StandpunktDie richtigen Institutionen für die Klimatransition

Standpunkt / Die richtigen Institutionen für die Klimatransition
Es braucht neue, bürgernahe Institutionen, um erfolgreich gegen den Klimawandel anzukämpfen Foto: Noah Berger/FR34727 AP/dpa

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Auf der Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Glasgow (COP26) vergangene Woche war ich Mitglied eines mit führenden nationalen Politikerinnen besetzten Gremiums, dem auch die Erste Ministerin Schottlands, Nicola Sturgeon, und die spanische Ministerin für ökologischen Wandel, Teresa Ribera, angehörten. Ziel der Gespräche war die Frage, wie wir das Thema grüne Wirtschaft ernsthaft angehen können. Während sich die überwiegend männlichen Staats- und Regierungschefs der Welt über Verpflichtungen, Positionen und Versprechen stritten – von der schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg denkwürdig als noch mehr „Blablabla“ bezeichnet –, konzentrierte sich unser rein weiblich besetztes Gremium auf die Frage, welche neuen Instrumente und Institutionen weltweit für die Dekarbonisierung notwendig sind.

Nach der COP26 ist es klarer denn je, dass von oben verfügte Zusagen und politische Maßnahmen nicht ausreichen. Vielmehr bedarf es eines strukturellen und institutionellen Wandels von unten. Unsere einzige Hoffnung, die globale Erwärmung in „sicheren“ Grenzen zu halten (tatsächlich ist das vereinbarte Ziel für die einen viel sicherer als für die anderen), besteht darin, den grünen Übergang mit massiven, koordinierten öffentlichen Investitionen zu beschleunigen, die auf Innovationssprünge und einen wirtschaftlichen Paradigmenwechsel abzielen.

Ebenso wie es sich beim Klimawandel um ein dynamisches, nichtlineares Phänomen handelt, das eine Reihe von Kipppunkten durchläuft – jeder mit eigenen Auswirkungen, die eine Vorhersage des Tempos und des Ausmaßes äußerst schwierig machen –, so beruht auch der Prozess der Eindämmung oder gar Umkehrung des Klimawandels auf Kipppunkten, deren kaskadenartige Wirkung sich in die andere Richtung entfaltet. Mit synergistischen Sprüngen in den Bereichen technologische Innovation und institutioneller Wandel können positive Rückkopplungsschleifen und kumulative Multiplikatoreffekte herbeigeführt werden.

Das ist genau das Ziel der von mir so bezeichneten missionsorientierten Innovationspolitik. Es gilt, die Ressourcen zu bündeln und die Wirtschaftspolitik auf messbare Ziele auszurichten, wie etwa auf das Entstehen neuer technologischer Innovationen und die Gestaltung neuer Märkte. Jede Mission muss sich inspirierend und beschleunigend präsentieren und es bedarf zahlreicher Akteure und Sektoren, wo Innovationen und eine neue Art der Zusammenarbeit stattfinden – sei es für eine CO₂-neutrale Stadt oder einen plastikfreien Ozean. Jede Mission muss sich attraktiv für die Investitionen zahlreicher Akteure präsentieren, wobei jede Form der öffentlichen Unterstützung an strenge Bedingungen geknüpft sein muss, um auf diese Weise „nach oben skalierende Kippkaskaden“ voranzutreiben, die den derzeitigen technologischen Horizont erweitern und eine kohlenstofffreie Zukunft einleiten. Um aber die Wirtschaft auf missionsorientierte Innovationssprünge auszurichten, brauchen wir neue Institutionen von der lokalen bis zur globalen Ebene.

* ZUR PERSON

Mariana Mazzucato ist Professorin für Innovationsökonomie und Public Value am University College London, Gründungsdirektorin des Institute for Innovation and Public Purpose am UCL sowie Verfasserin des jüngst erschienen Buchs „Mission Economy: A Moonshot Guide to Changing Capitalism“ (Allen Lane, 2021).

Auf internationaler Ebene könnte beispielsweise ein (nach dem Vorbild der europäischen supranationalen Forschungseinrichtung geschaffenes) „CERN für Klimatechnologie“ die Investitionen der teilnehmenden Regierungen koordinieren und aus einem gemeinsamen Topf die Entwicklung jener innovativer Technologien finanzieren, die der Privatsektor allein nicht vorantreiben würde, weil das entweder zu riskant wäre oder sich die finanziellen Erträge zu gering präsentieren. Diese Idee wurde etwa im Abschlussbericht des G7-Panels zu wirtschaftlicher Resilienz aufgegriffen, in dem ich Italien vertrat.

