MikrofinanzExpertin: „Die Corona-Krise hinterlässt bleibende Spuren“

Mikrofinanz / Expertin: „Die Corona-Krise hinterlässt bleibende Spuren“
So sah es vor drei Jahren aus, als die Mikrofinanz-Woche noch physisch organisiert wurde Foto: e-MFP

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Luxemburg stand diese Woche wieder für einige Tage im Zentrum der weltweiten Mikrofinanz: Bereits zum 14. Mal fand von Mittwoch bis Freitag die Europäische Mikrofinanz-Woche statt. Das Tageblatt hat mit Maria May, Spezialistin für digitale Zahlungen bei der Bill & Melinda Gates Foundation, über die aktuelle Entwicklung des Sektors gesprochen.

Die Mikrofinanz ist eine Art Hilfe zur Selbsthilfe: Potenzielle Kleinst-Unternehmer, die kein Kapital und keinen Zugang zum Bankensektor haben, sollen dank Kleinstkrediten Projekte umsetzen und eigenes Geld verdienen können. Der Kreditnehmer soll mit dem Darlehen beispielsweise in ein Geschäft, in Saatgut oder in eine Maschine investieren können und sich so eine eigene wirtschaftliche Lebensgrundlage aufbauen. Sobald der Kredit zurückgezahlt ist, kann mit besagtem Geld dann die Idee eines anderen Unternehmers finanziert werden. Die kleinen Darlehen haben es seitdem Millionen Menschen auf der ganzen Welt ermöglicht, auf eigenen Füßen zu stehen.

Besonders seit Muhammad Yunus im Jahr 2006 für die Idee der Mikrokredite mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, ist die Mikrofinanz weltweit zu einer populären und erfolgreichen Strategie im Bereich der Armutsbekämpfung geworden. Über die Jahre hat sich der Sektor weiterentwickelt, neue Bereiche wie Mikrosparprogramme und Mikroversicherungen kamen hinzu. In Luxemburg wurde das Potenzial der Idee schnell erkannt. Regierung und Finanzsektor sind auf den Zug aufgesprungen, der von wohltätigen Organisationen gestartet wurde. Mittels vieler Initiativen, von denen die Mikrofinanz-Woche (siehe Kasten) nur eine ist, haben alle Beteiligten gemeinsam dem Land einen Namen in der Branche gemacht.

Das laufende Jahr „war ein hartes für den typischen Mikrofinanz-Kunden“, erklärt Maria May gegenüber dem Tageblatt. „Die Corona-Krise hinterlässt bleibende Spuren.“ Dieses Jahr hat sie zum zweiten Mal an der Luxemburger Mikrofinanz-Woche, die diese Woche stattfand, teilgenommen.

Seit nunmehr drei Jahren arbeitet sie für die Bill & Melinda Gates Foundation in Seattle. Gemeinsam mit einem kleinen Team von 35 Personen sucht sie nach Mitteln und Wegen, um wenig wohlhabenden Menschen – kostengünstig und digital – Zugang zu Finanzdienstleistungen zu verschaffen. „Weltweit gibt es immer noch 1,7 Milliarden Menschen, die keinen Zugang zu Bankdienstleistungen haben“, unterstreicht sie. Hierfür arbeite man mit allen möglichen Partnern zusammen, von Regierungen und Weltbank bis hin zu Produzenten von Kleidern und Betreibern von Plantagen.

Zuvor hatte die in den USA geborene Maria May, nach einem Studium der Soziologie und Gesundheitspolitik in Harvard, sieben Jahre in Bangladesch bei BRAC gearbeitet. Damals „an der anderen Seite des Tisches“, wie sie sagt. Sie versuchte, unter anderem, Gelder für die Aktivitäten von BRAC, mit sieben Millionen Kunden eines der weltgrößten Mikrofinanzinstitute, zu sammeln.

„Viele Familien sind zurück in die Armut gefallen“

Mit Pandemie und Naturkatastrophen habe die Armut weltweit wieder zugelegt, bedauert Maria May. „Es ist alles schwieriger geworden als vor Covid. Viele Kunden müssen kämpfen.“ Wer Spareinlagen hatte, konnte sich glücklich schätzen, sagt sie. Für viele Menschen seien diese eine entscheidende Rettungsleine gewesen, wie beispielsweise eine Umfrage unter Mikrofinanz-Kunden in Nigeria ergeben habe.

