SicherheitLuxemburgs Politiker sind oft Opfer von (Todes-)Drohungen und Hassrede

Sicherheit / Luxemburgs Politiker sind oft Opfer von (Todes-)Drohungen und Hassrede
Vor allem in den sogenannten „sozialen“ Medien sehen sich Luxemburgs Politiker mit Hass und Respektlosigkeiten konfrontiert Foto: dpa/Lukas Schulze

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Der Ton im Großherzogtum wird rauer: Zu dieser Schlussfolgerung kommen Luxemburgs Politiker. Premierminister Xavier Bettel erhielt erst kürzlich Todesdrohungen. Doch er ist längst nicht der einzige Politiker, der regelmäßigen Hassreden und Drohungen ausgesetzt ist.

Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel (DP) soll nach seiner Rede zur Lage der Nation am Dienstag Todesdrohungen erhalten haben. Er ist allerdings nicht der erste Luxemburger Politiker, gegen den solche Drohungen ausgesprochen wurden. Eines der hierzulande wohl prominentesten Beispiele von Todesdrohungen bzw. Hassrede geht auf das Jahr 2017 zurück. Damals hatte Außenminister Jean Asselborn (LSAP) Kritik an Polen geübt. Nachdem Fernand Kartheiser (ADR) Asselborns Aussagen auf seiner Facebook-Seite als „beleidigende Attacke“ kritisiert hatte, dauerte es nicht lange, bis sich unter dem Beitrag „Likes“ und Kommentare hinzugesellten. Ein Nutzer kommentierte allerdings Folgendes in Bezug auf Asselborn: „Denn muss och mol mat engem décapotablen Auto durch Dallas gefouert gin.“

Zur Erinnerung

Der US-Präsident John F. Kennedy wurde am 22. November 1963 auf einer Parade in seinem offenen Fahrzeug durch einen Hals- und Kopfschuss getötet.

Dieser Post gefiel dem jungen ADR-Politiker aus Petingen Joe Thein sogar so sehr, dass er ihn mit einem „Daumen hoch“-Emoji bewertete. Die Folge: ein heftiger Shitstorm gegen Thein, Kartheiser und die ADR – und Theins Rauswurf aus der Partei.

Angespannte Stimmung

Die Fälle Bettel und Thein-Asselborn schafften es in die nationalen Schlagzeilen, doch sind sie längst nicht die einzigen, die zeigen, welchen verbalen Attacken Luxemburgs Politiker ausgesetzt sind. Umweltministerin Carole Dieschbourg („déi gréng“) verrät dem Tageblatt: „Ja, mir wurden auch schon Drohungen gemacht.“ Ihre Parteikollegin Josée Lorsché hingegen ist bisher noch davor verschont geblieben. „Hatespeech“ im Netz habe allerdings auch sie schon erfahren müssen: Ihr seien „Frechheeten“ an den Kopf geworfen und Lügen unterstellt worden. Angriffe auf die Grünen-Partei gebe es öfter. „Nervlich muss man ein dickes Kostüm haben“, sagt die Abgeordnete. „Ich will es von mir weghalten, aber es gelingt mir nicht immer“, sagt die grüne Fraktionschefin. Der Umgang mit Hassrede gehöre zu ihrem Job als Politiker. Sie habe aber feststellen müssen, dass die Stimmung in der Bevölkerung während der Pandemie gekippt sei.

Auch die CSV-Abgeordnete und Co-Fraktionschefin Martine Hansen spricht von einem allgemeinen Stimmungswechsel. Eine Morddrohung habe sie bisher zwar nicht erhalten, mit „Frechheiten“ müsse sie sich allerdings schon rumschlagen. „Ich verdränge diese Dinge“, sagt Hansen.

