Österreich / Ex-Soldat übernimmt Kanzleramt
Der Abschied von Sebastian Kurz aus der Politik hat in Wien ein Nachbeben, aber keine Neuwahlen ausgelöst: Die Grünen schwören dem neuen ÖVP-Chef und Neo-Bundeskanzler Karl Nehammer die Koalitionstreue.
Das „System Kurz“ implodiert. Was sich nicht nur an den gestrigen Personalrochaden, sondern auch an deren Zustandekommen zeigt: Nicht einer allein hat entschieden, sondern die seit dem Abgang des türkisen Gurus wieder mächtigen Länderchefs bastelten über Nacht ein neues ÖVP-Team. Kanzler Alexander Schallenberg hatte schon am Vorabend nach nur 54 Tagen im Amt seinen eigentlich für Kurz freigehaltenen Platz freigemacht. Für diesen Job sowie für den Parteivorsitz nominierte der ÖVP-Bundesparteivorstand einstimmig den bisherigen Innenminister Nehammer. Der 49-Jährige hatte in den 1990er-Jahren als Berufssoldat gearbeitet, ehe er sich als Parteisoldat hochdiente. Sein „Master of Science“ beruht auf einem nur zweijährigen Universitätslehrgang in politischer Kommunikation. Trotzdem hat der künftige Kanzler in akademischer Hinsicht schon mehr vorzuweisen als der Jura-Student Kurz.
Nehammer war zwar 2018 zum ÖVP-Generalsekretär aufgestiegen, hatte aber nicht zum engsten Kreis der Kurzianer gezählt, was nun kein Nachteil ist.
Kurz-Freund geht mit
Als einer der dicksten Kurz-Freunde hatte Norbert Blümel sofort sein politisches Ende realisiert und noch Donnerstagabend seinen Rücktritt als Finanzminister und Wiener ÖVP-Chef erklärt. Ähnlich wie der vorigen Samstag Vater gewordene Kurz gab auch er familiäre Gründe an: Die Geburt seines Sohnes vor zwei Monaten habe zu einem Nachdenkprozess beigetragen. Morddrohungen gegen die Familie hätte es auch gegeben. Für die ÖVP gibt es einen anderen Trennungsgrund: Gegen Blümel ermittelt die Korruptionsstaatsanwaltschaft. Mit ihm im Team hätte neben Nehammer eine Zeitbombe getickt. Neuer Finanzminister wird der Vorarlberger Magnus Brunner, bisheriger Staatssekretär im Verkehrs- und Umweltministerium.
Ebenfalls gehen musste der wegen des Corona-Krisenmanagments in den Schulen viel kritisierte Bildungsminister Werner Faßmann, den der Rektor der Universität Graz, Martin Polaschek, ablösen wird.
Das durch Nehammers Aufstieg frei gewordene Innenministerium übernimmt Gerald Karner, was ebenfalls den wieder zunehmenden Einfluss der mächtigen ÖVP-Länderorganisationen belegt: Der Zweite Präsident des niederösterreichischen Landtages ist auch Bürgermeister der 1.600-Seelen-Gemeinde Texingtal.
Interimskanzler Schallenberg kehrt zurück ins Außenministerium, wo Michael Linhart, der erst seinen Botschafterposten in Paris aufgegeben hatte, zurück in den diplomatischen Dienst muss.
Dass mit Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger eine der engsten Kurz-Vertrauten im Amt bleibt, überrascht etwas, ist aber der Verankerung im mächtigen ÖVP-Bauernbund und dem Umstand geschuldet, dass in den diversen Affären der Kurz-Truppe ihr Name nie aufgetaucht ist.
Ruf nach Neuwahlen
Die Opposition ist sich nach der Regierungsumbildung einig im Ruf nach Neuwahlen. Das aufgeflogene „ÖVP-Korruptionssystem“ und das „skandalöse Verhalten der ÖVP in der Corona-Politik“ sind für FPÖ-Chef Herbert Kickl Grund genug dafür. Nach der Pandemie sollten die Wähler neu entscheiden, findet auch Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger. Das sieht zwar die SPÖ auch so, hält aber Neuwahlen, so Vizefraktionschef Jörg Leichtfried, für „wenig wahrscheinlich“.
Tatsächlich machen die Grünen keine Anstalten, der geeinten Opposition zur Mehrheit für einen Neuwahlantrag zu verhelfen. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) sieht keinen Anlass, am Koalitionspakt zu rütteln. Vielmehr betonte er die „sehr gute Gesprächsbasis“ mit Nehammer. Das überrascht insofern, als der bisherige Innenminister für viele Grüne ein rotes Tuch ist. Nehammer hatte im Jänner mit der Abschiebung von gut integrierten Schülerinnen nach Georgien und Armenien auch heftige Grünen-Proteste geerntet. Ebenso, als er im Spätsommer noch für Abschiebungen nach Afghanistan eintrat, als die Taliban in Kabul einmarschierten.
An seinem restriktiven Kurs in der Asyl- und Migrationspolitik will Nehammer als Kanzler festhalten. Neue Konflikte mit dem Koalitionspartner sind also programmiert. Neuwahlen nach der Pandemie sind also doch nicht ganz auszuschließen.
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Komischer Titel. In Oesterreich ist – mit wenigen motivierten Ausnahmen – jeder männliche Bürger über 35 Jahre potenziell ein Ex-Soldat. Im Land besteht nach einem gescheiterten Referendum 2013 noch immer eine Wehrpglicht. Bis zum Alter von 35 kann jeder eingezogen werden. Nur dass es halt nicht immer passiert.