DopingSystemversagen: Das Anti-Doping-System schafft es nicht, saubere Athleten zu schützen

Doping / Systemversagen: Das Anti-Doping-System schafft es nicht, saubere Athleten zu schützen
Karsten Warholm hat eine Schallmauer über die 400 m Hürden durchbrochen. Zweifel an seiner Leistung werden bleiben, sogar wenn er nie positiv getestet wird. Es ist der Beweis, dass das Anti-Doping-System nicht funktioniert. Foto: dpa/Wang Lili

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Drei Dopingfälle gab es während der Olympischen Spiele in Tokio. In den kommenden Jahren werden wohl noch weitere Betrüger überführt werden. Dadurch bleiben Zweifel an einigen Leistungen, die zum Teil nie beseitigt werden. Das zeigt, dass das Anti-Doping-System seine wichtigste Aufgabe nicht erfüllt, nämlich saubere Athleten zu schützen.

Fabelweltrkorde, Sportler, die über ihre Grenzen hinaus gehen, und immer die gleichen Zweifel. Kann das alles mit rechten Dingen zugehen? Bei den Olympischen Spielen in Tokio spukte vor allem in der Leichtathletik das Doping-Gespenst umher. Ob bei Karsten Warholm, der als erster Mensch die 400 m Hürden unter 46 Sekunden lief, bei Sydney McLaughlin, die über die gleiche Distanz einen neuen Weltrekord aufstellte, bei Sprinterin Elain Thompson-Herah oder ihrem männlichen Kollegen Lamont Jacobs, all diese Leistungen wurden sehr kritisch beäugt. Vielen reichen die schnelle Bahn, die Carbon-Schuhe mit Hightech-Spikes nicht, um die neuen Bestleistungen zu erklären. Nur wenige Tage nach Jacobs’ Goldmedaille über die 100 m wurde bekannt, dass er bis März mit einem zwielichtigen Ernährungsberater zusammenarbeitete, gegen den in Italien wegen des illegalen Handels mit Steroiden ermittelt wird. McLaughlin steht wegen der Zusammenarbeit mit Trainer Bob Kersee, dem ehemaligen Coach der verstorbenen Florence Griffith Joyner, in der Kritik.

Das Misstrauen erklärt sich zum Teil durch ein Doping-vorbelastetes Umfeld der Athleten, die verlogene Vergangenheit des Sports und die ausbleibenden Kontrollen während der Pandemie. Das gleiche Misstrauen wie einigen Athleten bei Olympia schlug vor wenigen Wochen dem Tour-de-France-Sieger Tadej Pogacar entgegen. Ob die Zweifel berechtigt sind oder nicht, lässt sich in vielen Fällen nie wirklich klären. Saubere Sportler müssen sich nach guten Leistungen ebenso den Dopinganschuldigungen stellen wie Betrüger.

Indem man sich auf die Sportler einschieße, verkenne man das wahre Problem, sagt der renommierte Sport-Arzt und langjährige Chronist der Zeitung Libération, Jean-Pierre de Mondenard. „Das Anti-Doping-System ist nicht in der Lage, saubere Athleten zu schützen“, so der Franzose im Gespräch mit dem Tageblatt. Denn bei allen Zweifeln an den Leistungen der oben genannten Sportler, positiv auf Doping wurde keiner von ihnen getestet. „Sie bestehen alle Tests und dennoch sehen sie sich mit diesen Anschuldigungen konfrontiert. Das ist doch der Beweis, dass das System nicht funktioniert“, so De Mondenard.

Spätestens seit dem Dopingfall um Lance Armstrong kann sich kein Sportler mehr mit dem Hinweis auf negative Tests gegen Dopinganschuldigungen verteidigen. Der siebenfache Tour-Sieger hatte sich immer mit den tausenden negativen Tests gegen Dopinganschuldigen verteidigt. Wie sich nach seiner Karriere herausstellte, war es eine große Lüge und es stellte sich die Frage, was die Dopingtests wert sind. Aber auch viele andere Sportler wurden nie positiv getestet, dann aber durch Ermittlungen des Betrugs überführt, man denke an den Balco-Skandal um die Sprinter Marion Jones und Tim Montgomery oder der Dopingskandal um den spanischen Arzt Eufemiano Fuentes.

Für De Mondenard ist das Problem vor allem die fehlende Unabhängigkeit der Anti-Doping-Behörden. So wird die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) zur Hälfte von den Mitgliedstaaten und zur Hälfte vom Internationalen Olympischen Komitee finanziert. „Das ist sehr problematisch, da der Sport kein Interesse daran hat, Dopingfälle aufzudecken. Das ist geschäftsschädigend.“ De Mondenard bezeichnet den Kampf gegen Doping als Show. „Es geht letztlich nur darum, den Eindruck zu vermitteln, dass man gegen Betrüger vorgeht.“

In Tokio war erstmals die Internationale Test-Agentur (ITA) zuständig für die Dopingkontrollen. Die ITA wurde gegründet, um eine unabhängige Test-Struktur zu schaffen. Allerdings auch wieder auf Initiative der WADA und des IOC. „Dort sitzen die gleichen Leute, die zuvor bei der WADA saßen, wie sollen die für Unabhängigkeit stehen?“ Der Generaldirektor der ITA, Benjamin Cohen, war zuvor Direktor der europäischen Niederlassung der WADA. „Die Strukturen ändern sich, aber es sind immer die gleichen Leute, die dort aktiv sind.“ Außerdem ist die ITA darauf angewiesen, dass Organisatoren von Sportevents und internationale Verbände ihr Aufträge gibt.

Die beste Waffe der Anti-Doping-Behörden sind die nachträglichen Analysen. Es ist durchaus möglich, dass Medaillen aus Tokio in ein paar Jahren neu vergeben werden müssen, wenn eingefrorene Proben mit neuen Nachweismethoden analysiert werden. Ob damit aber alle Betrüger überführt werden können, ist alles andere als sicher. So besteht die Möglichkeit, dass bei sauber errungenen Leistungen immer Zweifel bleiben werden.

Für De Mondenard steht fest, dass der Kampf gegen Doping mit dem nötigen Willen wesentlich weiter sein könnte, auch was die Zuverlässigkeit der Tests betrifft. Die Leidtragenden in der aktuellen Situation sind einmal mehr die sauberen Athleten. Die Anti-Doping-Bewegung ermöglicht es ihnen nicht, sich klar von Betrügern abzugrenzen. Eine unzumutbare Situation.