Kein Einzelfall

Luxemburgs Familienministerin Corinne Cahen (DP) kommentiert die aktuelle Lage im Tageblatt-Gespräch folgendermaßen: „Im Allgemeinen finde ich, dass der Ton schon sehr rau ist.“ Heutzutage würden sich die Menschen trauen, Dinge zu sagen oder schreiben, die sie vor Jahren nicht so geäußert hätten. Auch sie habe schon Drohungen erhalten. Auf die Frage, wie oft sie bereits mit solchen verbalen Angriffen konfrontiert wurde, meint sie, dass direkt an sie gerichtete Morddrohungen eher eine Ausnahme seien – aber dennoch vorkommen würden. In den „sozialen“ Medien allerdings – ein Prädikat, das diese kaum noch verdienen – gebe es ihr gegenüber regelmäßig herablassende, drohende, ja sogar antisemitische Äußerungen: „Es hängt davon ab, wie tief ich in diesen Sumpf eintauchen möchte. Aber wenn man sucht, dann findet man immer Sachen.“ Die schlimmsten Kommentare finde die Politikerin auf ihrer offiziellen Facebook-Seite.

Wie geht man persönlich mit so viel Hass und Drohungen um? Cahen sagt: „Das passiert so regelmäßig, dass ich mich quasi daran gewöhnt habe.“ Das solle das Ganze allerdings nicht verharmlosen oder legitimieren. Die Ministerin hält regelmäßig die eingegangenen Drohungen fest und leitet diese dann weiter an die Polizei und an die Internetplattform „Bee Secure“, bei der illegale Inhalte im Netz gemeldet werden können. Todesangst habe sie bisher noch keine gehabt. Angriffe auf ihre Familie oder ihre jüdische Abstammung würden ihr allerdings schon nahe gehen.

Null Toleranz gegenüber Hatespeech

Auch der LSAP-Politiker Mars Di Bartolomeo berichtet von einem Fall, bei dem er und seine Familie bedroht wurden – und zwar in Form von wiederholten „aggressiven“ Anrufen. Polizeiuntersuchungen hätten ergeben, dass es sich bei den Anrufern um eine Gruppe Jugendlicher handelte, die sich einen „Spaß“ erlauben wollten. Di Bartolomeo habe die Jugendlichen persönlich zu sich gerufen und sie mit ihrem Verhalten konfrontiert. „Direkte Morddrohungen habe ich noch keine erhalten, aber Drohungen nach dem Motto: Ich weiß, wo du wohnst.“ Drohungen in Form von anonymen Briefen habe er auch schon bekommen. Di Bartolomeos Devise ist in solchen Fällen glasklar: „Mein Ansatz ist immer gewesen, null Toleranz und (an die Polizei) weitergeben.“ Schon bei Andeutungen habe er reagiert und präventiv gehandelt.

Den jüngsten Vorfall dieser Art habe er vor der Chamber erlebt, sagt der Politiker. Dort habe sich eine Person mit einem Schild hingestellt, auf dem ein Vergleich zwischen Di Bartolomeo und Hitler zu sehen war. Er sei gleich auf die Person zugegangen und sie darauf angesprochen. „Nicht die Augen verschließen, man darf sich solche Sachen nicht gefallen lassen“, betont der Politiker.

„Ich bin in den letzten 20 bis 30 Jahren auch damit konfrontiert gewesen“, sagt der CSV-Abgeordnete Claude Wiseler. Er habe im Laufe seiner Karriere aber eher versucht, solche Drohungen zu ignorieren. Es komme vor, dass Menschen aus dem Affekt heraus versuchen würden, Politiker einzuschüchtern, um sie beispielsweise von der Umsetzung von größeren politischen Projekten abzuhalten. Seien die Drohungen allerdings persönlicher geworden, habe er die Polizei kontaktiert. „Die Zeit, als ich noch in der Regierung war, da war es einfacher“, sagt Wiseler. Als Regierungsmitglied hatte er einen ausgebildeten Fahrer, der für seine Sicherheit sorgte und den er über ernst zu nehmende Todesdrohungen in Kenntnis setzen konnte.

Der Schutz der Politiker

Wie Luxemburgs Regierungsmitglieder beschützt werden, will allerdings niemand – auch nur ansatzweise – preisgeben. Der Staatliche Nachrichtendienst SRE verweist das Tageblatt lediglich weiter an den „Service de protection du Gouvernement“. Dieser wiederum verweist auf das Pressebüro des Premierministers. Auch dort will man keine Informationen preisgeben, da ansonsten die Sicherheit der Betroffenen gefährdet werden könnte.

