HintergrundSchwachstelle Mensch: Die ethische Dimension der Covid-Check-Schwindelei

Hintergrund / Schwachstelle Mensch: Die ethische Dimension der Covid-Check-Schwindelei
Viele Menschen im Gesundheitssektor sind die Helden des Kampfes gegen das Virus, einige entwickeln aber auch kriminelle Energie Foto: Pixabay

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Während Ärzte und Pflegekräfte am Donnerstag für die Impfung und gegen Falschinformationen auf die Straße gehen, kristallisiert sich zunehmend heraus, dass schwarze Schafe im Gesundheitssektor die Schwachstelle des Covid-Check-Systems sind. Ein enormer ethischer Vertrauensbruch, wie Pit Buchler vom Luxemburger Ärztekollegium findet.

Gefälschte Impf- und Covid-Check-Zertifikate machen schon seit längerem die Runde in Luxemburg. Bekannt sind der „Santé“ unter anderem Zertifikate, die unter den Pseudonymen Mickey Mouse, Spongebob, Joe Mama und – die Grenzen des guten Geschmacks weiter hinter sich lassend – Adolf Hitler kursieren. Doch wer kann überhaupt Covid-Check-Zertifikate ausstellen? Obwohl die Ärzte und Pflegekräfte am Donnerstag während einer Schweigeminute u.a. gegen kursierende Falschinformationen protestieren, sind einige wenige unter dem Gesundheitspersonal, die mit falschen Zertifikaten die Pandemie unnötig verlängern.

Vertrauen ist die Basis zur Ausübung der Medizin

Pit Buchler, Präsident des Luxemburger Ärztekollegiums

Zuerst einmal muss zwischen Impf- und Testzertifikaten unterschieden werden. Gültige Impfzertifikate können der „Santé“ zufolge nur von Krankenschwestern und Ärzten ausgestellt, müssen aber von einem Arzt unterschrieben werden. Diese digitale Signatur wird laut dem Präsidenten des Luxemburger Ärztekollegiums Pit Buchler praktisch von „Santé“-Direktor Jean-Claude Schmit an den impfenden Arzt delegiert: Luxemburgs System basiert nicht auf personenbezogenen digitalen Signaturen. Im System wird jedoch genau festgehalten, welcher Arzt den Impfstoff verabreicht und das Impfzertifikat unterschrieben hat.

Das Problem bei den echten gefälschten Zertifikaten bleibt somit der Faktor Mensch, wie der Piraten-Abgeordnete Sven Clement im Tageblatt-Gespräch feststellt. „Der Aufwand, um einen Schlüssel zu hacken, ist groß“ – allein schon finanziell, sagt Clement. Deshalb hält es der studierte Informatiker für wahrscheinlicher, dass die Betrüger aus den Reihen des Gesundheitspersonals kommen. Diese Erfahrung haben auch die belgischen Behörden gemacht, wie Journalisten der Zeitung Le Soir berichten. Ein Arzt habe über 2.000 falsche Impfzertifikate ausgestellt – und sei nur aufgeflogen, weil er die eigentlich dafür benötigten Impfdosen nicht abgeholt habe.

Prüfsystem in Luxemburg?

Auf Anfrage des Tageblatt, ob die „Santé“ über ein ähnliches System verfüge, das die Anzahl an verteilten Dosen und die der ausgestellten Zertifikate überprüft, antwortet die Kommunikationsabteilung des Gesundheitsministerium ausweichend. „Wenn ein Verdacht auf gefälschte Impfzertifikate aufkommt, leiten wir das an die Staatsanwaltschaft und das Ärztekollegium weiter.“

Auch deshalb hat sich das Tageblatt an das Ärztekollegium und seinen Präsidenten Pit Buchler gewandt. „Das betrügerische Verhalten, das manche Ärzte an den Tag legen würden, ist ganz schlimm“, sagt Buchler. Bekannt seien vor allem Fälle aus dem Ausland. Das Verhalten müsse strafrechtlich verfolgt und geahndet werden, denn: „Nicht nur bereichern sich Betrüger, sondern sie gefährden die Kollektivität indirekt mit, weil sich jemand als Geimpfter ausgibt.“ Buchler verweist auf den Ethikkodex der Ärzteschaft, in dem unter anderem festgeschrieben sei, dass Ärzte nur tatsächlich durchgeführte Untersuchungen oder eben Impfungen zertifizieren dürfen. Bei den falschen Zertifikaten sei das nicht der Fall.

Buchler meint auch, dass die Ärzteschaft exemplarisch voranschreiten und sich ihrer Verantwortung bewusst sein solle. „Vertrauen ist die Basis zur Ausübung der Medizin“, sagt er. Das Anfertigen der falschen Covid-Check-Zertifikate bezeichnet er hingegen als „schrecklichen Vertrauensbruch“. Darum verfahre das Ärztekollegium auch äußerst streng bei solchen Arten des Fehlverhaltens. Werde das Ärztekollegium auf ein medizinisches Fehlverhalten hingewiesen, schalte man die Staatsanwaltschaft ein und die Ärztekommission gehe disziplinarisch gegen die betroffene Person vor. Das ist laut Buchler sicher der Fall, wenn in Luxemburg ein Arzt falsche Covid-Check-Zertifikate ausstellen würde. Buchler glaubt aber auch, dass die Luxemburger der Medizin weiterhin vertrauen. Immerhin hätten sich vier Fünftel des dafür infrage kommenden Teils der Bevölkerung impfen lassen.

