GesellschaftDie Mittelschicht schrumpft – in Luxemburg noch schneller als in Deutschland

Gesellschaft / Die Mittelschicht schrumpft – in Luxemburg noch schneller als in Deutschland
In Deutschland wie auch in Luxemburg hat das Risiko, aus der Mittelschicht abzusteigen, in den letzten Jahren spürbar zugenommen Foto: dpa/Felix Hörhager

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Im Rahmen einer Studie haben die Bertelsmann-Stiftung und die OECD die Entwicklung der Mittelschicht in Deutschland seit 1995 unter die Lupe genommen. Das Ergebnis ist nicht zufriedenstellend: Die Mittelschicht schrumpft – in Luxemburg jedoch noch schneller als in Deutschland.

„Eine starke und florierende Mittelschicht ist die Basis einer soliden Wirtschaft und einer wohlhabenden Gesellschaft“, heben die Autoren der Studie „Bröckelt die Mittelschicht?“ hervor. „Eine leistungsfähige Mittelschicht erbringt den Großteil des Steueraufkommens und trägt somit wesentlich zur Handlungsfähigkeit des Staates bei. (…) Eine Gesellschaft mit einer starken Mittelschicht weist nicht nur ein höheres Maß an sozialem Vertrauen auf, sondern auch bessere Bildungsergebnisse, weniger Kriminalität, eine gesündere Bevölkerung und eine höhere Lebenszufriedenheit.“

Gleichzeitig bedauern sie, dass gerade eben diese für eine Gesellschaft so wertvolle Mittelschicht „nach wie vor unter Druck steht“. Der Anteil der Menschen mit einem mittleren Einkommensniveau ist (in Deutschland) seit dem Beginn des Beobachtungszeitraums „spürbar geschrumpft“.

Während im Jahr 1995 noch 70 Prozent der Bevölkerung zur mittleren Einkommensgruppe zählten, so waren es 2018 nur noch 64 Prozent. Zwar sank der Anteil im Wesentlichen bis 2005, doch die Mitte erholte sich seither nicht wieder, obwohl die deutsche Wirtschaft in der Zeit deutlich gewachsen war und die Arbeitslosigkeit sank, so die Studie.

Insbesondere Angehörige der unteren Mittelschicht sowie jüngere Erwachsene waren von Stagnation oder Abstieg betroffen, heben die Autoren hervor. Gleichzeitig hätten sich die Chancen, aus der unteren Einkommensschicht in die Mittelschicht aufzusteigen, spürbar verschlechtert.

Risiken durch Digitalisierung und Dekarbonisierung

Vor allem „die großen Trends bergen das Potenzial, die Mittelschicht ins Wanken zu bringen“, wird in der Studie gewarnt. „Digitalisierung und Dekarbonisierung bedrängen in der Mehrzahl gut bezahlte und bislang gut abgesicherte Arbeitsplätze. Zwar finden viele, die ihre Arbeit in diesen Bereichen verlieren, neue Beschäftigungsfelder, die aber oft von schlechteren Bedingungen und größerer Unsicherheit gekennzeichnet sind.“ Es bestehe die Gefahr, dass einer wohlsituierten älteren Generation Jüngere nachfolgen, die erstmals in der Nachkriegszeit mit Wohlstandseinbußen rechnen müssen, schreiben die Autoren.

Im Vergleich mit 25 weiteren Ländern der Industriestaaten-Gruppe OECD ist die Mittelschicht in dem untersuchten Zeitraum nur in drei Ländern – Schweden, Finnland und Luxemburg – noch schneller geschrumpft als in Deutschland.

Auch andere Zahlen belegen die Zunahme der Ungleichheiten im Großherzogtum. Die beiden wichtigsten Indikatoren zur Messung der Armut haben sich dem statistischen Institut Statec zufolge zwischen den Jahren 2000 und 2020 merklich verschlechtert. Das Armutsrisiko lag 2020 bei 17,2 Prozent. Als armutsgefährdet zählt, wer weniger als 60 Prozent des nationalen Medianeinkommens verdient. Der Gini-Koeffizient lag bei 0,306. „0“ bedeutet, dass jeder Mensch genau das Gleiche verdient – bei „1“ erhält eine Person alle Einkommen. Im Jahr 2000 lag das Armutsrisiko hierzulande erst bei 12 Prozent und der Gini-Koeffizient bei 0,26.

Im OECD-Durchschnitt zählen 62 Prozent der Menschen zur Mittelschicht. In Deutschland sind es 64, in Luxemburg 65 Prozent. Deutlich kleiner ist der Anteil der Menschen mit einem mittleren Einkommen in den USA (51 Prozent), Japan (54 Prozent), Großbritannien (59 Prozent). Es geht jedoch auch noch besser: In Finnland, Norwegen und der Slowakei zählen beispielsweise mindestens 70 Prozent der Bürger zur Mittelschicht. Sowohl der Anteil der Armen als auch der der Reichen ist in diesen Ländern kleiner.

Kein unabwendbares Schicksal

Dass das Schrumpfen der Mittelschicht kein unabwendbares Schicksal, sondern durch politische und wirtschaftliche Fakten bedingt ist, zeigen Zahlen aus noch anderen Ländern. In dem untersuchten Zeitraum (1995 bis 2018) ist die Mittelschicht im Durchschnitt der untersuchten OECD-Länder nämlich nicht geschrumpft, sondern leicht gewachsen: um 0,3 Prozentpunkte.

