RechtsstaatlichkeitStreit mit Polen beschäftigt EU-Gipfel

Rechtsstaatlichkeit / Streit mit Polen beschäftigt EU-Gipfel
EU-Ratspräsident Charles Michel bereitete gestern im Sitzungssaal der EU-Staats- und Regierungschefs in einer Videokonferenz mit Berlin und Paris das heute beginnende Gipfeltreffen vor Foto: Pool/AFP/Olivier Matthys

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Steigende Energiepreise, erhöhter Migrationsdruck an den EU-Außengrenzen im Baltikum und Polen sowie Klimawandel und Corona werden die 27 EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrem heute beginnenden zweitägigen Gipfeltreffen in Brüssel beschäftigen. In den Schlagzeilen dominiert jedoch der Streit mit Polen über die Rechtsstaatlichkeit und ein Urteil des polnischen Verfassungsgerichts.

Eigentlich sollte er nicht auf der Gipfel-Tagesordnung stehen, der vor rund zwei Wochen offen ausgebrochene Streit mit Polen über die Rechtsstaatlichkeit und ein Urteil des polnischen Verfassungsgerichtshofes, das dem polnischen Recht Vorrang vor EU-Recht einräumt. Als das Einladungsschreiben des Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel, an die 27 EU-Staats- und Regierungschefs dann gestern Nachmittag veröffentlicht wurde, hieß es, dass sie die „rezenten Entwicklungen im Zusammenhang mit der Rechtsstaatlichkeit ansprechen“ werden. Mehrere EU-Staaten wollten darüber reden, wurde gestern vonseiten des Rates mitgeteilt. Es seien aber keine Schlussfolgerungen zu dem Punkt in der Gipfel-Erklärung zu erwarten.

Insbesondere die Benelux-Staaten sehen Gesprächsbedarf, denn, wie der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn bereits mehrmals erklärt hat, geht es in dem Fall um existenzielle Fragen der EU. Andere, große EU-Staaten wie Deutschland und Frankreich setzen derzeit noch vor allem auf Dialog. Die scheidende deutsche Kanzlerin Angela Merkel will offensichtlich in den letzten Wochen ihrer Amtszeit mit dem polnischen Nachbarn kein größeres Zerwürfnis anzetteln. Und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron wird in einem Medienbericht nachgesagt, unter anderem auf die Unterstützung Warschaus zu setzen, um Atomkraftwerke als Alternative im Kampf gegen den Klimawandel zu fördern. Ohnehin sei es nicht am Rat, in der Causa Polen Vorschläge zu machen, hieß es gestern in Brüssel.

Diese Aufgabe fällt der Kommission zu, deren Chefin Ursula von der Leyen während einer Debatte mit dem polnischen Regierungschef Mateusz Morawiecki am Dienstag im Europäischen Parlament (EP) ihre Optionen auf den Tisch gelegt hat. Sie habe die Wahl zwischen einem Vertragsverletzungsverfahren, der Aktivierung des Rechtsstaatsmechanismus (oder Konditionalitätsregelung) oder einem Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages, der sogenannten „Nuklearoption“, die einen Entzug des Stimmrechts in der EU zur Folge haben kann. Der Druck auf Ursula von der Leyen, zu handeln, steigt allerdings. So fordern die Benelux-Staaten, wie aus einer Mitteilung der belgischen Außenministerin Sophie Wilmès vom Dienstag hervorgeht, dass die Kommission „so früh wie möglich“ den Rechtsstaatsmechanismus anwenden soll, der es erlaubt, die Auszahlung von EU-Geldern an das betroffene Land auszusetzen. Ein Vertragsverletzungsverfahren allein würde nicht ausreichen.

Klage wegen Untätigkeit

Schwerer dürfte jedoch die gestrige Mitteilung des EP-Präsidenten David Sassoli wiegen, grünes Licht für eine Klage des Parlaments gegen die EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg zu geben, sollte diese bis zum 2. November nicht den Rechtsstaatsmechanismus anwenden. Die EU-Parlamentarier drohen der Brüsseler Behörde bereits seit Monaten damit, sie wegen Untätigkeit anzuklagen, obwohl ihr bereits seit Jahresbeginn das Instrument der Konditionalitätsregelung zur Verfügung steht, um Verfehlungen der Mitgliedstaaten gegen die Rechtsstaatlichkeit zu ahnden. Wobei die EP-Abgeordneten bisher jedoch zuvorderst den ungarischen Regierungschef im Visier hatten, dem ebenfalls mutmaßliche Verstöße gegen rechtsstaatliche Prinzipien vorgeworfen werden.

Doch bevor sie ein wie auch immer geartetes Verfahren einleitet, will die Kommission das polnische Urteil erst noch im Detail analysieren. Obwohl Luxemburg einerseits auf politischen Druck setzt, hat es andererseits auch ein Interesse daran, dass ein eventuelles Vorgehen gegen die national-konservative Regierung in Warschau juristisch wasserdicht ist. Denn wer sich für die Sache der Rechtsstaatlichkeit einsetzt, darf sich keine juristischen Fehler erlauben, hieß es dazu gestern aus diplomatischen Kreisen in Brüssel. Beim Gipfeltreffen ist demnach mit keiner entscheidenden Entwicklung zu rechnen.

Steigende Energiepreise

Wenig Handhabe haben die 27 gegenwärtig auch angesichts der weiterhin steigenden Energiepreise. Außer mittel- bis langfristigen Maßnahmen wie weitere gesetzliche Regulierungen und Investitionen in nachhaltige Lösungen wie erneuerbare Energieträger werden die Gipfelteilnehmer kaum mehr anzubieten haben, als die EU-Kommission vergangene Woche in einer Mitteilung zum Thema erklärte. Darin wurden vor allem diverse finanzielle Unterstützungen wie beispielsweise gezielte Steuersenkungen, Zahlungsaufschübe, Gutscheine und Beihilfen vorgeschlagen. Russland dürfte bei den Gesprächen eine Rolle spielen, da dem Land eine Mitschuld vor allem an den gestiegenen Gaspreisen angelastet wird. Zwar versichert Moskau, dass alle Bestellungen bedient wurden. Doch berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg gestern ebenfalls, dass Russland zusätzliche Gaslieferungen an europäische Verbraucher von „der behördlichen Genehmigung für den Beginn der Lieferungen durch die Nord-Stream-2-Pipeline“ als Gegenleistung abhängig macht.

Längere und schwierige Diskussionen kündigen sich zudem über die Migration an. Nicht nur ist allgemein in diesem Bereich kein Weiterkommen zu verzeichnen. Erschwerend kommt nun die Lage an der polnisch-belarussischen Grenze hinzu, wo immer mehr Migranten versuchen, in die EU zu gelangen. Allerdings gehen polnische Grenzschützer mit aller Härte gegen die vom belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko missbrauchten und vorwiegend aus dem Irak und Syrien stammenden Menschen vor. Mit Methoden, die laut jüngsten Medienberichten auch an den kroatischen und griechischen EU-Außengrenzen angewandt werden.

JJ
21. Oktober 2021 - 11.35

Schmeisst sie raus.Sie haben genug abgesahnt.Und den Orban gleich hinterher,in einem Arbeitsgang.Das spart Tinte.