Experte PoirierDie „stille Revolution“ – Der Politmonitor ist mit Vorsicht zu genießen

Experte Poirier / Die „stille Revolution“ – Der Politmonitor ist mit Vorsicht zu genießen
Die Umfrageergebnisse spiegeln eine Momentaufnahme der aktuellen politischen Stimmung wider und zeigen allgemeine Tendenzen auf Foto: Editpress/Julien Garroy

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Die Luxemburger Politik verliert an Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Das besagt die neueste „Sonndesfro“ vom Dienstag. Die beiden Politologen Philippe Poirier und Michel Dormal warnen davor, zu viel hineinzuinterpretieren. Aber: Der Politmonitor sei eine interessante Momentaufnahme.

„Du jamais vu“ – so betitel RTL seine am Dienstag veröffentlichte Politmonitor-Umfrage. Würden am Sonntag die Parlamentswahlen stattfinden, würde die Regierung laut der Umfrage ihre Mehrheit im Parlament verlieren. Auch die CSV müsste ordentlich Federn lassen. Als große Gewinner des Politmonitors gehen die Piratenpartei und die ADR hervor: Beide Parteien würden mit jeweils sieben Sitzen in der „Chamber“ vertreten sein.

Der Politikwissenschaftler Philippe Poirier von der Uni.lu bezeichnet die Umfrage im Gespräch mit dem Tageblatt als „interessant“ und glaubt an ihre Seriosität. Er warnt allerdings davor, zu viel hineinzuinterpretieren: Die Ergebnisse seien eine Momentaufnahme der aktuellen politischen Stimmung in Luxemburg – eine Vorhersage der nächsten Wahlen oder ein Tool, um die nächste Regierungskoalition zu bestimmen, sei die Umfrage aber definitiv nicht.

Poirier verweist hierbei auf die Wahlen von 2018, wo über ein Drittel der Wählerschaft erst in der Woche vor den Wahlen entschieden hatte, wem sie schlussendlich ihre Kreuze geben wollte. Auch die „Verteilung der Sitze ist mit Vorsicht zu genießen“, da man eine statistische Fehlerquote von rund zwei Prozent berücksichtigen müsse. Diese zwei Prozent könnten aber schon einen bedeutenden Unterschied in der Verteilung der Sitze ausmachen.

Darüber hinaus müsse man die derzeitige Lage, die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen, mitberücksichtigen. So könnten die großen Akteure der Pandemie sowohl über- als auch unterschätzt werden – was sich dann auch in den Umfrageergebnissen widerspiegele.

Umfrageresultate sind an Aktualität gebunden

„Es ist klar, dass die Umfrage an die Aktualität gebunden ist“, sagt der Politologe. Ereignisse wie die Pandemie, die Verfassungsreform, die Wohnungskrise hätten alle Einfluss auf das Ergebnis der Umfrage gehabt. So sei es kaum verwunderlich, dass die ADR und die Piraten stark an Zustimmung gewonnen hätten: Sie hätten von dem Moment an, wo sie ins Parlament gewählt wurden, gezeigt, dass sie nicht inaktiv sind. Poirier ist daher wenig überrascht, dass sich rund 25 Prozent der Wähler für deren Politik interessieren. Das solle allerdings nicht heißen, dass beide Parteien dieses Resultat bei den Wahlen erzielen werden.

Auch das gute Resultat der LSAP sei in diesen Zeiten kaum verwunderlich: Die LSAP bekleide historisch eine Beschützerrolle, was sich auch während der Pandemie wieder gezeigt habe. Diese Rolle sei dabei nicht nur an Luxemburgs Gesundheitsministerin Paulette Lenert festzumachen. Ähnliche Tendenzen hätten sich auch im Ausland gezeigt, etwa bei der SPD in Deutschland.

Die CSV hingegen erscheine den Wählern „momentan nicht attraktiv“, meint der Politikwissenschaftler. Sie habe sich immer noch nicht von ihren internen Problemen erholt, so etwa die Skandale um den ehemaligen Parteipräsidenten Frank Engel und deren Auswirkungen.

Der für Poirier wohl verwunderlichste Punkt der Umfrage betrifft die scheinbar rückläufige Wählerzustimmung der DP. Eine eindeutige Erklärung für diese Entwicklung vermag Poirier allerdings nicht zu geben. Er könne da nur raten: Möglicherweise liege es an den jüngsten Plagiatsvorwürfen gegen Premierminister Xavier Bettel.

