Gastbeitrag von Mars Di BartolomeoEine bessere Verfassung für heute und morgen

Gastbeitrag von Mars Di Bartolomeo / Eine bessere Verfassung für heute und morgen
Mars Di Bartolomeo bei einer Informationsveranstaltung zur Verfassungsreform Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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1868, ist das Geburtsjahr unserer aktuellen Verfassung. Wohl wurde unser Grundgesetz seitdem ungefähr 40-mal mehr oder weniger großen Veränderungen unterzogen, doch ist die Grundstruktur der Verfassung geblieben.

Es dürfte sich von selbst erklären, dass ein Text, der mittlerweile mehr als 150 Jahre alt ist, notgedrungen nicht, beziehungsweise unzureichend, den heutigen institutionellen, sozialen und gesellschaftlichen Realitäten entspricht. Und dass man daher immer wieder auf Formulierungen stößt, die angepasst werden müssen, dies umso mehr, da heutige Gesetze regelmäßig anhand der geltenden Verfassungstexte auf ihre Verfassungstreue geprüft werden.

Eine Verfassung ist aber kein Text, der nach Belieben, ja nach Mode abgeändert werden sollte. Sie ist das Fundament, auf dem unser staatsrechtliches System, und damit unser Land, aufgebaut ist. Weshalb sich vor gut 20 Jahren entschieden wurde, unser Grundgesetz von Grund auf zu überarbeiten, statt auf kontinuierliches Flickwerk zu setzen.

Haarscharf an einer institutionellen Krise vorbei

Wie notwendig das ist, zeigte sich spätestens Ende 2008, als eine Mehrheit von Abgeordneten das Euthanasie-Gesetz gestimmt hatte. Der Großherzog aber weigerte sich, das Gesetz gutzuheißen („sanctionner“), wie es in der Verfassung damals noch von ihm verlangt wurde. Wie man auch persönlich zum Thema der Euthanasie eingestellt sein mag, ist eine Sache. Es steht aber außer Frage, dass es an den gewählten Abgeordneten ist, über Gesetzestexte abzustimmen und nicht an einer einzelnen Person, auch wenn sie eine bedeutende Rolle für unser Land spielt. Diese Episode hat unser Land beinahe in eine institutionelle Krise gestürzt. Ich hoffe, dass es später von Historikern als das letzte Warnzeichen interpretiert wird, das mit sich brachte, dass wir uns eine neue Verfassung gegeben haben.

Eine Evolution, keine Revolution

Es ist also nicht so, dass die Reformvorschläge jetzt auf einmal aus einem Hut gezaubert würden. Seit nun gut 15 Jahren wird in der Institutionskommission des Parlamentes daran gearbeitet. Wir haben das Rad auch nicht neu erfunden. Bewährtes wurde beibehalten. Die Verfassungsreform stellt also keine Revolution, sondern eine Evolution dar. Sie wurde auch nicht im stillen Kämmerlein oder gar in einer Hexenküche zusammengebraut.

Vielmehr standen Verfassungsfragen seit Beginn der Arbeiten immer wieder zur öffentlichen Debatte. So zum Beispiel 2015, als drei verfassungsrelevante Fragen wie das Ausländerwahlrecht, das Wahlrecht ab 16 und die maximale Mandatsdauer für Regierungsmitglieder im Mittelpunkt eines Referendums standen. An das Resultat, das ja klarer nicht hätte sein können, wurde sich gehalten. So stimmt es einfach nicht, wenn heute von einer ADR behauptet wird, dass mit der Verfassungsrevision das Wahlrecht für Ausländer bei Parlamentswahlen durch eine Hintertür eingeführt würde. Dass das völlig falsch ist, ist schwarz auf weiß in den Revisionstexten nachzulesen! Und wer diese Texte mit der jetzigen Verfassung vergleicht, wird erkennen, dass die neuen Texte noch unmissverständlicher sind als die jetzigen. Wer trotzdem das Gegenteil behauptet, ist ein Lügner.

Auch ist es falsch zu behaupten, die Bevölkerung wäre nicht eingebunden gewesen. Das hieße, die Kampagne „Är Virschléi“, die ebenfalls 2015 organisiert wurde und an der Bürger aktiv teilgenommen haben, schlichtweg zu ignorieren. Dabei wurde auf diese Vorschläge gehört. So ist es zum Beispiel auf diese Kampagne zurückzuführen, dass u.a. die Rechte der Kinder und Familien gestärkt, der Sozialdialog verankert wurde und die Tiere als lebende Wesen, die es zu schützen gilt, ihren Weg in den Reformtext gefunden haben.

