So steht es um die Union in DeutschlandKeiner ist mehr in der Lage, die Richtung vorzugeben – das war früher undenkbar

So steht es um die Union in Deutschland / Keiner ist mehr in der Lage, die Richtung vorzugeben – das war früher undenkbar
Da SPD, Grüne und FDP so konsequent vorgehen, muss die Union schneller als gedacht Antworten auf unbequeme Fragen finden Foto: AFP/Ina Fassbender

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Noch ist völlig unklar, mit wem es an der Spitze der Union weitergehen soll. Auch inhaltlich weist die Partei viele Schwächen auf. Nur eines ist sicher: CDU und CSU richten sich im Bundestag bereits in der Opposition ein. Inklusive Postenkampf.

Die Lage ist ziemlich unübersichtlich. Das zeigte sich offen auf dem Deutschlandtag der Jungen Union am Wochenende, etwa bei der Bewertung des Sondierungspapiers der Ampel-Parteien – „strammste Linksagenda“ (Fraktionschef Ralph Brinkhaus) versus „in Ordnung“ (CDU-Parteichef Armin Laschet). Es fehlt an Führung und damit der Kurs. In der Union gibt man zu, dass man vom zügigen und konsequenten Vorgehen von SPD, Grüne und FDP überrascht worden ist. Das wiederum zwingt schneller als gedacht zu eigenen Entscheidungen. Fragen und Antworten zum desolaten Zustand der Union.

Wo stehen CDU/CSU?

Auf jeden Fall mit beiden Beinen in der Opposition. Immer mehr führende Unionspolitiker nehmen dieses Wort in den Mund. Denn die Hoffnung, dass nach dem Ja der FDP die nun beginnenden Ampel-Koalitionsgespräche noch scheitern könnten, gibt es nicht. Auch wenn CDU-Chef Armin Laschet am Wochenende bei der JU die Ampel-Parteien demonstrativ mit zu viel Kritik verschonte. Schon immer gewusst hat’s die CSU. Parteichef Markus Söder beerdigte Jamaika frühzeitig, CSU-Landesgruppenchef Chef Alexander Dobrindt sprach bereits zu Beginn der Ampel-Sondierungen Anfang Oktober von „neuen Realitäten“, auf die sich auch die Bundestagsfraktion einstellen müsse.

Was folgt daraus für die Union im Bundestag?

Die Vorbereitungen für die Opposition laufen auf Hochtouren – in einem „Boot Camp“ wurden Abgeordnete schon eingeschworen. Zugleich schrieb Fraktionschef Ralph Brinkhaus seinen Parlamentariern einen Brief, in dem er dazu aufforderte, „ohne Schaum vor dem Mund“ die Oppositionsrolle anzunehmen. Hinter den Kulissen tobt der Kampf um die letzten wichtigen Posten wie etwa dem des Bundestagsvizepräsidenten. Und: Nach dem Mandatsverzicht der Minister Annegret Kramp-Karrenbauer und Peter Altmaier zugunsten Jüngerer ist die Debatte entbrannt, ob andere Altvordere dem Beispiel folgen sollten. Der noch amtierende Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (79) etwa, der sein Amt verlieren wird. Äußern will sich dazu derzeit niemand. Laschet hatte freilich erklärt: „Ein solch verdienter Mann hat es nicht verdient, dass er von irgendjemand aus dem Amt gedrängt wird. Ich werde das nicht dulden.“ Man wird sehen.

Wie umgehen mit der Ampel?

Darüber ist man sich zum jetzigen Zeitpunkt speziell in der CDU uneins. Während Armin Laschet und Friedrich Merz lobende Worte für das Sondierungspapier fanden, verfährt Fraktionschef Ralph Brinkhaus nach dem Prinzip Attacke. Er will sich schon jetzt als Oppositionsführer profilieren. Seine Amtszeit endet nach nur sechs Monaten im kommenden April. Brinkhaus will den Posten aber unbedingt behalten, eventuell auch nach dem Parteivorsitz greifen. Die unterschiedlichen Reaktionen auf das Sondierungspapier spiegeln jedenfalls das große Machtvakuum wider, das nach der verlorenen Bundestagswahl in der Union entstanden ist. Keiner ist mehr in der Lage, die Richtung vorzugeben. Früher undenkbar. Auch wenn zuletzt viel von einer Teamlösung für den Parteivorsitz die Rede gewesen ist, unter anderem mit einer möglichen Doppelspitze, so verstärkt der Kampf um die Führungsposition nur die momentane Orientierungslosigkeit der CDU.