Die frühere Staatssekretärin für Innere Sicherheit Francine Closener (2013 bis 2018) bestätigt dem Tageblatt allerdings, dass es zu ihrer Amtszeit eine Aufstockung des „Service de protection du Gouvernement“ gegeben habe. Davor habe man es nicht für nötig gehalten, den Regierungsmitgliedern einen persönlichen Schutz zur Seite zu stellen. Das habe sich allerdings geändert: Es seien verschiedene Sicherheitsstufen eingeführt worden, um die Sicherheit von Regierungsmitgliedern sowie jene der verschiedenen Ministerien zu gewährleisten. Die Gefahrenlage sei nämlich gestiegen. Sie erinnert dabei an die Anschläge in Straßburg 2018 und am Berliner Weihnachtsmarkt 2016.

Eine Pressesprecherin des Staatsministeriums teilt dem Tageblatt mit, dass im Fall Bettel eine Klage bei der Staatsanwaltschaft eingereicht worden sei. Diese scheint allerdings noch nicht bei der Justiz angekommen zu sein, wie ein Sprecher der Justiz uns gegenüber am Freitagnachmittag bestätigte. Gemäß dem Strafgesetzbuch können Todesdrohungen mit einer Freiheitsstrafe zwischen sechs Monaten und fünf Jahren sowie einer Geldstrafe in Höhe von 500 bis 5.000 Euro geahndet werden. Davor stünden Ermittlungen, in denen die verschiedenen Begebenheiten des Falles untersucht würden.

Es ist nicht das erste Mal, dass Bettel Drohungen dieser Art erhält – bereits im Jahr 2015 wurde dem Premierminister laut Medienberichten mit dem Tode gedroht. Der Täter wurde damals zu 15 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.

Leila
17. Oktober 2021 - 14.46

Der Fall Ofarim ist noch nicht abgeschlossen, erst mal das Ende abwarten - es steht Aussage gegen Aussage! In den Medien heißt es immer noch "soll" und "angeblich".

alouise
17. Oktober 2021 - 12.49

"Das digitale Netz ist zur Waffe geworden und man sollte schnell die Freiheiten dieses Medium beschränken um weiteren Schaden,Spaltung der Gesellschaft zu vermeiden." Seit über 100 Jahren benutzen Kriminelle die Post und das Telefon für Erpresserbriefe, Lösegeldforderungen und viele andere kriminelle Machenschaften. Trotzdem können wir noch immer in einer Telefonzelle Leute bedrohen und anonyme Briefe verschicken.

Wieder Mann
17. Oktober 2021 - 9.19

@Brian: Sie zitieren Youtuber, Schauspieler,Politiker……,aber vergessen durch das mediale Auftreten in den digitalen Netzer, diese durch ihr Anfeuern von Thematiken, unbewusst oder bewusst in die Rollen von Brandstiftern treten und damit die Wut, das Auflehnen vereinzelter provozieren.Es mag als Unterstellung klingen, aber solche medialen Ereignisse, Provokation sind oft Zweck die eigenen Interessen durchzusetzen. Verfolgen Sie den Fall Ofarim, ( ich habe bewusst diesen Fall gewählt, er augenblicklich in den Nedien erwähnt wird) wo Antisemitismus zur Diskussion steht , nach neuesten Auftauchen von Videomaterial sich eine Wende anzubahnen scheint( Siege NTV, heute Sonntag) , die Situation doch anders abgelaufen sein könnte. Das digitale Netz ist zur Waffe geworden und man sollte schnell die Freiheiten dieses Medium beschränken um weiteren Schaden,Spaltung der Gesellschaft zu vermeiden.Die Nazis hatten schnell erkannt welch mediales Propagandawerkzeug der Rundfunk war und heute hat das digitale Netz dieses Werkzeug ersetzt, unkontrolliert in den Händen der Menschen birgt es gefährliches Potential( man betrachte auch den Fall Breivik ).

grenzgegner
16. Oktober 2021 - 22.54

Wer bei Wahlen regelmässig baden geht, aber behauptet, für das "Volk" zu sprechen, scheut oft vor verbaler und physischer Gewalt nicht zurück. Natürlich nur, um den "Willen des Volkes" - das man ja angeblich vertritt - durchzusetzen. Wobei man selbstverständlich wie kein Zweiter weiß, wie dieser "Willen" zu verstehen ist. Und Wahlen sind ja sowieso mindestens indirekt immer manipuliert, alleine schon wegen der "Lügenpresse". So die krude Wahrheit derer, die sofort zur Stelle sind, um für sich selbst das Recht auf uneingeschränkte Meinungsäusserung zu reklamieren, Bedrohungen und Beleidigungen offensichtlich eingeschlossen.

