DeutschlandNachrichtendienste geben Einblicke in ihre Erkenntnisse

Deutschland / Nachrichtendienste geben Einblicke in ihre Erkenntnisse
Die Chefs der deutschen Nachrichtendienste: (v.l.) Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Martina Rosenberg, Präsidentin des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD), und Bruno Kahl, Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) Foto: Fabian Sommer/dpa

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Die Nachrichtendienste sorgen sich um anhaltende und neue Gefahren. Rechts- und linksextreme Gewalttäter vernetzen sich. Und auch der islamistische Terror könnte durch den Fall Afghanistans an die Taliban Auftrieb bekommen. Wie (un)sicher Deutschland derzeit wirklich ist, ließen die Chefs der Dienste im Bundestag erkennen.

Es ist eine Gratwanderung, wenn die gewöhnlich geheim operierenden Präsidenten der drei deutschen Nachrichtendienste einmal im Jahr dem gewöhnlich geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremium in aller Öffentlichkeit Rede und Antwort stehen. Auch an diesem Mittwoch prallten viele Fragen an der Wand eines angeblichen oder tatsächlichen Geheimschutzbedürfnisses ab. Doch eine Vorstellung von den gewachsenen aktuellen Gefahren vermittelten Verfassungsschutz, BND und MAD dann doch. Fazit: Kein Grund zur Beruhigung. Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang sieht sogar dringenden Anlass für neue Schutzvorkehrungen: „Wir müssen die Widerstandskraft unserer Demokratie stärken“, sagte er den Abgeordneten.

Zugleich aber müssen die Dienste ihre Prognosefähigkeit schärfen. Insbesondere der BND wurde von den Entwicklungen in Afghanistan überrascht. Außenminister Heiko Maas hatte die Fehleinschätzung des Auslandsnachrichtendienstes über die Widerstandsfähigkeit der Sicherheitskräfte für falsche Entscheidungen der Politik verantwortlich gemacht. Von sich aus kam BND-Chef Bruno Kahl auf diesen Irrtum zu sprechen, dem auch die anderen westlichen Dienste erlegen waren. Immer noch liege der Vorgang bei der internen Revision. Als eine Konsequenz habe der Dienst eine Umwandlung eingeleitet. Aus elf Abteilungen werden bis Mitte nächsten Jahres fünf Arbeitsbereiche. Die Auswertung wird dabei gesondert überprüft, eigene Annahmen verstärkt hinterfragt.

Welche Auswirkungen der Siegeszug der Taliban am Hindukusch für die Sicherheit Deutschlands hat, können die Dienste zwar noch nicht abschätzen. Haldenwang treibt jedenfalls die Sorge um, dass die Islamisten wieder Terrorzellen („Hit-Teams“) zu Anschlägen nach Europa schicken könnten. Zwar sei nach übereinstimmender Einschätzung von BND und Verfassungsschutz damit zu rechnen, dass die Taliban schon aus eigenem Interesse Anschlagsvorbereitungen des konkurrierenden Islamischen Staates unterbinden würden. Doch der Sieg der Islamisten in Afghanistan habe „der ganzen Szene Rückenwind“ gegeben.

Rechtsradikale in der Bundeswehr

Mit dem Zurückdrängen des IS in Syrien und im Irak sei das Problem nicht verschwunden. Die IS-Kämpfer seien lediglich in den Untergrund gegangen, und wenn sie nun auch aus Afghanistan verdrängt würden, könnten sie durchaus vermehrt nach Europa einsickern.

Sie träfen in Deutschland auf eine Gesellschaft, die von zunehmender Polarisierung und Gewaltbereitschaft geprägt wird. Haldenwang bezifferte die Zahl der Rechtsextremisten auf 33.300, die der Linksextremisten auf 34.300. Gewaltbereite Rechtsextremisten hätten im vergangenen Jahr 1.023 Gewalttaten verübt, auf der anderen Seite seien es 1.237 gewesen. Der Rechtsextremismus sei die größte Bedrohung für die Gesellschaft, aber auch die linksextremistische Szene nehme den Tod von Menschen billigend in Kauf. Sie vernetze sich immer wieder, um bei Großlagen auch Extremisten aus dem Ausland logistische Hilfe zu geben.

Hartnäckig fragten mehrere Abgeordnete die für die Bundeswehr zuständige Präsidentin des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), Martina Rosenberg, nach rechtsextremistischen Netzwerken in und am Rand der Truppe. Rosenberg hielt sich mit klaren Auskünften über vernetzte Strukturen zurück, verwies darauf, dass ihre Behörde aktuell 1.397 Extremismus-Verdachtsfälle untersuche, davon rund 1.200 im rechtsradikalen Bereich. Zuletzt seien 23 in den Bereich „Rot“ als erwiesen extremistisch eingestuft worden, ebenso 23 in den Bereich „Orange“ wegen fehlender Verfassungstreue. Allerdings zeichnete sie eine schillernde Zustandsbeschreibung, wonach die Ministeriumsspitze hart durchgreife, die Truppe zunehmend sensibilisiert sei, die Extremisten aber trotzdem bleiben könnten, solange ihnen gerichtsfest nicht eine „gefestigte nationalsozialistische Gesinnung“ nachgewiesen werden könne. Die Gerichte akzeptierten selbst einen Hitlergruß nur als Grund für Degradierungen, nicht für Entlassungen.

Keine Angaben zur Quellenlage

Bei der Abschirmung von Auslandseinsätzen hat jedenfalls auch der MAD aus Afghanistan nach den Worten seiner Chefin Zweifel mitgebracht, „ob die geltenden Regeln die Einsatzrealität noch abbilden“. Die Frage nach dem laufenden Mali-Einsatz und ob der Bundeswehr dort ähnliches bevorstehe wie in Afghanistan, beantwortete Kahl pessimistisch: Dort breiteten sich terroristische Strukturen aus. Es gebe Anlass, die Optionen zu überdenken. Jedenfalls schloss Kahl aus, dass sich aus den vor allem von Russland und den USA eingesetzten privaten Söldnertruppen Gefahren für deutsche Soldaten in Mali ergäben.

Bei der Quellenlage lassen sich die Dienste jedenfalls ungern in die Karten schauen. Haldenwang wollte öffentlich nicht sagen, ob der Verfassungsschutz als Inlandsnachrichtendienst auch im Ausland über Quellen verfügt. Erstaunt nahmen die Abgeordneten jedenfalls zur Kenntnis, dass der Auslandsnachrichtendienst in der Vergangenheit den Saal verlassen musste, wenn im Gemeinsamen Extremismus-Abwehrzentrum der Sicherheitsbehörden bestimmte Fälle aufgeblättert wurden – bis die Erkenntnis wuchs, dass Informationen aus dem Ausland durchaus sinnvoll sein könnten.