Volksinitiative kommt

Das sind aber bei weitem nicht die einzigen Verbesserungen, die der Reformvorschlag enthält. So sehen die Vorschläge zur Verfassung eine stärkere Bürgerbeteiligung vor. Die Volksinitiative soll jetzt im Grundgesetz verankert werden. Konkret sieht diese Initiative vor, dass eine Gruppe von mindestens 125 eingetragenen Wählern einen Gesetzesvorschlag einbringen kann, wenn sie dabei von mindestens 12.500 Wählern unterstützt wird. Das Parlament hat anschließend darüber zu entscheiden. Das geht wesentlich weiter als unser aktuelles Petitionssystem.

Der Reformvorschlag stärkt aber auch das Parlament, indem die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses vereinfacht wird. Können solche „commissions d’enquête“ aktuell in der Regel von den Mehrheitsparteien abgeblockt werden, so wird es, laut Reformvorschlag, in Zukunft reichen, wenn 20 Abgeordnete einen solchen Ausschuss fordern.

Viel wird aktuell auch über die Rolle des Großherzogs als Staatschef diskutiert. Es dürfte einleuchten, dass dem Großherzog 1868 eine andere Rolle und somit andere Befugnisse zukamen als in einer heutigen, modernen Demokratie. Der neue Text stellt dann auch klar, dass der Großherzog vor allem repräsentative Aufgaben hat. Seine Rolle als Staatschef und Teil der Exekutive wird im Text hervorgehoben. Er symbolisiert weiterhin unsere Einheit und Unabhängigkeit. Die eigentlichen politischen Entscheidungsträger sind die Regierung und die gewählten Volksvertreter. Und sie müssen entsprechend auch die Verantwortung tragen.

Eis Sprooch kënnt an d’Verfassung

Ein weiteres symbolträchtiges Thema ist die luxemburgische Sprache, die mit den Reformtexten in der neuen Verfassung verankert wird. Würde die Verfassungsreform verworfen, bliebe es beim aktuellen Grundgesetz. Und da wird die luxemburgische Sprache nicht erwähnt. Dass wir mehrsprachig sind und Europa verbunden bleiben, versteht sich von selbst.

In den verschiedenen Kapiteln werden unsere Grundrechte erweitert und gestärkt, unsere Freiheiten besser abgesichert, zusätzliche Prioritäten bei den Staatszielen definiert (neben dem Recht auf Arbeit das Recht auf Wohnen, eine gesunde Umwelt, das Recht auf Kultur und die Freiheit der Forschung).

Keine Parteipolitik mit der Verfassung!

Die Reformvorschläge wurden in einem breiten Konsens ausgearbeitet. Was, bei den Unterschieden zwischen den Parteien, nicht immer einfach war und mit ein Grund ist, warum sich die Arbeiten über 15 Jahre hingezogen haben. Nicht nur, weil es einer Zweidrittelmehrheit bedarf, um eine Verfassungsänderung durchzuführen. Sondern vor allem, weil sich ein so fundamentaler Text nicht eignet, um damit Parteipolitik zu machen.

Die Verfassung soll vielmehr die Leute, die Gesellschaft zusammenbringen und nicht auseinanderdividieren.

Deshalb ist es bedauerlich, dass die Einigkeit der vier großen Parteien 2019 von der CSV aufgekündigt wurde. Weil die Oppositionspartei damals klargemacht hatte, dass sie den Reformvorschlag, an dem sie selber so lange mitgearbeitet hatte, so nicht mehr tragen würde, wurde händeringend nach einer Lösung gesucht. Schließlich konnte sich darauf geeinigt werden, keinen vollständig neuen Text zu verfassen, sondern wichtige Änderungen in vier große Kapitel aufzuteilen. Was aber mit sich brachte, dass auf ein Referendum verzichtet wurde.

Nun wurde das erste Kapitel, das die Justiz betrifft, mit großer Mehrheit im ersten Votum vom Parlament angenommen. Hier wird unter anderem die Unabhängigkeit der Justiz ein erstes Mal in unserer Verfassung verankert. Das gilt auch für die Unschuldsvermutung des Bürgers vor Gericht. Dass das erste Kapitel jetzt vom Parlament verabschiedet wurde, heißt keineswegs, dass man den Bürger übergehen will. Im Gegenteil: Die Prozeduren zu einer eventuellen Bürgerbefragung werden dadurch erst möglich. Auch die anderen Kapitel sind inzwischen spruchreif. Wichtig ist jetzt, die gesamte Reform, das heißt alle vier Kapitel, in denen über 15 Jahre Arbeit stecken, ins Ziel zu führen. So nah wie heute waren wir diesem Ziel noch nie.

Und gerade deshalb sollte man sich selbst eine Meinung bilden, neue Texte mit der jetzigen Verfassung vergleichen, die wesentlichen Verbesserungen zur Kenntnis nehmen und sich nicht von Kaputtmachern irreleiten lassen.

* Der Autor ist Abgeordneter der LSAP und begleitet die Verfassungsreform als Berichterstatter. 

