Serie Jugendschutz / Stilles Leiden oder taube Ohren in Luxemburg?
Jahrelang konnte ein Lehrer des LCD ungestört seinen Schüler*innen private Nachrichten schicken. Die Schule leugnet, von den Vorwürfen gewusst zu haben, und die Betroffenen berichten von ergebnislosen Bitten nach Hilfe. Teil 2 unserer Jugendschutz-Serie: Heute spricht die Frauenrechtsexpertin Milena Steinmetzer über die Gründe für fehlendes Vertrauen in soziale Strukturen.
Im März wurden die ersten Screenshots privater Chat-Verläufe zwischen Schüler*innen und einem Lehrer des Lycée Classique de Diekirch (LCD) auf Social Media gepostet. Obwohl die Posts damals nur für zugelassene Abonnent*innen der Instagram-Seite zu sehen waren, erreichten Milena Steinmetzer noch am selben Tag die ersten Nachrichten von Schüler*innen aus dem LCD.
Die beigeordnete Zentralsekretärin des OGBL für öffentliche Dienste setzt sich nicht nur im Job für Gleichberechtigung ein. „Die Schüler*innen haben sich bei mir gemeldet, weil sie wissen, dass ich für die Plattform JIF (Journée internationale des Femmes) aktiv bin“, so Steinmetzer. „Sie wollten mir zeigen, was da gerade los ist, und dass es sich dabei nicht um Einzelfälle handelt.“ Nachdem sie sich selbst einen Eindruck verschaffen konnte, kam sie zur selben Erkenntnis: „Man konnte erkennen, dass die Chats alle ähnliche Gesprächsverläufe haben.“ Die Schüler*innen hätten ihr außerdem erzählt, dass es sich hierbei um ein offenes Geheimnis innerhalb der Schule handeln würde, aber noch nichts dagegen unternommen wurde. Diese Behauptung lehnt die Schule jedoch ab.
Reaktion auf Bekanntgabe der Vorwürfe
Steinmetzer hat sich daraufhin bei der Schulleitung erkundigt und wollte wissen, ob bereits Konsequenzen gezogen wurden. „Ich hatte das Gefühl, dass Sandy Goergen, die stellvertretende Schulleiterin, das sehr ernst nimmt. Der Lehrer wurde bereits am Morgen nach der Veröffentlichung suspendiert und sie suche jetzt nach Betroffenen, um Informationen zu sammeln und ihnen ein offenes Ohr anzubieten“, so Steinmetzer.
Obwohl sie sich über diese positive Nachricht gefreut hat, sollte man nicht vergessen, dass dieser Lehrer jahrelang ungehindert agieren konnte. Sandy Goergen habe den Posten noch nicht sehr lange. „Wenn ich das richtig verstanden habe, dann haben die Schüler*innen, die behaupten, bereits zu einem früheren Zeitpunkt bei der Schulleitung gewesen zu sein, nicht mit ihr gesprochen“, ergänzt Steinmetzer. Darauf angesprochen, lehnte Kramer, der Schulleiter des LCD, die Anschuldigungen ab. Er habe keine hilfesuchenden Schüler*innen abgewiesen.
Alleine wegen dieser Unstimmigkeiten ist eine transparente Aufklärung des Falles nötig. Sollte die Schulleitung nichts von den Vorfällen gewusst haben, bedeutet das trotzdem, dass es ein ernsthaftes Problem gibt. Schließlich gebe es dann dutzende Schüler*innen, die sich nicht getraut haben, Hilfe zu suchen. Auch das würde für ein Versagen unserer Strukturen sprechen.
