ForumGedanken zum Jahr der Eisenbahn oder wenn die Realität den Wunsch zunichtemacht

Forum / Gedanken zum Jahr der Eisenbahn oder wenn die Realität den Wunsch zunichtemacht
Hier wäre 1982 auch unsere abgeschleppte Lok vorbeigekommen. Ein paar Wochen vor der Aufgabe des Personenverkehrs zwischen Gouvy und Bastogne am 2. Juni 1984 ist der Triebwagen 4334 bei Buret, das auf Luxemburgisch Beirig heißt, unterwegs. Heute verläuft auf der Bahntrasse ein Fahrradweg. Foto: René Birgen

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Das Jahr 2021 soll nach dem Willen der Europäischen Union zum Jahr der Eisenbahn werden und es soll dem Schienenverkehr endlich auch in der Praxis der Platz erteilt werden, den die Politik ihm in ihren Sonntagsreden so gerne zuweist.

Das Schienennetz ist in den letzten Jahren mit der Forderung der Politiker nach kostendeckendem Betrieb und der Förderung des Straßenverkehrs immer grobmaschiger geworden, sodass man heute kaum mehr von einem „Netz“ sprechen kann. Es ist also kaum verwunderlich, dass heute z.B. in Deutschland mehr als die Hälfte der Menschen noch nicht Bahn gefahren sind, wenn die nächste Haltestelle sich 50 Kilometer vom Heimatort befindet. Wie grobmaschig das Eisenbahnnetz geworden ist, soll hier anhand von einem Beispiel gezeigt werden.

Im Jahr 1960

Im Bahnhof Ettelbrück erleidet die Lok 854 einen Motorschaden und muss nach Luxemburg in die Werkstatt geschleppt werden. Leider gibt es aber auf der direkten Strecke Ettelbrück-Luxemburg ein technisches Problem, welches eine Sperrung der beiden Streckengleise zur Folge hat. Aber keine Sorge, der Zugleitung stehen zwei Wege für den Abtransport unserer Lok offen:

– über die Attertlinie bis Kleinbettingen und dann weiter über die heutige Linie 50 nach Luxemburg; unserer kaputten Lok stünde eine Fahrt von rund 55 Kilometern bevor, ehe sie in den Werkstätten in Luxemburg repariert werden kann. Gegenüber der direkten Verbindung nach Luxemburg müsste sie einen Umweg von etwa 25 Kilometern in Kauf nehmen.

– über die Sauerstrecke via Echternach nach Wasserbillig und dann über die Linien 30/40 nach Luxemburg, was einer Gesamtstrecke von rund 75 Kilometern entspricht. Zieht man hier die 30 Kilometer des direkten Weges ab, bleibt ein Umweg von 45 Kilometern.

Egal welchen Weg man auch gewählt hat, unsere kaputte Lok braucht das CFL-Netz nicht zu verlassen, um in die Werkstatt geschleppt zu werden.

Im Jahr 1966

Sechs Jahre später hat unsere Lok mit der Nummer 854 wieder in Ettelbrück eine Panne und wieder muss sie nach Luxemburg in die Werkstatt geschleppt werden. Und erneut gibt es eine Streckensperrung auf beiden Gleisen in Walferdingen, sodass unsere Fahrt wieder umgeleitet werden muss.

Nach der Aufgabe der Sauerstrecke in den Jahren 1963/1964 bleibt aber immer noch die Attertlinie als Ausweichstrecke zur Direktverbindung nach Luxemburg übrig; der Umweg gegenüber dem direkten Weg beträgt ja nur 25 Kilometer, ist also unbedeutend und unsere Lok kann problemlos über das luxemburgische Schienennetz zur Reparatur in die Werkstatt überführt werden.

Im Jahr 1982

16 Jahre später gibt der Motor unserer Lok 854, nachdem sie das Arbed-Werk in Bissen bedient hat, wieder in Ettelbrück den Geist auf und wieder muss sie in die Werkstatt geschleppt werden. Und, wie es der Zufall so will, ist auch diesmal die direkte Bahnverbindung zwischen Ettelbrück und Luxemburg wegen Bauarbeiten unterbrochen.

Tja, was tun, da unsere Lok dringend gebraucht wird? Abschleppen, ja klar, aber wie? Die zweite Rangierlok, die es noch in Ettelbrück zu dieser Zeit gibt, kann das zwar problemlos übernehmen; aber wie fahren? Die Sauerlinie ist inzwischen bis auf das Teilstück nach Diekirch abgebaut und auch die Attertlinie ist bis auf die beiden Abschnitte Kleinbettingen-Steinfort und Ettelbrück-Bissen auch bereits Geschichte.

Aber es gibt ja noch eine „regionale“ Lösung. Nach Absprache mit der SNCB wird unsere Lok nach Gouvy und von dort aus nach einem Kopfwechsel über Bastogne und Libramont und einem erneuten Kopfwechsel dort nach Luxemburg geschleppt, wo sie dann die nötige Reparatur bekommt. Anstelle der direkten 30 Kilometer hat unser Lokzug jetzt schon rund 180 Kilometer zwischen Ettelbrück und Luxemburg zurücklegen müssen, d.h. einen Umweg von etwa 150 Kilometern in Kauf nehmen müssen, um die Werkstatt in Luxemburg zu erreichen.