Charles HILD
15. November 2021 - 7.10

@werner: Esou soe gouf och ëmmer wunn der Klimakris geschwat. "Dat kënnt nie!" Och wann et hoffentlech ni esou wäit kënnt, wier et gutt an der Verfassung eppes viir ze gesinn. Soss si mer "ob éiweg" vum Euro an der EU ofhängech. Ech mengen, dat ass och bewosst gewollt. Ouni Frang ass ee Luxexit onméiglech. Deemols, bei der Ofwäertung vum BF ware mer Frou nach e L. Frang ze hun. Nach emol: "Dat gëtt et ni méi", ass keen Argument. Dat ass kannerech naiv a kurzsichteg.

Robert Hottua
14. November 2021 - 16.19

@Anatole : was meinen Sie? MfG Robert Hottua

Verona
14. November 2021 - 11.29

@schullerpiir „art11 Les luxembourgeois sont égaux devant la loi.“ Weisou get do nach en Zousatz beigesaat, den Ausnahmen ermeiglecht??? Waat ass dann do den Hannergedanken? Weivill esou faul Tricken sinn nach virgesin?" Dat ass fir eis iwwerflësseg Adeleger. Mir hunn esouguer eng Kubanerin, déi ëmmer als angeblech 'Groussherzogin' dohierkënnt.

Anatole
14. November 2021 - 11.28

@Robert Hottua "Guten Tag Herr di Bartolomeo, wegschauen bei „dysfonctionnements aux conséquences humaines désastreuses“ wird von jedem Grundgesetz eines integren Rechtsstaates als inakzeptabel eingestuft." Nein, wird es nicht.

werner
14. November 2021 - 11.27

@Charles HILD "Ween dierf dann an Zukunft, wann et emol néideg giff gin, Lëtzebuerger Frangen drécken?" Dat gëtt et ni méi. Och wann e puer Aler wéi Dir dat hoffen.

schullerpiir
13. November 2021 - 18.04

"art11 Les luxembourgeois sont égaux devant la loi." Weisou get do nach en Zousatz beigesaat, den Ausnahmen ermeiglecht??? Waat ass dann do den Hannergedanken? Weivill esou faul Tricken sinn nach virgesin?

lucio
13. November 2021 - 12.20

Léif Kommentatoren. Vergiesst w.e.g net, ween eis de Schlamassel agbrockt huet - d‘CSV, déi op eemol näischt méi vn hirem Verfassungstext wësse wollt. An zur Bedeelegung vum Bierger: hutt die vergiess, datt jidfereen säi päfferkär konnt bäiginn. Et wor een es bal iwwerdrësseg. Mä vill Leit leide scheinbar ënner akutem Gedächtnesschwund.

Charles HILD
13. November 2021 - 8.58

Ween dierf dann an Zukunft, wann et emol néideg giff gin, Lëtzebuerger Frangen drécken?

Robert Hottua
13. November 2021 - 1.48

Guten Tag Herr di Bartolomeo, wegschauen bei "dysfonctionnements aux conséquences humaines désastreuses" wird von jedem Grundgesetz eines integren Rechtsstaates als inakzeptabel eingestuft. Die Schuld des Wegschauens ist verhängnisvoll und unverjährbar. MfG Robert Hottua

Grober J-P.
12. November 2021 - 20.41

"Und gerade deshalb sollte man sich selbst eine Meinung bilden, neue Texte mit der jetzigen Verfassung vergleichen." Lieber Mars als alter Klassenkämpfer könntest du mir verraten wo die neuen Texte stehen! Ich finde nix, bin ich zu blöd dazu oder hast du sie noch auf dem Dachboden? Die alten Texte habe ich noch.

Ënnert ons
12. November 2021 - 17.42

Zuerst versuchen die Fassung nicht zu verlieren, dann eventuell weitersehen , oder ‘

En aalen Didelénger
12. November 2021 - 15.21

Politiker geben sich gerne für so manches her , doch unser Mars jetzt auch noch als Werbevertreter in Sachen Verfassung durch die Lande reist, zeigt doch wie wichtig den Herrschenden diese Verfassung scheint. Ich hoffe der „Aarbechterbouw „ Mars schwimmt nicht auf der Welle der jungen „ bloo Vertriederin „ aus Walferdingen , die bei einer RTL Quasselsendung dem Bürger die Kompetenz absprach über solch komplexe Thematik abzustimmen. „ Nee , den Bierger ass net domm „ , er verlangt nur die Regierung ihr Versprechen zum Referendum einhält, er um seine Meinung gefragt wird. „Mars , ech hoffen du hues déng Wuerzelen net vergiess“, deine ideologischen Ziehväter „ Biewesch Néckel, Fohrmanns Jängi,Birtzen Néckel «  würden es nicht verstehen , ein dem Wähler gegebenes Versprechen nicht eingehalten wird. Ich persönlich betrachte es als Schlag ins Gesicht der Demokratie oder Schummeln das in diesem Staate anscheinend /leider Usus wurde und politische Verantwortung ,Konsequenzen übernehmen seit der Causa Semedo,Cahen,Dieschbourg,……ein No Go ist .