In der Folge der Krise haben manche Kunden die von den Mikrofinanzinstituten geliehene Geldsummen für lebensnotwendige Ausgaben – anstelle der vorgesehenen unternehmerischen Projekte – verwenden müssen. „In vielen Ländern sind aktuell dieses Jahr die Rückzahlungsraten von Krediten niedriger als sonst“, so Maria May. Das sei eine sehr herausfordernde Situation für die betroffenen Mikrofinanzinstitute.

Maria May
Maria May

Dennoch habe sich die Branche letztes Jahr insgesamt gut geschlagen, meint sie. Manche hätten es gar geschafft, die Krise in eine Chance zu verwandeln. So hätten manche den Kunden beispielsweise, mittels digitaler Zahlungsmechanismen, den Zugang zu den Finanzdienstleistungen vereinfacht. Gleichzeitig ermögliche die Technik es, die Produkte günstiger anzubieten. Andere Mikrofinanzinstitute hätten derweil die Möglichkeiten zum Sparen, oder für Mikro-Versicherungen, ausgebaut – Hilfen, um Krisenzeiten zu überstehen.

Manch negative Nachwirkungen der Krise werden jedoch noch lange spürbar bleiben, befürchtet sie. „Viele Familien sind zurück in die Armut gefallen.“ Vor allem Frauen seien betroffen. Und gerade für Regierungen in ärmeren Ländern sei das Gegensteuern schwierig. Hinzu kämen dann noch andere Probleme, wie etwa der Klimawandel, Naturkatastrophen und ein Mangel an Rohstoffen.

Die Gesundheit sei jedoch einer der wichtigsten Gründe, warum Familien in Armut fallen, unterstreicht Maria May. Sie hofft, dass dem Thema der „allgemeinen Krankenversicherung“ nun, nach Covid, weltweit mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden wird.

Die Woche der Mikrofinanz

Die einmal pro Jahr stattfindende „Woche der Mikrofinanz“ wird von der European Microfinance Platform (e-MFP) organisiert. e-MFP ist eine Multi-Stakeholder-Plattform mit Sitz in Luxemburg, die unterschiedlichste Organisationen zu ihren über 130 Mitgliedern zählt. Dazu gehören Universitäten, Banken, Nichtregierungsorganisationen und staatliche Entwicklungsbanken. e-MFP hat sich zum Ziel gesetzt, alle Akteure der Mikrofinanz zusammenzubringen, Wissen zu schaffen und es zu verbreiten. e-MFP beschäftigt sieben Mitarbeiter und wird von Sponsoren, Mitgliederbeiträgen, dem Luxemburger Außenministerium sowie dem Luxemburger Finanzministerium finanziert. Wie bereits 2020 fand die Veranstaltung auch dieses Jahr nicht wie in den Vorjahren in der Abtei Neumünster statt, sondern nur digital. Diese Form der Konferenz habe jedoch nicht nur Nachteile, so die Organisatoren. Sie ermögliche es, mehr Leute zu erreichen.

European Microfinance Award

Auch größtenteils digital hat dieses Jahr die Vergabe des mit 100.000 Euro dotierten „European Microfinance Award“ stattgefunden. Der begehrte Preis steht jedes Jahr unter einem anderen Thema. 2021 war es: „Inklusive Finanzen und Gesundheitswesen“. Aus drei Finalisten wurde also ein Mikrofinanzinstitut ausgesucht, das besonders innovative Projekte tätigt, die den Zugang gefährdeter Bevölkerungsgruppen zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung zu einem erschwinglichen Preis fördern.

Der diesjährige Gewinner, Fonkoze, kommt aus Haiti. Das Mikrofinanzinstitut bietet seinen Kunden, über seine gemeinnützige Stiftung Boutik-Santé, gesundheitliche Leistungen an. Ärzte und Experten des öffentlichen Gesundheitswesens bilden Krankenschwestern aus, die wiederum die Kunden von Fonkoze, darunter auch kommunale Gesundheitsunternehmer, schulen. Diese werden beauftragt, in ihrem Boutik-Santé-Franchise grundlegende Gesundheitsuntersuchungen durchzuführen, Gesundheitserziehung zu betreiben und Gesundheits- und Hygieneprodukte anzubieten.

Bei den vergangenen Auflagen belohnte der Award Institute für gute Ideen in Bereichen wie Umwelt, Technik, Sparen oder Nahrungsmittelsicherheit, Hausbau- oder Bildungsfinanzierung. Den Geldpreis stiftet das luxemburgische Kooperationsministerium.

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Ein Mobiltelefon kann Millionen Menschen den Zugang zu Finanzdienstleistungen eröffnen  Foto: BRAC