Was sind die zentralen Defizite?

Die sollen noch genau analysiert werden. Derzeit heißt es, erst die Personalfragen klären zu wollen, um dann die Fehleranalyse umfassend zu betreiben. Gleichwohl haben bereits zahlreiche Unionisten schonungslos erklärt, woran es der CDU mangelt: zuallererst an Zusammenhalt. Von einer Kultur „der Illoyalität und des Misstrauens“ ist die Rede. Festgemacht wird das am Umgang mit dem Kanzlerkandidaten, vor allem aber am Durchstechen vertraulicher Kommunikation aus vielen Gremiensitzungen der Partei. Hinzu kommt fehlende inhaltliche Kompetenz bei zentralen Themen wie Klimaschutz, steigenden Mieten, der Rente oder der Migration. In keinem der Bereiche gelang es im Wahlkampf, zu überzeugen.

Wie will man aus der Krise kommen?

Über allem schwebt im Moment der Plan, die Mitglieder mehr einzubinden. Nicht nur bei der Wahl des Vorsitzenden, sondern auch in inhaltliche Prozesse. Wie genau, soll am 30. Oktober auf einer Kreisvorsitzenden-Konferenz beraten und dann zwei Tage später vom Bundesvorstand entschieden werden. Darüber hinaus ist geplant, die derzeit auf Eis liegende Erarbeitung eines neuen Grundsatzprogramms wiederaufzunehmen. Auf viel Zustimmung trifft mittlerweile auch der Vorschlag der Jungen Union, einen „Unionsrat“ aus Vertretern von CDU und CSU einzurichten, um Verwerfung zwischen den Schwestern gar nicht erst entstehen zu lassen. Stichwort Kanzlerkandidatur, Stichwort Sticheleien im Wahlkampf.

Auch FDP stimmt für Ampel-Verhandlungen

Olaf Scholz will die Dynamik des Augenblicks nutzen. Nach den Sondierungen jetzt in die Vollen – rein in die Koalitionsverhandlungen. Nach dem Votum der FDP für den Start in konkrete Gespräche soll es noch in dieser Woche losgehen. Hinweise aus der SPD, wonach am Freitag die Koalitionsverhandlungen formal starten, wollte FDP-Chef Christian Lindner nicht bestätigen. Es sei auf jeden Fall „in dieser Woche“. Bis spätestens Weihnachten soll die neue Regierung stehen – mit Scholz als Bundeskanzler.
Nach zweieinhalbstündigen Beratungen von Präsidium und Vorstand stellte Lindner am Montagnachmittag die Bedenken in den Vordergrund. Die möglichen künftigen Partner hätten sich vor der Bundestagswahl „nicht gesucht“. Es sei deshalb auch keine Überraschung, dass es nach wie vor große Bewertungsunterschiede gebe. Deshalb erfordere dies eine Bereitschaft zu sehr viel Toleranz, wenn Deutschland durch ein Ampel-Bündnis „freier, nachhaltiger, digitaler, moderner und wettbewerbsfähiger“ werden solle. Im Ergebnis hätten sich dann die Mitglieder der FDP-Führungsgremien einstimmig für Koalitionsverhandlungen ausgesprochen.
Nachdrücklich betonte Lindner, dass das Ergebnis der Bundestagswahl „keinen Linksruck“ in Deutschland bedeute. Deshalb müsse eine Ampel-Koalition auch eine „Regierung der Mitte“ sein. Die FDP sei jedenfalls Garant dafür und werde „auch die Wähler der Unionsparteien mit im Blick behalten“.
Schon am Freitag hatte der SPD-Parteivorstand seine Ampel frei geschaltet und für den Einstieg in Koalitionsverhandlungen mit Grünen und FDP gestimmt. Am Sonntag folgten dann die Grünen – und am Montag nun die FDP.