StandpunktWas der Klimawandel der Wirtschaft abverlangt

Standpunkt / Was der Klimawandel der Wirtschaft abverlangt
 Foto: dpa/Noah Berger

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Die Rekordhitzewelle dieses Sommers im amerikanischen Nordwesten erinnert uns – wenn wir das noch nötig haben – daran, was der menschengemachte Klimawandel heute und in Zukunft für unsere Lebensbedingungen bedeutet. Die weltweiten Durchschnittstemperaturen sind bereits auf 1,2° Celsius über dem vorindustriellen Niveau gestiegen und könnten in den nächsten 80 Jahren um weitere 5°C steigen. Diese Erwärmung beschleunigt das Aussterben vieler Arten und macht große Teile der Welt für menschliches Leben unbewohnbar. Laut manchen Schätzungen könnte der Klimawandel bis 2050 eine Milliarde Menschen zum Auswandern zwingen.

Angesichts derart massiver langfristiger Gefahren müssen wir viele unserer traditionellen Annahmen hinterfragen, und die Ökonomie ist dabei keine Ausnahme. Wollen wir falsche politische Wege verhindern – wie jenen, der, obwohl Milliarden von Menschen weltweit immer noch in Armut leben, das Wirtschaftswachstum völlig vernachlässigt – müssen wir die klassische Ökonomie an die neue klimatische Wirklichkeit anpassen.

Natürlich hat diese wissenschaftliche Disziplin die Bedeutung von Umweltthemen schon lange erkannt. William D. Nordhaus, Wirtschaftsnobelpreisträger von 2018, hat 1991 die Kosten der Treibhausgasemissionen in die gängigen Wirtschaftswachstumsmodelle integriert und mit seiner Arbeit die Denkweise von Ökonomen und vielen Politikern über den Klimawandel geprägt.

Wechsel zu sauberen Energieträgern

Aber die bestehenden ökonomischen Ansätze bieten immer noch nicht den richtigen Rahmen zur Lösung der Probleme, vor denen wir in den nächsten Jahrzehnten stehen werden. Wie die meisten Frühwerke kann auch Nordhaus’ bahnbrechender Beitrag in vielerlei Hinsicht verbessert werden. Beispielsweise berücksichtigt er nicht die Endogenität der Technologie, und seine Annahmen über die zukünftigen Kosten des Klimawandels spiegeln die Ernsthaftigkeit des Problems nicht wider.

Beziehen wir endogene Technologien mit ein, sehen wir, dass es, anstatt einfach nur den Energieverbrauch zu senken, viel wichtiger ist, zu sauberen Energieträgern zu wechseln – und dass technologische Eingriffe viel zielgenauer eingesetzt werden müssen, als es bisher der Fall war. Auch durch eine realistischere Einschätzung der Kosten der globalen Erwärmung – darunter auch der Möglichkeit klimatischer Kipppunkte – können sich unsere Erkenntnisse darüber, wie wir das Problem am besten angehen, erheblich ändern.

Aber diese Verbesserungen allein werden nicht ausreichen. Die Ökonomie muss sich noch stärker verändern, und dies aus mindestens zwei Gründen. Der erste betrifft die Grundlage der meisten ökonomischen Analysen: die Nutzenfunktion, die den Zielkonflikt zwischen momentanem und zukünftigem Konsum widerspiegelt. Mit diesem Werkzeug können wir bestimmen, auf wie viel Konsum ein Entscheidungsträger heute zu verzichten bereit ist, um dadurch zu irgendeinem zukünftigen Zeitpunkt mehr Wert schaffen zu können. Dies hat sich in vielen analytischen Bereichen als nützlich erwiesen: bei individuellem Konsum, Investitionsentscheidungen, öffentlichen Ausgaben, Steuerpolitik usw.

Klimapolitische Untätigkeit

Die entscheidende Frage bei einer klimapolitischen Nutzenfunktion ist: Auf wie viel Konsum müssen wir heute verzichten, um den Schaden zu verhindern, den die globale Erwärmung zukünftig anrichtet? Die Antwort wird davon abhängen, wie wir an das Problem der Diskontierung herangehen. Bei individuellen oder unternehmerischen Entscheidungen, deren Folgen sich vielleicht innerhalb des nächsten Jahrzehnts zeigen, ist es sinnvoll, von der Voraussetzung auszugehen, dass ein Euro in zehn Jahren weniger wert ist als heute. Trifft man entsprechend diesem Prinzip aber Entscheidungen, deren Folgen erst in hundert Jahren spürbar werden, hat diese Art der Diskontierung einige unangenehme Folgen.

Nehmen wir an, wir verwenden einen Diskontierungsfaktor von 5%, was bei Analysen individueller und unternehmerischer Entscheidungsfindung üblich ist und impliziert, dass ein Euro in einem Jahr 95 heutige Cent wert sein wird. Aber dieser Faktor würde auch bedeuten, dass ein Euro in hundert Jahren nur noch einen halben heutigen Cent wert ist, und in zweihundert Jahren nur noch etwa 0,003 Cent. Gehen wir davon aus, sollten wir heute einen Euro nur dann opfern, wenn wir damit in hundert Jahren einen Nutzen von etwa 200 Euro erzielen können – eine Kosten-Nutzen-Analyse, die in der Gegenwart zu klimapolitischer Untätigkeit führt.

Den Ökonomen ist diese unangenehme Folge klimapolitischer Diskontierung mindestens seit dem Stern-Review von 2016 bekannt: In diesem Bericht wandten sich Nicholas Stern und seine Kollegen vom harten Diskontierungsfaktor ab und gelangten so zu aggressiveren politischen Empfehlungen als jene, die vom ökonomischen Konsens dieser Zeit unterstützt wurden. Aber da der Review seine gewählte Methode nicht philosophisch unterlegt hat, wurde er von anderen Ökonomen kritisiert, und auch von Nordhaus.

