Tokyo 2020„Wie ein Irrer“: Warholm stürmt zu Fabelweltrekord bei Olympia

Tokyo 2020 / „Wie ein Irrer“: Warholm stürmt zu Fabelweltrekord bei Olympia
Karsten Warholm ließ die Experten sprachlos zurück  Foto: AFP/Ben Stansall

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Karsten Warholm durchbricht über die 400 Meter Hürden eine Schallmauer. Silbermedaillengewinner Rai Benjamin hält das Spektakel in Tokio sogar für denkwürdiger als Usain Bolts 100-Meter-Lauf für die Ewigkeit. Wie konnte Warholm nur so schnell sein?

Der Norweger Karsten Warholm ist in Tokio in eine neue Leichtathletik-Dimension vorgestoßen und hat Erinnerungen an Usain Bolts Wundertaten geweckt. Der zweifache Weltmeister stürmte in einer Fabelweltrekordzeit zum Olympiasieg über die 400 Meter Hürden. „Das war wahrscheinlich das beste Rennen in der olympischen Geschichte. Ich glaube nicht einmal, dass Usain Bolts 9,5 das getoppt hat“, meinte Silbermedaillengewinner Rai Benjamin aus den USA nach einem unglaublichen Finale.

Warholm blieb als erster Athlet in 45,94 Sekunden unter der 46er Marke und verbesserte seinen eigenen Weltrekord deutlich. 2009 war Jamaikas Sprint-Legende Bolt bei der WM in Berlin über die 100 Meter in irren 9,58 Sekunden in die Sport-Geschichtsbücher gerast.

„Ich habe keine einzige Hürde berührt. Auf den letzten Metern konnte ich sogar noch einen Gang zulegen, also wow!“, meinte Warholm, der an der letzten Hürde Benjamin (46,17) abhängte. „Ich habe davon wie ein Irrer geträumt.“

Wieso ist er nur so schnell?

Warholm hatte beim Diamond-League-Meeting in Oslo am 1. Juli schon den Uralt-Weltrekord gebrochen. Bei seinem Heimspiel im Bislett-Stadion hatte er in 46,70 Sekunden gewonnen. Der Welt- und Europameister war damit acht Hundertstelsekunden unter der fast 29 Jahre alten Bestzeit des US-Amerikaners Kevin Young bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona geblieben.

Wieso ist er nun so schnell? „Manchmal sagen mir meine Trainer im Training, dass das mit einem perfekten Rennen möglich sein könnte“, meinte Warholm über das Durchbrechen der 46-Sekunden-Schallmauer. „Aber es war schwer, sich das vorzustellen, weil es eine riesige Hürde ist und man nicht einmal davon zu träumen wagt.“

Die Bahn im Olympiastadion von Tokio gilt als besonders schnell. Hilfreich dürfte auch das Schuhwerk gewesen sein: Warholm wird von Puma ausgestattet. Und die deutsche Sportartikelfirma hat zusammen mit Renningenieuren des Formel-1-Teams Mercedes Hightech-Spikes entwickelt, die neben Warholm unter anderen auch der kanadische Sprinter Andre De Grasse trägt. Das Obermaterial der Spikes ist mit Kohlenstofffasern durchzogen, die Sohle ist wiederum eine Platte aus Kohlenstoff mit Dornen aus Titanium. Die Spikes wiegen gerade einmal 135 Gramm. Für Warholm geht es dabei um die perfekte Rückfederung.

„Dieser Junge ist unglaublich. Darüber kann man überhaupt nicht böse sein“, meinte Benjamin über Warholms glanzvollen Gold-Coup. Selbst Bronze-Mann Alison dos Santos aus Brasilien lief in 46,72 Sekunden eine herausragende Zeit in diesem Hürden-Spektakel. Warholm dachte im Moment des Triumphs aber schon an den nächsten Schritt. „Jetzt muss ich mir neue Ziele setzen, weil ich noch nicht fertig bin“, sagte der frühere Zehnkämpfer.

Bei seinem Blick auf die Zeit hatte Warholm einen Brüller losgelassen. Die Jubelszene erinnerte an seinen Sieg bei der WM 2017 in London: Das Bild von seinen aufgerissenen Augen, dem geöffneten Mund und den Händen vor dem Gesicht waren der Renner in den sozialen Netzwerken – weil es so sehr an Edvard Munchs Kunstwerk „Der Schrei“ erinnerte. Die Experten ließ Warholm dieses Mal ziemlich sprachlos zurück. (dpa)