Dies spiegelt das Wachstum der mittleren Einkommensgruppen in einigen lateinamerikanischen, südeuropäischen und englischsprachigen europäischen Ländern wider, in denen die Einkommensungleichheit in der Regel zurückging, so die Studie. Gewachsen ist die Mittelschicht beispielsweise in Irland, Ungarn, Belgien, Mexiko, Großbritannien und Österreich.

„Aus diesen und weiteren Ergebnissen erwächst klarer politischer Handlungsbedarf“, schlussfolgern die Autoren. Nur mit Reformen lasse sich das Bröckeln der Mittelschicht in ein Wiedererstarken umkehren. Dazu zählen ihnen zufolge vor allem eine gute Aus- und Weiterbildung. Zudem gelte es, die Bezahlung von Berufen zu verbessern, in denen mehrheitlich Frauen tätig sind, zum Beispiel in der Pflege, da diese häufig nicht für einen Platz in der Mittelschicht ausreicht.

Für die Studie wurde der Zeitraum zwischen 1995 und 2012/18 untersucht – je nach Verfügbarkeit der Zahlen. Zur Mittelschicht werden all jene Menschen gezählt, deren Einkommen nach Steuern und Transfers zwischen 75 und 200 Prozent des mittleren Einkommens liegt. Für einen Alleinstehenden in Deutschland gilt dies bei einem Monatseinkommen von rund 1.500 bis 4.000 Euro, für ein Paar mit zwei Kindern bei einem verfügbaren Einkommen zwischen 3.000 und 8.000 Euro.

Therese
7. Dezember 2021 - 8.43

@zillerthaal aber komischerweise nehmen die Jaguar,Lexus-und Aston Martin-Fahrer zu.Wahrscheinlich diejenigen,die es aus der Mittelschicht nach open geschafft haben. Die andern,diejenigen die abrutschen,kaufen (oder leasen) kleinere Wagen.

zillerthaal
6. Dezember 2021 - 19.03

Ist mir auch aufgefallen, die BMW-Fahrer werden immer kleiner.

Zeehl
6. Dezember 2021 - 16.21

@De soziale Fred "Déi Gring profitéieren just vum schaffenden Vollek fir d‘Staatkeesen an hiir Täschen ze föllen!" Dat ass net dat schaffend Vollek, dat ass dat rennend Vollek, dat sech net un Geschwindegkeet hält. "Wee kann sech dât als Normalo nach leeschten?" Dir haalt Iech fir e Normalo? Am Eescht?

De soziale Fred
5. Dezember 2021 - 16.54

Also vum schaffen as nach kee räisch gin, mee just nëmmen wann ee vun deenen aanere profitéiert. Fazit: Déi Gring profitéieren just vum schaffenden Vollek fir d‘Staatkeesen an hiir Täschen ze föllen! Wee kann sech dât als Normalo nach leeschten?

Sepp
4. Dezember 2021 - 21.05

Ech muss mech freckt laachen. Dann schreifs de 1 Kommentar op Tageblatt an Spiegel.de dass d'Mettelschicht an de leschten 20 Joer keng eenzeg Faveur gemaach krut (ausser dass d'Kanner vum Staat erzu ginn wouvun awer keen Célibataire profitéieren kann an wat fir mech ongerecht vis-a-vis vun eisen Elteren ass déi dat net konnten man, do huet d'Mammi de Beruff opginn), an schonn kommen d'Studien dass d'Mettelschicht schrumpft. An nach eppes, et wär besser d'Politiker géifen sech mol virun enger Emverdeelung vun Gelder informéieren wou se déi Gelder hierhuelen. Vläit ass déi nei Finanz-Ministech jo do méi kompetent. Ech sinn jiddefalls der Meenung dass Leit ouni Kanner vill musse bludden fir Leit mat Kanner, ech hoffen dann dass ech dat och an der Pensioun gesinn.

Soyons sérieux
4. Dezember 2021 - 16.10

Sinn mer mol éierlech. Waat ass den Salaire hautzedaags na wert. Ech géiff d‘Mettelschicht hei am Land net nom Verdingscht défineiren mee éier nom Eegentum. Selbst mat 2000 Euro netto méi am Mount steet een op laang Siicht méi schlecht do wéi een deen nemmen den Mindestloun kritt mee neicht fir seng Wunneng(en) muss bezuelen well en se geschenkt oder verierwt krut. D‘Mettelschecht sinn also éier déi Leit déi d‘Chance hunn eng Wunneng ze hunn, an net déi déi besschen méi verdengen. Et kann een guer net laang genuch schaffen fir déi Ongleichheet opzeschaffen.

Wieder Mann
4. Dezember 2021 - 15.59

Wollen wir dieser Regierung mit Steigerung der Lebenshaltungskosten, der Erhöhung von TVA und Einführung einer CO2 Steuer , Nichtanpassung von Gehältern und Renten danken.Danken wir speziell den Grünen, die erheblich beitragen die Mittelschicht in die Steinzeit zu katapultieren.

H.Horst
4. Dezember 2021 - 15.27

Die Erde kommt ohne Mittelschicht aus.....eigentlich sogar ohne Menschen.

Grün kostet …
4. Dezember 2021 - 14.27

… und das wussten wir. Hatte ich bis vor kurzem noch ein kleines Fleckchen Erde für Salate und Kräuter, blieb mir nichts Anderes übrig um hier Beton zu machen für meine obligatorischen Mülltonnen. Danke Frau Dieschburg.