LockdownsKaum jemand geimpft und 1.000 Covid-Tote am Tag – Russland versucht nun die Vollbremsung

Lockdowns / Kaum jemand geimpft und 1.000 Covid-Tote am Tag – Russland versucht nun die Vollbremsung
Alltag auf dem Corona-Friedhof von Omsk: Unabhängige russische Demografen sprechen davon, dass die Übersterblichkeit längst bei 3.000 Toten täglich liege Foto: dpa/Uncredited

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Jeden Tag sterben in Russland mehr als 1.000 Menschen an Covid. Das Land, das sich feiert, das weltweit erste Corona-Vakzin zugelassen zu haben, hat Schwierigkeiten, Vertrauen in die Impfung zu wecken. Nun gehen mehrere Regionen wieder in einen Lockdown.

Als die Moskauer Stadtregierung davon sprach, Fitnesscenter, Restaurants und Shoppingmalls zu schließen, stiegen die Buchungszahlen in den Hotels der Regionen unweit der Hauptstadt sprunghaft an. Flüge in den Süden verteuerten sich. Die Moskauer wollen weg. Wollen von Corona wenig hören, auch wenn das Virus das Land seit Wochen im Griff hat. Sie wollen raus aus dem staatlich angekündigten Lockdown, der spätestens ab dem 30. Oktober anfängt, in vielen Regionen aber bereits an diesem Montag begann.

Moskau schließt ab Donnerstag seine Schulen und Kindergärten, schließt Restaurants, Cafés, Friseure und Sportstätten. Parks lässt es offen, im Gegensatz zum harten Lockdown im Frühjahr 2020 dürfen die Menschen ihre Wohnungen verlassen. Viele Betriebe stehen still. Präsident Wladimir Putin hat wieder einmal Zwangsferien angeordnet. „Arbeitsfreie Tage“ nennt er das, bei voller Bezahlung. Die Hauptlast tragen auch dieses Mal die Unternehmen. Die Entscheidung darüber, womöglich noch härtere Maßnahmen einzuführen, überlässt er den Regionen. Seit den Anfängen der Pandemie lag dem Kreml nicht viel daran, Verantwortung zu übernehmen.

Mit vollem Tempo in die Katastrophe

Russland ist mit vollem Tempo und ebenso vollen Bewusstseins in die Katastrophe gesteuert. Seit Wochen steigen die Zahlen der Infizierten an. Niedrig waren sie letztlich nie. Am Montag meldeten die Behörden 37.930 Neu-Infizierte und 1.069 Tote innerhalb eines Tages. Es war wieder ein Rekord. Dabei handelt es sich um offizielle Zahlen. Russland zählt seine Corona-Toten sehr konservativ. Nach einer Pflicht-Obduktion entscheiden Pathologen, ob nicht eine andere Erkrankung des Patienten ausschlaggebender war. Unabhängige russische Demografen sprechen davon, dass die Übersterblichkeit längst bei 3.000 Toten täglich liege.

Nun versucht das Land eine Vollbremsung. Ob es bei einer Woche bleibt, ist ungewiss. Das Dilemma dabei: Die schwache Wirtschaft kann es sich kaum leisten, länger Pause zu machen. Am Wochenende vor dem Lockdown strömen die Menschen in die Restaurants und Cafés, sie machen noch einen Kurztrip, auf Abstände und Maskentragen wurde in Russland seit jeher wenig geachtet. In manchen Regionen entstand oft der Eindruck, die Pandemie gebe es gar nicht. Doch die Krankenhäuser sind voll, 96 Prozent der Covid-Betten sind mittlerweile belegt, Ärzte berichten davon, dass sie ihre Patienten auf den Fluren behandeln müssten. Mancherorts fehlt es an Sauerstoff.

Neue Gräber auf dem Jastrebkowskoje-Friedhof in Moskau, der als eine der Begräbnisstätten für die an dem Coronavirus Verstorbenen dient
Neue Gräber auf dem Jastrebkowskoje-Friedhof in Moskau, der als eine der Begräbnisstätten für die an dem Coronavirus Verstorbenen dient Foto: dpa/Dmitry Serebryakov

Mit Grusel-TV-Spots und städtischer Werbung à la „Es reicht mit der Angst, lass dich impfen!“ versuchen die Behörden, die Menschen zu einer Impfung zu bewegen. Lediglich ein Drittel der Russen ist vollständig geimpft. Russlands Regierung feierte vor einem Jahr ihr Vakzin Sputnik V als ersten weltweit zugelassenen Impfstoff. Doch der Stoff genießt wenig Vertrauen, ausländische Vakzine sind in Russland ohnehin nicht zugelassen. Nach der jüngsten Umfrage des unabhängigen Moskauer Meinungsforschungsinstituts „Lewada-Zentrum“ wollen sich 54 Prozent der Befragten nicht impfen lassen.

Staatspropaganda gegen westliche Vakzine

Russlands Staatspropaganda tat seit den Anfängen der Pandemie so, als sei Corona nicht viel schlimmer als eine Grippe. Mit Schmutzkampagnen machte das Staatsfernsehen Stimmung gegen ausländische Impfstoffe – und schwächte so auch das Vertrauen in den eigenen Impfstoff. „Alle Stoffe sind unsicher“, setzte sich in den Köpfen vieler fest, selbst unter der Ärzteschaft gibt es viele Impfgegner. Der sonst so medial auftretende Präsident ließ sich offenbar heimlich und leise impfen. In der Öffentlichkeit trägt Putin nie Maske.

Der volle Ernst der Lage ist vielen im Land nach wie vor nicht bewusst. Das liegt zum einen an manipulierten Zahlen von Kranken und Toten, zum anderen aber auch an der weit verbreiteten Schicksalsergebenheit: „Na awos“, sagen die Russen oft, „Es wird schon irgendwie“, und sehen es als kleine Inseln der Freiheit in einem sonst sehr einengenden und vorschreibenden Staat, keine Maske aufzusetzen und auch schon mal trotz Quarantäne zur Arbeit zu kommen.

jeff
27. Oktober 2021 - 8.04

wat een hei awer net alles liesen muss. Westlech Propaganda géint den Sputnik war jo keng bedriwwen ginn. Wéi vill lockdowns haten mir dann hei an Europa? Huet den Putin den astrazeneca diffaméiert oder waren dat déi Westlech Länner selwer? Wat sollen esou eesäiteg Berichter iwwerhaapt bezwecken?

JJ
26. Oktober 2021 - 14.54

" Der sonst so medial auftretende Präsident ließ sich offenbar heimlich und leise impfen." Ja,und wahrscheinlich mit Moderna oder Pfizer.

Sputnik
26. Oktober 2021 - 9.33

Putin trägt immer Maske.Vor allem vor der Kamera. Manipulation ist in Russland Tagesgeschäft.Was nicht sein darf ist nicht. "Na awos"? Was bleibt den Russen übrig außer Resignation,denn ,wer aufbegehrt verschwindet oder wird niedergeknüppelt. Für Putin wäre es doch ein Leichtes den Impfzwang einzuführen.