LPM
16. Oktober 2021 - 22.02

@ Brian: Natürlich wird es nie gelingen, "alle bedrohlichen Gestalten ausfindig und dingfest zu machen". Dass Morddrohungen aber zum "Berufsrisiko" für Politiker und Personen des öffentlichen Lebens werden könnten finde ich eine ziemlich steile These.

Sepp
16. Oktober 2021 - 21.11

Et ass ganz einfach ze erklären. D'Muskelen ginn emmer méi grouss, d'Gehierzellen ginn emmer méi kleng an d'Dommheet vun haut verbrüdert sech och.

Leo
16. Oktober 2021 - 20.55

Morddrohungen und Hassreden sind natürlich ein no go und nicht zu tolerieren. Dass der Ton aber rüder wird ist kein Wunder. Seit einigen Jahren hat man das Gefühl von der DP nicht ernst genommen zu werden. Journalisten, Gewerkschaftler, Vertreter der Zivilgesellschaft wie Elternvertreter, Studentenvertreter werden auf übelste weise ignoriert. Alibi Unterredungen werden veranstaltet. Und im Grunde machen sie was sie wollen. Sogar Abgeordnete werden nicht respektiert und alle Gesetze regelrecht durchgeboxt. Dann ist das kein Wunder, dass die Bevölkerung es satt hat! Einige sind dann so frustriert, dass sie Grenzen überschreiten.

Klitz
16. Oktober 2021 - 19.12

@Brian, ich finde Sie machen es sich mit Ihrer Argumentation ein bisschen zu einfach. Wir brauchen Politiker die bereit sind Verantwortung zu übernehmen und können es deshalb nicht einfach in Kauf nehmen dass solche Bedrohungen als Berufsrisiko abgetan werden. Oder würden Sie der Familie von David Amess der gestern in England ermordet wurde ernsthaft entgegnen dass er halt den falschen Beruf gewählt hat? Warum sollten die Leute in den von Ihnen aufgezählten Berufen ständig um Leib und Leben fürchten müssen? Das ist in einer Demokratie ein absolutes Nogo.

Brian
16. Oktober 2021 - 14.24

@Leila Ohne die Verantwortlichen in Schutz nehmen zu wollen, denn jemanden zu bedrohen ist ohne Zweifel moralisch verwerflich und strafbar, so muss man jedoch bedenken, dass für verschiedene Berufe für welche eine öffentliche Inszenierung quasi unumgänglich ist, wie etwa Politiker, Schauspieler, Youtuber usw., eine solche Gefahr durchaus zum Berufsrisiko gezählt werden muss. Als solches muss ich mich dann auch bei der Berufswahl mit diesem Thema auseinandersetzen und mir Gedanken darüber machen, wie ich im Falle des Falles damit umgehe. Wir werden sicherlich nicht alle bedrohlichen Gestalten ausfindig und dingfest machen können, insbesondere im Internet, ausser wenn wir die vollständige Überwachung einführen. Diesen Weg zu gehen ist sicherlich noch viel gefährlicher als der jetzige.

Leila
16. Oktober 2021 - 10.29

Das friedliche (unwichtige für allerlei "Frustrierte") Ländchen, das kaum schwere Kriminalität kannte, gibt es längst nicht mehr und deshalb sind Morddrohungen durchaus nicht zu verharmlosen. Viele kommen zwar meistens von Spinnern oder welchen, die sich auch mal als Machtmenschen fühlen wollen, doch der aggressive Brandgefährliche kann überall sein. Ich möchte jedenfalls nicht an der Stelle eines in der Öffentlichkeit Stehenden sein.

Wieder Mann
16. Oktober 2021 - 10.28

D‘Wourecht firwat mir esou wait komm sin, héieren d’Politik, d’Gesellschaft an Medien net gäeren, well sie sin frai vun Schold.

Grober J-P.
15. Oktober 2021 - 21.15

Bei Morddrohung, "Haft auf Bewährung", und dann hat er es gelernt? Fraglich, Haft oder Sozialdienst, sonst nichts.