GroßbritannienRegierung lehnt Corona-Einschränkungen ab

Großbritannien / Regierung lehnt Corona-Einschränkungen ab
Der britische Gesundheitsminister Sajid Javid setzt auf eine Beschleunigung der Drittimpfung für Ältere Foto: AFP/Toby Melville

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Hundert Tage nach der Aufhebung aller Corona-Beschränkungen („Freedom Day“) verharrte Großbritannien am Mittwoch zwischen Hoffen und Bangen: Folgt der seit Wochen stark steigenden hohen Neuinfektionsrate mit Inzidenzen von zuletzt 486 pro 100.000 Einwohnern unweigerlich wieder der Beinahe-Zusammenbruch des Gesundheitssystems wie im vergangenen Winter? Oder kann das Impfprogramm die Welle von Einweisungen in die Krankenhäuser und Sterbefällen brechen? Premier Boris Johnson bleibt dabei: Bis auf weiteres geht das Leben in England ohne Masken und Impfpässe weiter.

Seit 19. Juli gaben zunächst die für England zuständige Londoner Regierung, später auch die Regionen Schottland, Wales und Nordirland sämtliche gesetzlichen Corona-Einschränkungen auf. Bestehen blieben lediglich Empfehlungen: So sollen in geschlossenen Räumen sowie in Bussen und Bahnen auch weiterhin Masken getragen werden; zudem sind die Briten gehalten, wann immer möglich Distanz zu halten. In der Praxis wirken viele Restaurants, U-Bahnen und Konzertsäle, als habe es Covid-19 nie gegeben: keine Maske, nirgends. Im weitaus größten Bevölkerungsteil England werden Impfnachweise kaum verlangt, die entsprechende App lässt auf sich warten.

Längst fordern Wissenschaftler und Praktiker wie Matthew Taylor vom Verband der Krankenhausträger sowie die Labour-Opposition neue Beschränkungen, im Regierungsjargon „Plan B“ genannt. Das Tragen von Mund-Nase-Schutz, die Benutzung von Impfnachweisen und die Rückkehr ins Homeoffice müssten verpflichtend geregelt werden.

Die konservative Regierung fürchtet negative wirtschaftliche Folgen und kann sich dabei auf entsprechende Studien stützen. Eine Expertise des Finanzministeriums, die dem Webmagazin Politico zugespielt wurde, geht davon aus, dass mit Plan B einhergehende neue restriktive Maßnahmen bis Ende März einen ökonomischen Schaden von bis zu 18 Milliarden Pfund (21,4 Mrd. Euro) verursachen würden. Die zweifelhafte Zahl beruht auf der Annahme hoher Verluste von Geschäften, Restaurants und Pubs, Theatern und Kinos in den Innenstädten, sollten wieder die meisten Büro-Angestellten im Homeoffice verharren und auch Abendvergnügungen meiden.

Stattdessen setzen Gesundheitsminister Sajid Javid und die Funktionäre des Nationalen Gesundheitssystems NHS auf eine Beschleunigung der Drittimpfungen für Ältere sowie der Erstimpfungen von Kindern und Jugendlichen. In den vergangenen sechs Wochen hätten mehr als die Hälfte der über 50-Jährigen ihre Auffrisch-Immunisierung erhalten, verkündete das NHS am Dienstag. Ersten Studien zufolge nimmt der Schutz vor Sars-CoV-2 beim AstraZeneca-Medikament, das auf der Insel vorrangig eingesetzt wurde, geringfügig schneller ab als bei mRNA-Präparaten wie Biontech/Pfizer oder Moderna.

Neue Variante breitet sich aus

Immerhin scheint AY.4.2, eine erstmals im Juni identifizierte Fortentwicklung der hochinfektiösen Delta-Mutation, die Infektionslage nicht wesentlich zu verschlechtern. Die Variante ist Fachleuten zufolge mittlerweile für jede zehnte Covid-Ansteckung auf der Insel verantwortlich, ihre Übertragbarkeit liegt um 10 bis 15 Prozent höher als bei der ursprünglichen, aus Indien stammenden Delta-Variation. Dies sei zwar „ärgerlich, aber nicht katastrophal“, glaubt Jeffrey Barrett vom Wellcome Sanger-Institut in Cambridge.

Unklar bleibt, wie viele Tote die Regierung hinzunehmen bereit ist, ehe sie die Notbremse zieht. Derzeit (Stand Dienstag) hat das Land täglich 140 Covid-Tote zu beklagen, was einer durchschnittlich schlimmen Grippe-Epidemie entspricht.

Weil das NHS regelmäßig im Winter an den Rand seiner Leistungsfähigkeit gerät, hat Johnson weitere staatliche Milliarden für die Gesundheitsversorgung versprochen. Sie kommen allerdings zu spät, um die „echte Krise“ zu vermeiden, die Praktiker für den Winter voraussagen. Dann müssten, wie schon in den ersten beiden Corona-Lockdowns, alle vermeidbaren Behandlungen abgesagt werden. Schon jetzt warten mehr als fünf Millionen von Patienten auf Krebsvorsorge-Untersuchungen oder längst fällige Hüft- und Knieoperationen.

Markus Heinz
29. Oktober 2021 - 13.55

BoJo macht alles richtig. Beschränkungen würden auch nix bringen das sehen wir ja an vielen Beispielen in der Welt.

HTK
28. Oktober 2021 - 9.56

BoJo macht seine eigenen Gesetze und fährt das Land an die Wand.