lénk“ und den Piraten ein. Fehlen würden die Unterschriften der ADR. In dieser werden die Geschehnisse am Samstag verurteilt.

ADR-Sprecher Fernand Kartheiser will diese Resolution vorher nicht gesehen haben, doch seine Partei trägt sie bei der Abstimmung am Ende der Diskussion mit. Man stehe als Partei hinter den friedlichen Demonstranten und man dürfe „Einzelne nicht für die Verfehlung Einzelner mitverantwortlich machen“, sagt Kartheiser. Man verurteile die Gewaltexzesse und die Holocaust-Vergleiche. Kartheiser startet in seiner Rede auch einen Frontalangriff auf die Presse. Er stellt den Parteikollegen Roy Reding als Opfer von Hetze und Verleumdung dar, die Presse würde Leute „an den Pranger“ stellen. „Wir sind nicht mehr im Mittelalter und so was geht nicht“, sagte Kartheiser und hielt den Artikel des Tageblatt „Lügen, Propaganda, wirre Theorien: Das sind Luxemburgs gefährliche Schwurbel-Influencer“ in die Höhe. Ein Großteil des Beitrags von Kartheiser drehte sich nicht um die Ausschreitungen von Samstag, stattdessen griff er viele Argumente und Kritiken der Anti-Corona-Szene auf. Aus dem Hintergrund kamen zu diesem Zeitpunkt mehrere Zwischenrufe: Kartheiser würde erst die Stimmung anheizen und „Öl aufs Feuer werfen“.  

Die Schuld für die Hetze und den Hass sieht Kartheiser in seiner Rede bei ausländischen aggressiven Unterwanderern der Proteste, der Regierung, den ungerechtfertigten Maßnahmen – und der Presse. Die ADR stehe für „Freiwilligkeit“ und „Friedlichkeit“, dafür kassierte er erneut Protestrufe der anderen Parteien. 

Ruhigere Töne von Linken und Piraten

Deutlich ruhiger ging es während der Rede von Nathalie Oberweis zu. „Bei mir gibt es nicht so viel Tamtam“, sagt die Linken-Abgeordnete. Sie fordert ein größeres Verstehen der Anti-Corona-Bewegung und die Bewegungsgründe der Protestierenden. „Es geht hier nicht um das Entschuldigen der Geschehnissen“, so Oberweis, aber man müsse begreifen, wieso sich Menschen „radikalisieren“. Sie fordert eine Rückkehr zu einem ruhigeren, gemeinsamen Gespräch miteinander. 

Auch der Piraten-Abgeordnete Sven Clement verurteilte die Gewalt vom Samstag. Einschüchterungsversuche von Politikern seien nicht zu tolerieren. Er kritisiert allerdings auch den Einsatz der Polizei. Die „Forces de l’ordre“ seien – so sein Eindruck nach den Bildern und Videos des Wochenendes – nicht ausreichend präsent gewesen und hätten stärker auftreten müssen. Die Rhetorik der Anti-Corona-Gegner und ihren Aufhetzern nannte der Pirat „Brach“. Keiner habe das Recht, den Holocaust zu verharmlosen. Scharfe Worte findet er auch für jene, die behaupten, in einer Diktatur zu leben. Mit solchen Aussagen würde man die eigene Lage dramatisieren und all jene vor den Kopf stoßen, die in einer tatsächlichen Diktatur leben würden. Außerdem habe die laute Minderheit ein „falsches Demokratieverständnis“. Man könne gegen ein Gesetz sein, aber wenn eine Mehrheit dieses verabschiedet, müsse man sich daran halten. Wer andere Gesetze haben wolle, müsse dafür eine Mehrheit finden.

Der Ton bei der Debatte über die aus dem Ruder gelaufenen Anti-Corona-Proteste am Samstag und die Radikalisierung der Schwurbler-Szene in Luxemburg wurde bereits zu Beginn gesetzt – von Parlamentspräsident Fernand Etgen (DP). Der verteidigte in seinem Vorwort die Arbeit des Parlaments, der Regierung und die Rolle der Journalisten. Etgen verurteilte die Gewalt scharf. „Das ist nicht zu tolerieren“, sagt er. Die  Regierungsbank war fast komplett gefüllt – es fehlten nur Gesundheitsministerin Paulette Lenert und Justizministerin Sam Tanson. Auch das Plenum war fast voll besetzt. 

Im Anschluss der parlamentarischen Debatte ergriff Polizeiminister Henri Kox das Wort. Er gab weitere Erklärungen zum Polizeieinsatz am Samstag und betonte, dass viele Polizisten im Einsatz waren. Es sei aber ein schwieriger Einsatz gewesen. Er kündigte außerdem an, dass bei den nächsten Demonstrationen mehr Polizisten in den Einsatz kommen sollen und „in zweiter Reihe“ auch in Schutzkleidung anwesend sein werden. Außerdem sollen zukünftige Protestzüge in festen Korridoren stattfinden und die Polizei stärkere Kontrollen von Personalien durchführen. Es werde auch gegen die gewalttätigen Ausschreiter vom vergangenen Samstag ermittelt. 


* Der Artikel wurde angepasst. Leser haben das Tageblatt richtigerweise darauf aufmerksam gemacht, dass auch die ADR die Proteste verurteilt hat.