Wandelnde Werte

Umfragen wie der Politmonitor dienen dazu, die öffentliche Meinung besser zu verstehen. Poiriers Studien besagen, Luxemburgs Wertesystem befinde sich im Wandel. Er spricht von einer „Stillen Revolution“. Man habe zwar den Eindruck, dass man es in der Politik weiterhin immer nur mit den gleichen Akteuren zu tun habe, dem sei aber nicht so.

Ein progressiver Wandel sei feststellbar – angetrieben durch Themen wie etwa die nationale Wohnungslage, Immigration, Sprache, Energiepolitik oder Telearbeit. Diese Themen würden sowohl die Wählerschaft als auch die individuellen und kollektiven Werte beeinflussen.

Hinzu kommen laut Poirier auch persönliche Präferenzen und ein gewisses Loyalitätsgefühl gegenüber einer Partei oder Politikern, kontextuelle Ereignisse sowie Ansichten zu bestimmten Themen. Demnach sei auch ein Umschwung des Wahlverhaltens feststellbar.

Poirier glaubt, dass die klassischen CSV-LSAP- oder CSV-DP-Regierungskoalitionen, wie es sie fast durchgehend in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch gegeben hat, seit 2013 der Geschichte angehören.

Drei Kritikpunkte an Politmonitor

Poirier bemängelt die „Sonndesfro“ in drei Punkten. Zum einen hätte man die Beweggründe der Wählerschaft integrieren sollen: Also fragen, warum sie sich für diese oder jene Partei entschieden hat. So könnte man auch leichter analysieren, ob die Umfrageresultate wirklich nur punktuelle oder auch langfristige Veränderungen im Wahlverhalten der Bevölkerung widerspiegeln.

Des Weiteren sagt Poirier: „Die Sitzverteilung ist zu beliebig.“ Die vom Politmonitor dargestellte Sitzverteilung würde Tendenzen zeigen, die zwar stimmen, die angegebenen Zahlen selbst sollte man allerdings nicht festnageln. Der Politologe bemängelt zudem, dass die Umfrage keine Sitzverteilung nach Wahldistrikt beinhaltet. Es wird lediglich der nationale Durchschnitt mit der Gesamtzahl aller Sitze aufgelistet.

Der LSAP-Politiker und Mitglied des Staatsrats Alex Bodry schließt sich beiden letzteren Kritikpunkten Poiriers an. Auf der Social-Media-Plattform Twitter gibt Bodry zu bedenken, dass die Ergebnisse der Umfrage nicht sonderlich transparent sind.

„Umfragen verdecken eine ganz große Unsicherheit“

Wie genau die Zahlen zusammenkommen, sei laut Bodry nicht bekannt. „Diese Umfragen verdecken im Grunde eine ganz große Unsicherheit“, da minimale Veränderungen in den Bezirken große Veränderungen bei der Anzahl der Sitze ausmachen würden, sagt der Politiker im Tageblatt-Gespräch. Rückschlüsse sollten daher vorsichtiger gezogen werden.

Aufgrund der Komplexität des Luxemburger Wahlsystems sei es nicht einfach, Wähler-Umfragen durchzuführen. Darum sei Transparenz auch so wichtig. Es müssten alle Nuancen klargestellt und die statistische Fehlerquote berücksichtigt werden, meint Bodry.

Demnach halten sowohl Bodry als auch Poirier es für sinnvoller, die Angabe der Sitzverteilung nicht in absoluten Zahlen darzustellen, sondern vielmehr mit Gabeln zu arbeiten. Soll heißen: Es mache mehr Sinn anzugeben, dass eine Partei mit den vorliegenden Ergebnissen zwischen „X“ und „Y“ Sitzen erhalte würde, anstelle von festen „X“ Sitzen.

Aussagekraft der Umfrage sollte nicht überschätzt werden

Das Tageblatt hat auch den Politologen Michel Dormal von der Universität Aachen um eine Einschätzung der Umfrage gebeten. Dormal schreibt, er habe sie mit „mit Erstaunen zur Kenntnis genommen“. „Dass die CSV nach ihren internen Streitigkeiten zugunsten der anderen Oppositionsparteien verliert, war abzusehen“, sagt er. Dafür, dass die DP aber so stark an Wählerstimmen verliere, habe auch er keine richtige Erklärung. „Bei Parteien mit einer relativ treuen Stammwählerschaft wie den Grünen oder den Linken, teilweise LSAP, sieht man hingegen, dass die Werte stabil bleiben“, meint der Politologe.

Wie es scheint, gebe es in Luxemburg „eine diffuse größere Gruppe von ungebundenen Wählern“, die Mitte-Rechts wählt. Je nach Stimmungslage und Tagesgeschehen würden sie sich für die DP, die CSV, die ADR oder die Piraten entscheiden, sagt Dormal. Er betont allerdings auch, dass man die Aussagekraft einer solchen Umfrage nicht überschätzen sollte.