Im Jahr 2021

Auch im 21. Jahrhundert ist eine Lokomotive nicht vor Pannen gefeit und während der Streckensperre im Sommer fällt eine Lok der Reihe 4000 aus und muss ausgewechselt werden. (Ich habe bewusst keine Rangierlok genommen, denn was hätte die in Ettelbrück gesucht, außer vielleicht einen der noch wenigen verbliebenen Güterzüge nach Bissen zu befördern.) Wie bekommen wir nun die Lok ins Depot in Luxemburg?

Wir erinnern uns. Die internen Umleitungswege gehören der Geschichte an und sind nur mehr als Fahrradwege in Erinnerung. Auch die Bahnstrecke 163 zwischen Gouvy und Libramont, offiziell lediglich ohne Bahnverkehr, in der Praxis aber ebenfalls eine Fahrradpiste, besteht seit den 90 Jahren nicht mehr, nachdem der Güterverkehr zwischen Gouvy und Bastogne Ende der achtziger Jahre endete und auch der Personenverkehr zwischen Bastogne und Libramont „provisorisch“ 1993 den TEC-Bussen übertragen wurde.

Aber die SNCB hilft auch dieses Mal. Unsere kaputte Lok wird wieder in Richtung Norden geschleppt, diesmal bis Rivage und ab dort, nach Kopfwechsel, über Rochefort-Jemelle, Libramont und Arlon nach Luxemburg in die Werkstätten befördert. Die gesamte Strecke, welche sie hierzu zurücklegt, beträgt sage und schreibe rund 260 Kilometer. Unsere defekte Lok hat also gegenüber dem direkten Weg 230 Kilometer mehr auf ihrem Umweg durch Belgien zurücklegen müssen, um die nötige Reparatur zu erhalten; im Vergleich zur damaligen Umleitung über die ehemalige Attertlinie bleibt immerhin noch ein Umweg von rund 200 Kilometern, also grob gesagt eine achtfache Steigerung der zurückzulegenden Strecke im Falle eines Zwischenfalles auf dem südlichen Teil der Nordstrecke zwischen Ettelbrück und Luxemburg.

Schienennetz 21. Jahrhundert?

Ich bin mir durchaus bewusst, dass mein Beispiel von sehr weit hergeholt ist. Aber dennoch kann niemand abstreiten, dass das Schienennetz an einzelnen Stellen doch recht grobmaschig geworden ist. An dieser Entwicklung sind viele Politiker nicht unschuldig, da sie entweder die liberale Auffassung vertraten, dass sich alle Bahnstrecken selber tragen müssen (bester Verfechter dieser Idee war in Großbritannien Lord Beeching, unter dem in den sechziger Jahren ohne Rücksicht fast ein Drittel des britischen Streckennetzes aus rein wirtschaftlichen Überlegungen stillgelegt wurde) oder sie den Wünschen der Autolobby nachkamen und Bahntrassen zur Begradigung und zum Ausbau des Straßennetzes opferten.

Auch heute noch werden trotz Beteuerungen über die Wichtigkeit der Bahn in puncto Klimaschutz Bahnstrecken stillgelegt und zweckentfremdet, d.h. in Fahrradwege umgewandelt. Gerechtfertigt wird das mit der „sanften Mobilität“; so wurde z.B. mit der Umwandlung der Vennbahn zwischen Troisvierges und Raren in die längste Radstrecke Europas unter dem Beifall und mit finanzieller Unterstützung derselben Europäischen Union, welche jetzt das Jahr der Eisenbahn ausruft, eine ganze strukturschwache Region kurzerhand von der Schiene abgehängt und auch unsere Nordstrecke mit beeinträchtigt, indem dort die freie Trasse des zweiten Gleises als Radweg ausgebaut werden soll.

Mit der Aufgabe des Abschnittes zwischen Kleinbettingen und Steinfort wurde des Weiteren auch hier die Chance verpasst, eine gute Park&Rail-Anlage direkt an der Grenze zu Belgien anzulegen. Wieder hat die Politik trotz ihrer stetigen Aussagen für die Bahn wieder ein Projekt gegen sie durchgesetzt und den Fahrradverkehr dem Schienenverkehr vorgezogen.

Das Jahr der Schiene wird also größtenteils genauso enden wie so viele besondere ausgerufene Jahre, mit vielen politischen Versprechen und wenigen konkreten Resultaten. Kein Wunder also, dass immer mehr Mitbürger weniger Interesse an der Politik zeigen und es mit dem saarländischen Reporter Siggi Lambert halten, der seinen satirischen Wochenrückblick „Driwwer geschwätzt“ immer mit dem Satz beendet: „Komm, geh mär bloss fort!“

* Der Autor ist Sekretär der AÖT und ehemaliges Mitglied der Exekutive des Landesverbandes

jean-pierre goelff
27. August 2021 - 19.14

...vun Bieckerich bis an d'Staadt,op d'Gare,fir vun do mam Zuch op Treïer ze fuëren,daat waar direkt,ouni Klimbim!An dun koum den gringen Fränzi,an ewell muss ech 2-mol emsteigen!Flott fir eeler Leit(ech hun der 78 op der Lee stoën!)Duërfir sin eis Bussen nei ugestrach,daat ass immens wichtig!