Faktor Mensch

Apropos Impfrate: Sie führt zum offenbar schwächsten Glied der Covid-Check-Kette –  dem Menschen. Denn obwohl nur Ärzte Impfzertifikate unterschreiben können, sind zahlreiche andere Berufsgruppen befugt, Covid-Check-Testzertifikate mit einer Gültigkeit von 48 Stunden auszustellen. Darunter auch Berufsgruppen, die eine wesentlich geringere Impfrate als die Ärzteschaft aufweisen. Die genauen Statistiken konnte das Gesundheitsministerium auf Tageblatt-Anfrage nicht kommunizieren. „Unsere Leute arbeiten wegen der aktuellen Pandemie-Lage prioritär an anderen Dossiers, weswegen wir Ihnen die Zahlen nicht liefern können“, lautet die Antwort aus dem Gesundheitsministerium.

Apotheker, Pflegehelfer, medizinisch-technische Assistenten, Krankenpfleger, Anästhesie- und Intensivpfleger, Kinderkrankenpfleger, psychiatrische Krankenpfleger, graduierte Krankenpfleger, Hebammen, Sozialhygieneassistenten, Laboranten, Masseure und Physiotherapeuten und Osteopathen sind gesetzlich befugt, Covid-Check-Testzertifikate auszustellen. Und was hindert einen ungeimpften Gesundheitsberufler daran, sich selbst oder Bekannten ein Zertifikat ohne vorherigen Test auszustellen? Obwohl der Präsident des Apothekerverbandes und ANIL-Generalsekretärin Tina Koch darin ein schweres Vergehen sehen, das viel krimineller Energie bedarf: Allzu weit hergeholt scheint diese Hypothese nicht, wie der Blick ins Ausland zeigt.

„Schlüssel können nicht gehackt werden“

Denn ohne das betrügerische Zutun eines Gesundheitsberuflers kann die ursprüngliche Herkunft der gefälschten Impfzertifikate nur schwer begründet werden. Die „Santé“ nennt nur zwei mögliche Ursprünge der falschen Zertifikate: Einerseits hätten sich in den bekannten Fällen in Europa Personen unerlaubt Zugriff auf das System verschafft und so Zertifikate erstellt – etwa indem sie einen Zugangscode gestohlen haben. Andererseits könnten „Personen, die einen berechtigten Zugriff auf diese Systeme haben, Zertifikate ausstellen, ohne die Personen geimpft zu haben“.

Das Gesundheitsministerium schreibt zudem, dass bisher „keine Fälle bekannt sind, in denen jemand selbst einen falschen QR-Code generiert hätte, der von der App als ‚grün‘ validiert wurde“. Das sei nämlich „technisch nicht möglich, da die Zertifizierungsschlüssel der einzelnen Länder extrem sicher verwahrt werden und nicht gehackt werden können.“ Das Zentrum für Informationstechnologien des Staates (CTIE) verwalte sämtliche Covid-Impfungen „nach strengen Sicherheitsstandards“. Das System sei nur von bestimmten Nutzern per LuxTrust-Authentifizierung zugänglich. Die „Santé“ schreibt zudem, dass das CTIE die nationale App „bei Bedarf sehr schnell anpasst“, um so bekannte Fälschungen zu unterbinden.

Auch wenn bisher kaum Fälle von falschen Zertifikaten aus Luxemburg bekannt wurden, hat es dennoch einen Arzt gegeben, der es aufgrund seiner Haltung in die Schlagzeilen geschafft hat – gemeint ist der Prozess um Dr. Ochs aus der Gemeinde Junglinster. Der Arzt hat Buchler zufolge gegen 14 Regeln des Ethikkodexes verstoßen und wurde dafür zu einem Jahr Berufsverbot verurteilt. Er hat allerdings Berufung eingelegt. Und auch mit den bereits bekannten Fälschungen soll gleich Schluss sein: Wie das Zentrum für Informationstechnologien des Staats dem Radiosender 100,7 am Mittwoch bestätigt hat, sollen diese nach dem neuen Update der Covid-Check-App nicht mehr als gültige Zertifikate angesehen werden. 

j
25. November 2021 - 14.47

Was wäre wenn bis jetzt kein Impfstoff vorhanden wäre ? Warum wegen eines kleinen Pieks (der sogar normal nicht spürbar ist) eine solche Chance für die eigene Gesundheit verpassen ? Warum sich selbst einer so schlimmen Krankheit und Todesgefahr aussetzen ? Als Ungeimpfter weiter die anderen Menschen in Ansteckung und Gefahr bringen ! Die wahren Helden sind bis jetzt das medezinische Personal der Kliniken und alle behandelden Ärzte ! Leider gibt es hier auch zwar selten Impfleugner und Gegner ! Louis Pasteur wird sich im Grab umdrehen !

HTK
25. November 2021 - 8.47

Kriminelle haben eben immer Schwierigkeiten mit Ethik und Moral.Sonst währen sie ja keine Kriminellen. Es gab einen Vorschlag ein Foto des Inhabers mit in die App einzubauen.Wäre gut oder?