Auf nationaler Ebene können öffentliche grüne Investitionsbanken das für den Ausbau CO₂-freier Märkte nötige geduldige Kapital bereitstellen. Ein vielversprechendes Modell stellt dabei die Scottish National Investment Bank dar (an deren Gründung ich die Ehre hatte, mitzuwirken). Dabei handelt es sich um eine öffentliche Finanzinstitution, deren Hauptaufgabe darin besteht, die schottische Wirtschaft zu dekarbonisieren. Die neue Bank wird Investitionen in allen Sektoren und Unternehmen anregen, die sich auf kohlenstofffreie Technologien spezialisiert haben.

Nicht zuletzt haben wir noch die kommunale Ebene, wo sich Klimaschutzmaßnahmen in konkreten Projekten manifestieren, wie etwa in CO₂-freiem Wohnbau, autofreien Stadtvierteln und zirkulären Lieferketten. In diesem Zusammenhang kommt dem neuen Council of Urban Initiatives in Zusammenarbeit mit dem University College London sowie der London School of Economics und UN Habitat eine entscheidende Rolle zu, wenn es darum geht, Informationen über erfolgreiche Projekte auszutauschen und sie mit internationalen, nicht zuletzt auf der COP26 getroffenen Vereinbarungen abzustimmen.

Diese Institutionen werden die Zustimmung und das Engagement von Bürgerinnen und Bürgern – insbesondere der gefährdeten Arbeitskräfte – brauchen, um in die Gänge zu kommen. Die Gelbwesten und andere Gegenprotestbewegungen haben gezeigt, warum der Impuls für den grünen Wandel von unten kommen muss. Die Idee hinter den Vorschlägen im Rahmen des Green New Deal besteht darin, die Tatkraft der Bevölkerung zu nutzen, indem man die Menschen in den Mittelpunkt des wirtschaftlichen Wandels stellt.

Bürgerbeteiligung bedeutet, die Menschen in Prozesse auf Gemeindeebene einzubinden, wie es beispielsweise die Camden Renewal Commission tut, die wichtige Debatten unter Anwohnerverbänden genutzt hat, um die Wohnsiedlungen in den Mittelpunkt der Strategie für ein sauberes Wachstum dieses Londoner Stadtbezirks zu stellen. Es bedeutet auch, kommunale Vereinigungen, Genossenschaften und Gewerkschaften einzuladen, sich an der Bildung von sogenannten „Public-Common Partnerships“ zwischen öffentlichen Körperschaften und Bürgerinitiativen zu beteiligen. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Einrichtung von Bürgerversammlungen zum Klimawandel, wie es Spanien getan hat. Derartige institutionelle Innovationen werden als Grundlage für einen neuen Gesellschaftsvertrag dienen, der den einzigen Weg darstellt, um öffentliches Vertrauen aufzubauen und einen sozial gerechten Übergang zu erreichen.

Der größte Fehler des Klimaaktivismus besteht darin, dass es nicht gelungen ist, überzeugend und realistisch für einen grünen Übergang zu argumentieren, im Rahmen dessen die Interessen der Arbeitnehmer gefördert werden. Höchste Priorität sollte ein Green New Deal haben, der gute neue Arbeitsplätze schafft, den Lebensstandard anhebt sowie Prekariat und Ungleichheit reduziert. Der Erfolg des grünen Übergangs wird von der Umsetzung von Maßnahmen abhängen, die gewährleisten, dass Arbeitskräfte, deren Jobs durch die Dekarbonisierung gefährdet sind, in der neuen Wirtschaft Qualifikationen und Beschäftigung erlangen können. Andernfalls sollte ihnen ein garantiertes Mindesteinkommen als Grundrecht eingeräumt werden.

Das wird allerdings erst passieren, wenn die Arbeitnehmer einen Platz am Verhandlungstisch haben. Unabhängig von den neuen, auf der COP26 abgegebenen Zusagen auf globaler Ebene müssen wir die Arbeit hinter den Kulissen zum Aufbau von Institutionen verstärken und das Augenmerk auf die Ausweitung der Bürgerbeteiligung legen. Um eine Klimakatastrophe abzuwenden, gilt es, auf breiter Front mit neuen Technologien und – nicht weniger wichtig – mit neuen Institutionen auf allen Ebenen zu experimentieren.


Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier
Copyright: Project Syndicate, 2021. www.project-syndicate.org

Realist
23. November 2021 - 14.24

Zitat von Frau Pr. Mazzucato: "Der grösste Fehler des Klimaaktivismus besteht darin, dass es nicht gelungen ist, überzeugend und realistisch (...) zu argumentieren". So nah an der Wahrheit und doch so fern von jeder Einsicht. Offenbar wiegt der allgemein empfundene Mangel an überzeugenden Argumenten und Realitätsbezogenheit selbst für eine Akademikerin leider immer noch nicht schwer genug, um diese ganze Klima-Blase einmal von Grund auf in Frage zu stellen.