Kajak-CrashMissgeschick am Findel, Handicap für Tokio: Experte erläutert Totalschaden am deutschen Vierer-Kajak

Kajak-Crash / Missgeschick am Findel, Handicap für Tokio: Experte erläutert Totalschaden am deutschen Vierer-Kajak
Der deutsche Kajak-Vierer mit Max Rendschmidt (r-l), Ronald Rauhe, Tom Liebscher und Max Lemke  Archivfoto: DPA

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Erny Klares, Luxemburger Nationaltrainer im Kanuslalom und Betreiber eines Wassersportverleihs, erklärt dem Tageblatt in einem telefonischen Interview, wie gravierend der Totalschaden für die deutschen Topfavoriten wirklich ist.

Das Kajak der deutschen olympischen Mannschaft ist in Luxemburg von einem Gabelstapler gerammt und irreparabel beschädigt worden. Der Luxemburger Nationaltrainer im Kanu-Slalom unterstreicht im Gespräch mit dem Tageblatt die verhängnisvollen Konsequenzen des Missgeschicks und spricht von einem „schweren Handicap im Kampf um die goldene Medaille“. Einem Medienbericht des DKV (Deutscher Kanu-Verband) zufolge verfüge die Crew in Tokio zwar bereits über einen Prototyp, für das Team beginne trotzdem ein Wettlauf gegen die Zeit, weil sie dringend das maßangefertigte Zweitexemplar benötigen. Dieses ist im Gegensatz zum Prototyp mit dem Originalkajak identisch und stellt eine weitaus bessere Alternative dar.

„Das Besondere ist, dass es dieses Boot mit dieser Bauweise auf der ganzen Welt nur zweimal gibt. Eins ist jetzt zerstört, das andere haben wir aktuell bei der Vorbereitung in Duisburg genutzt“, erklärt Tom Liebscher (Mitglied des K4er-Olympia-Teams) der Deutschen Sportschau gegenüber. Die Mannschaft wolle beim Lufttransport ihres Übungsbootes auf Nummer sicher gehen und es schnellstmöglich, diesmal in einer Holzkiste, nach Tokio transportieren lassen.

Feinarbeit

Der Luxemburger Wassersport-Experte Erny Klares erklärt, dass „die Kajaks für den Spitzensport auf Olympianiveau immer Unikate sind“. Es handele sich um maßgeschneiderte, rein aus Kohlenstoff gefertigte, auf die Körpermaßen der Athleten abgestimmte Mannschaftsboote. Sie seien des Weiteren für absolute Topleistungen konstruiert worden. Jedes Mitglied habe hier seinen fixen Platz im Vierergespann, der nicht beliebig austauschbar ist. Das Gewicht des Kajaks wird aufs Geringste reduziert und anhand exakter Vermessungen hergestellt, um sie bestmöglich auf die Körper der Sportler anzupassen. Der materielle Schaden müsse massiv sein, weil die Anfertigungen solcher Boote unglaublich kostspielig und zeitintensiv seien, meint Klares.

Er wirft des Weiteren ein, dass beim Verladen nicht notwendigerweise fahrlässig gehandelt wurde. Karbon sei eben kein absolut robustes Material, sondern würde aufgrund seiner Leichtigkeit für den Wettkampf verwendet werden. Der Transport des Duisburger Zweitmodells in schützender Holzkiste sei eine sehr gute Option.

Sichtbare Risse im Karbon des Kajaks der deutschen Mannschaft kurz vor ihrem Wettrudern bei der diesjährigen Olympiade in Tokio
Sichtbare Risse im Karbon des Kajaks der deutschen Mannschaft kurz vor ihrem Wettrudern bei der diesjährigen Olympiade in Tokio Foto: dpa

Symbiotisch

Das Proto-Boot in Tokio sei natürlich auf olympischem Wettkampfniveau relativ unbrauchbar „weil die Sportler auf die Maßanfertigungen angewiesen sind, um ihre Bestleistung abliefern zu können“, sagt Klares weiter im Tageblatt-Gespräch. Der Luxemburger Wassersport-Experte ist sich sicher, dass ein solches maßgefertigtes Wettkampfkanu auch nicht in kurzer Zeit nachgebaut werden kann. Nicht nur seien die K4er sehr aufwändig in der Herstellung, sondern auch „unglaublich teuer“. Klares meint im Interview, dass das Übungsboot das Team noch rechtzeitig erreichen müsse, damit die Titelverteidigung gelingen könne. Boot und Team seien eine Symbiose, denn „die Mannschaft habe sich schließlich im Training an ihr Modell gewöhnt“.

Auch der leitende Bundestrainer Arndt Hanisch erklärt der FAZ, warum es so wichtig sei, das zweite Boot schnellstmöglich von Duisburg nach Tokio zu bringen und die Verwendung des Prototyps zu umgehen:
„Gerade der Vierer wurde genau auf die Breite der Stammbesatzung angepasst. Die hauchdünne Karbonverarbeitung erfolgt in Abstimmung mit Sitz und Stemmbrett für die Füße. Zudem wurden noch Modifizierungen an der Steuerflosse gemacht.“

Zur Vorgeschichte

Ein Mitarbeiter am Luxemburger Flughafen hatte den Viererkajak des Deutschen Kanu-Verbandes (DKV) beim Verladen irreparabel beschädigt. Die Gabelzinken haben den K4 demnach so unglücklich getroffen und demoliert, „dass ein Totalschaden entstanden ist“, heißt es in einem Medienbericht der dpa am Mittwoch. Der Crash des Hightech-Bootes liege drei Wochen zurück und wurde erst jetzt publik gemacht, berichtet der aeroTelegraph am Donnerstagabend. Das Olympiaboot wurde mit einer Boeing 747 von der luxemburgischen Luftfrachtgesellschaft Cargolux transportiert und wurde am Findel beim Umladen beschädigt, bestätigt Bundestrainerin Tina Kövari vom DKV. 

Die deutsche Mannschaft gilt als Topfavorit bei den Olympischen Spielen, hat 2016 in Rio sogar Gold geholt: Die Crew für die Olympiade besteht aus Max Rendschmidt, Tom Liebscher, Max Lemke und Ronald Rauhe. Diese zeigt sich kurz vor dem Wettkampf in Tokio geschockt über die Nachricht aus dem Großherzogtum: „Der Trainer und wir waren erst einmal ziemlich aufgelöst“, so die erste öffentliche Reaktion vom Teams des DKV.

Tom Liebscher veröffentlicht in den sozialen Medien ein Bild von dem beschädigten Kajak: Die roten Pfeile verweisen auf das K4
Tom Liebscher veröffentlicht in den sozialen Medien ein Bild von dem beschädigten Kajak: Die roten Pfeile verweisen auf das K4 Foto: Instagram/tom.liebscher

Für Ronald Raue sind die Olympischen Spiele in Tokio der letzte große Wettkampf vor dem Beenden seiner Karriere. Dies geht aus der Mitteilung der Sportschau von Mittwoch hervor. Die deutschen Kanuten können nun nur noch auf eine rechtzeitige Ankunft ihres Probemodells setzen. „Jetzt ist die Hoffnung, dass das zweite Boot pünktlich und vor allem ohne Schäden in Japan ankommt“, schreibt Liebscher auf Instagram. Jenes soll bereits am Donnerstag auf die Reise in die Olympiastadt geschickt worden sein – einem Artikel in der FAZ zufolge soll es wieder über den Luxemburger Findel mit der Frachtgesellschaft Cargolux nach Tokio geflogen werden.

Das deutsche Olympia-Team im K4 kämpft am 6. August in Tokio dann über 500 Meter um Gold.