Meine ehrliche Meinung
4. Dezember 2021 - 10.58

Irgend eine junge Tussi ruft Zuhause an. Opa, der gerade beim Kartoffel schälen ist freut sich, oh ein junges Mädchen, was die wohl von mir will? ? Und dann sagt das Mädchen was Sie will und in wessen Auftrag Sie anruft, und Opas Kinn mitsamt Gesichtsausdruck fällt wieder in die ursprüngliche depressive Position zurück.? Er denk nur noch das er die Kartoffeln fertig schälen muss, und beantwortet schnell und ohne zu überlegen die Fragen, und schon hat die DP wieder ungewollt bessere Werte als verdient. Frage: Wieviel Geld bekommen diese Umfrage Institue vom Steuerzahler für diesen Blödsinn? Müssen die auch alle DP Mitglieds Karten haben?

Irtalis
3. Dezember 2021 - 12.12

Es ist und war noch immer ein Schönheitswettbewerb ohne irgendwelchen Sinn.

HTK
3. Dezember 2021 - 9.18

Nichts ist Nichts sagender als Politbarometer,doch vielleicht noch die unsäglichen Voraussagen der Zukunftsforscher oder Wirtschaftsprognosen. Wer kann sagen was morgen ist? In welchem Land der Erde wird nicht die Regierung verantwortlich gemacht wenn die Zeiten lausig werden. Dabei geben sich die meisten demokratischen Regierungen alle Mühe dem Volk gerecht zu werden. Parlamentarier sind Volksvertreter und stimmen Gesetzen zu oder eben nicht. Im Falle von Corona sind alle an der Misere Schuld nur nicht die "Boykott-Fraktion". Stammtischmeinungen ändern sich schneller als das Wetter aber jeder hört hin.Und erstaunlich,dass Falschmeldungen,weil katastrophaler,als erste aufgenommen werden.(Impfung ist nutzlos usw.)Man frage sich einfach nur ob wir mit einer CSV-ADR usw._ Regierung besser da stünden.Wir könnten schon weiter sein,auch ohne Politbarometer.

Therese
3. Dezember 2021 - 8.17

alt erem esou een Expert. Mais den neisten Politbarometer reflekteiert nach net esou richteg wéi d'Flemm d'Leit hun.Et gin nach vill ze vill Ja-Sager.mais an e puer Méint wärt d'Regierung déi lescht Sympathien verleieren...opmanst beim "normalen Vollek".Net bei den Lobbyisten etc.

Realist
3. Dezember 2021 - 7.23

Umgekehrt wird ein Schuh draus. Ich würde nämlich eher sagen, dass die aktuellen Umfrageergebnisse besser nicht unterschätzt werden sollten. Gewiss, Luxemburg ist nicht Frankreich, wo wegen jeder Lappalie mit Drama, Pose und brennenden Reifen die Barrikadenszene aus "Les Misérables" nachgespielt wird. Andererseits sind es gerade die typische Trägheit und quasi unendliche politische Leidensfähigkeit der Luxemburger Wähler, die bei so einem abrupten Umschwenken die Alarmglocken läuten lassen sollten. Man denke an Indiana Jones im Indiotempel: Ist die tonnenschwere Felsenkugel erst ins Rollen gekommen, hält sie keiner mehr auf.

Sepp
2. Dezember 2021 - 15.17

Hier mal meine Erklärung zur Rutschpartie der DP: Wohnungen zu teuer, Stau zuviel, Teletravail für privilegierte Minderheit, Corona als Anlass für Hintertürpolitik, Kaufkraft trotz Index auf Talfahrt, Wachstum als Ueberlebensmassnahme statt Verbesserung, Examen getrickst.

DanV
2. Dezember 2021 - 13.23

Hier mal meine Erklärung zur Rutschpartie der DP: Xavier Bettel stand seit März 2020 für eine Sicherheit gebende Teststrategie in unsicheren Zeiten. Diese anerkennenenswürdige Strategie wurde ersatzlos gestrichen. Schlimmer noch, nun werden nur noch symptomatische Fälle getestet. Superspreader ohne Symptome werden gar nicht mehr gesucht. Das Verbot von Auto-Tests im öffentlichen Leben - mitten in der 4. Welle - mit dem fadenscheinigen Argument, dass getrickst wurde und das Ende des Large Scale Testing hat die Covid-Unsicherheit im Land verstärkt und das wird dem Zugpferd der DP zu Recht angelastet.