Die Gewerkschafterin Milena Steinmetzer hat sich außerdem gefragt, wie sie den Schüler*innen noch zusätzlich helfen könnte. „Es gab die Überlegung, ob man mit allen Betroffenen zusammen zur Polizei gehen sollte, um dort gemeinsam Anzeige zu erstatten“, erzählt Steinmetzer. „Vielleicht werden sie durch die Anwesenheit einer Erwachsenen eher von der Polizei ernst genommen.“
Fehlendes Vertrauen in Institutionen
Die Frauenrechtsaktivistin vermutet ein strukturelles Problem innerhalb der Polizei. Immer wieder würde sie von Frauen hören, die schlechte Erfahrungen mit den Beamt*innen gemacht haben. Auch sie selbst kann von einer solchen Erfahrung berichten und kann verstehen, wieso nicht alle Schüler*innen zur Polizeiwache gegangen sind. Selbst sie als aktive Feministin, Gewerkschafterin und Person, die weiß, wie ein Anzeigeverfahren ablaufen sollte, habe sich von der Polizei abwimmeln lassen. Sie regt sich darüber auf, dass sie zur Polizeiwache ging und die Beamten dort fragte, ob sie eine Anzeige erstatten dürfte: „Das ist doch richtig dumm, wieso frage ich überhaupt, ob ich das dürfte? Klar darf ich das.“ Aber der Polizist lehnte ab. Eine E-Mail mit Sex-Fotos sei noch keine Belästigung und auch kein Stalking, obwohl sie schon seit Jahren immer wieder ungewollte E-Mails von dieser Person erhält. „Schließlich steht die Person ja nicht vor ihrer Tür“, sei die Antwort des Polizisten gewesen. Sie hat sich in dem Moment abwimmeln lassen und ärgerte sich bereits auf dem Heimweg darüber: „Ich war so wütend auf mich selbst. Eigentlich ist es doch gar nicht die Aufgabe der Polizei, zu entscheiden, ob meine Anzeige gerechtfertigt ist oder nicht. Das ist die Aufgabe der Staatsanwaltschaft und dann im nächsten Schritt die Aufgabe des Gerichts.“
Es gehe ihr nicht um diesen einen Polizisten, der sie wieder nach Hause geschickt habe, sondern darum, dass ein solches Verhalten scheinbar akzeptiert und toleriert wird. Sie schätzt sich glücklich, dass sie sich einen Anwalt leisten kann, der ihre Interessen vertritt. Für viele Menschen gibt es diese Möglichkeit aber nicht. Weswegen die Abweisung bei der Hilfesuche umso gefährlicher ist. Denn auf diese Art und Weise werden auch die gesellschaftlich anerzogenen Selbstzweifel verstärkt. „Uns wurde so lange eingeredet, dass Frauen immer übertreiben und zu emotional reagieren. Bereits als Kinder haben wir gelernt, dass unsere Außenwirkung wichtiger ist als unsere Bedürfnisse”, so Steinmetzer. Auch das könnte einer der Gründe sein, weswegen sich Opfer nur selten mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit trauen.
Vergebliches Hoffen?
Während der #metoo-Bewegung stellte sich heraus, dass sich Schauspieler*innen gegenseitig vor den Übergriffen der meist männlichen Regisseure und Produzenten warnten. Obschon es also auch hier ein offenes Geheimnis innerhalb der Branche war, trauten sich nur sehr wenige damit an die Öffentlichkeit. „Es ist der Versuch, sich gegenseitig zu schützen, ohne sich komplett gegen das System auflehnen zu müssen. Einige hatten die Hoffnung bereits aufgegeben, dass sich wirklich etwas verändern könnte“, erklärt die Frauenrechtsaktivistin.
Solche großen Bewegungen wecken in manchen Menschen immer wieder die Hoffnung, dass wir kurz vor dem sozialen Wandel stehen. Für Steinmetzer fehlt da aber oft noch der letzte entscheidende Schritt: „Solche Momente sind super, um wieder für mehr Aufmerksamkeit und Interesse am Feminismus zu sorgen. Wenigstens wurde während dieser Zeit offen und ernst über die Probleme gesprochen. Trotzdem gab es kaum strukturelle Veränderungen und nur so können wir auf Dauer etwas verändern.“
Trotzdem will sie weiterhin optimistisch bleiben. Besonders der Blick auf die jüngere Generation stimmt sie zuversichtlich. Auch wenn es zunächst paradox klingen mag, erklärt Steinmetzer diesen Optimismus mit den besonderen Herausforderungen der letzten Jahre: „Es liegt vielleicht daran, dass wir schon lange nicht mehr daran glauben, dass schon alles irgendwie gut werden wird. Wir haben innerhalb der letzten 20 Jahren bereits zwei Finanzkrisen, eine Pandemie und die ersten Auswirkungen des Klimawandels miterlebt. Während unsere Eltern sich noch ein Haus kaufen konnten, wird das für jüngere Generationen immer schwieriger. Es ist leichter, gesellschaftliche Probleme zu ignorieren, wenn es einem trotz allem gut geht. Vielleicht musste einfach so viel passieren und wir mussten diese Krisen erst alle erleben, damit wir jetzt etwas zum Positiven verändern können.“
*Annick Goergen, geboren 1992 in Esch/Alzette, ging 2014 nach Köln, um dort an der Universität Deutsche Sprache und Literatur sowie English Studies zu studieren. Schnell wurde klar, dass sie im Ausland bleiben will. Sie war zwei Jahre lang im Vorstand des Studierendenradios Kölncampus und hat sich dort als Online-Chefredakteurin engagiert. Außerdem hatte sie die Möglichkeit, an einem Podcast-Projekt des deutschen Bildungsministeriums teilzunehmen und europaweit mit Expert*innen über das Thema Digitalisierung an Schulen zu sprechen. Momentan arbeitet sie als Werkstudentin bei der Produktionsfirma I&U TV und schreibt dort Skripte für das Online-Wissenschaftsformat Breaking Lab.
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Vielleicht sollte man die Fragestellung so formulieren. Geht in Luxemburg der Täterschutz vor dem Opferschutz ?
Ergebnisloses Bitten der Betroffenen an wen , hätte Schaak‘s Pier als erstes gefragt , oder ?