Sicherlich gibt es plausible wirtschaftliche (und philosophische) Gründe dafür, warum zukünftig wichtige öffentliche Güter anders bewertet werden sollten als Privatgüter oder andere Arten von Privatkonsum. Diese Unterscheidungen mit anderen Aspekten unserer ökonomischen Modelle in Einklang zu bringen – nicht zuletzt mit jenen zu Risiko und Unsicherheit – ist für den wirtschaftswissenschaftlichen Berufszweig eine dringende Aufgabe.

Suche nach systematischerem Weg

Immerhin brauchen wir einen guten Rahmen, um die Rolle des Geoengineering beim Kampf gegen den Klimawandel einschätzen zu können. Viele prominente Stimmen wie Bill Gates (in seinem neuen Buch) und der Erfinder/Risikokapitalgeber Nathan Myhrvold setzen sich zunehmend für einen solchen Ansatz ein. Aber Programme zur Beeinflussung der Sonneneinstrahlung (bei denen Sulfate oder Kalziumkarbonatstaub in die Atmosphäre gesprüht wird, um Sonnenstrahlen zu blockieren) scheinen selbst erhebliche Katastrophenrisiken zu beinhalten. Ist es sinnvoll, ein existenzielles Risiko mit einem anderen zu bekämpfen? Ich glaube nicht, aber wir müssen einen systematischeren Weg finden, um solche Fragen bewerten zu können.

Der zweite Bereich, der ein grundlegendes Umdenken erfordert, ist die Theorie der optimalen Wirtschaftspolitik. Hier geht der Standardansatz auf die bahnbrechende Arbeit des niederländischen Ökonomen Jan Tinbergen zurück, der ein mächtiges Prinzip aufgestellt hat: Laut ihm besteht der beste Weg, ein Marktversagen oder negative externe Effekte zu neutralisieren, in einem politischen Instrument, das speziell für diesen Zweck entworfen wurde (was impliziert, dass ein Eingriff, der sich nicht auf ein genau definiertes Problem konzentriert, nicht gerechtfertigt sein könnte).

Wendet man dieses Prinzip auf die negativen Effekte von Treibhausgasemissionen an, könnte dies bedeuten, dass wir einfach nur die richtige (Kohlenstoff-)Steuer finden und sie konsequent einführen müssen. Aber der Schwachpunkt dieser Lösung wird schnell klar: Erfordert der Kampf gegen einen katastrophalen Klimawandel einen schnellen Übergang hin zu saubereren Technologien, muss eine Kohlenstoffsteuer durch Subventionen oder andere Anreize ergänzt werden, um die Innovationen und ihre Anwendung in die richtige Richtung zu lenken.

Ganzheitliche Einschätzung

Tatsächlich müssen wir vielleicht auch zu einer ganzheitlicheren Einschätzung der Wirtschaftspolitik selbst kommen. Das Tinbergen-Prinzip ist bequem, da es uns ermöglicht, politische Entscheidungen zu unterteilen: Eingriffe zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen von Covid-19 beispielsweise müssen nicht gleichzeitig zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen. Aber uns die Schlachtfelder auszusuchen, ist ein Luxus, den wir uns nicht länger leisten können. Mobilisieren wir beispielsweise enorme Mengen öffentlicher Mittel, um die von der Pandemie stark getroffenen Fluggesellschaften – eine große Emissionsquelle – zu retten, müssen wir diese Gelegenheit nutzen, um sie in eine sauberere Richtung zu bewegen.

Die Klimakrise erfordert, dass wir radikalere Ideen in Betracht ziehen. Können wir uns auf massive Investitionen in grüne Energien einigen, können wir uns vielleicht auch darauf verständigen, mit diesen Ausgaben gute Arbeitsplätze zu schaffen. Dies könnte zwar das Tinbergen-Prinzip verletzen, aber auch dazu beitragen, eine Vertiefung der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Gräben zu verhindern, die sich in vielen westlichen Industriestaaten aufgetan haben. Und das wäre es auf jeden Fall wert.

* Daron Acemoglu, Professor für Ökonomie am MIT, ist (gemeinsam mit James A. Robinson) Verfasser von „Why Nations Fail: The Origins of Power, Prosperity and Poverty and The Narrow Corridor: States, Societies, and the Fate of Liberty“.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

Copyright: Project Syndicate, 2021. www.project-syndicate.org

Nomi
2. Oktober 2021 - 11.36

@ Observer : Ech ennerstetzen aer Meenung. An dofir soll och ob PMA, GPA asw verzicht ginn, well dei' Leit kennten Kanner adoptei'eren ! Mat Geld lei'st sech d'Klima net retten , nemmen mat enger Reduzei'erung Richtung max. 4 Milliarden Menschen ob der Aerd ! Manner Bevoelkerung, = manner Resourcen Ausbeutung an manner Knascht gett produzei'ert . . .

Realist
30. September 2021 - 10.29

Falls "laut mancher Schätzungen" bis 2050 tatsächlich bis zu einer Milliarde Menschen auf der Flucht sein sollten, so wird dies nicht einem wie auch immer gearteten Klimawandel geschuldet sein, sondern allein den haarsträubenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzungen, die eine bestimmte Politik glaubt, zu dessen Bekämpfung anwenden zu müssen.

Observer
30. September 2021 - 7.08

Ein guter Klimaschutz wäre eine Reduzierung der Weltbevölkerung, also erstmal auf Kinder verzichten und den Konsum und Wegwerfwahn begrenzen.Da unbegrenztes Wachstum nicht möglich ist sieht die Zukunft so oder so nicht gut aus!Mit Geld lässt sich das Klima nicht retten.