Aus dem Archiv / Porträt: Luxemburger Künstler Wil Lofy im Alter von 84 Jahren verstorben
Es gibt kaum ein Kind, das nicht schon mal ins Wasser gefallen ist beim Versuch, die „Hämmelsmarsch“-Skulptur am hauptstädtischen „Roude Pëtz“ zu berühren. Auch „Maus Kätti“ und „Bacchus“ sind Skulpturen zum Anfassen. Wil Lofy hat sie geschaffen. Am Montag wurde bekannt, dass der Künstler im Alter von 84 Jahren verstorben ist. Zu diesem Anlass veröffentlicht das Tageblatt ein Porträt aus dem Jahr 2015 und wirft einen Blick zurück auf das Leben des Wil Lofy.
Als Wil Lofy vor einigen Jahren in Panama am Strand entlanglief, ist er auf einen giftigen Tausendfüßler getreten. Das Gift brachte das Blut zum Gerinnen, ein Wundbrand machte sich breit. Am Ende mussten einige Zehen ab. Daher war die Statik damals etwas prekär und die Form nicht mehr ganz so olympisch wie früher, lachte Lofy, als er uns etwas wackelig durch den Innenhof seines Hauses in Luxemburg-Grund führte.
Hinter dem unscheinbaren Eisentor in der rue Saint-Ulric verbarg sich ein Refugium. Hier stand die Zeit still. Es war ein mosaikhafter Kokon aus amazonasartig wuchernden Bäumen, ungemähten, Kopfsteinpflaster-umrundeten Grasflächen, scheinbar zufällig abgestellten Kunstobjekten. Da waren zum Beispiel ein Tisch, dessen Glasplatte auf einem Tarantelkörper aus Holz ruhte, zwei regenbogenfarbene Schildkröten, gefährlich anmutende Fische aus Holz mit scharf emporragenden Flossen, handförmige Holzsitze. Irgendwo zwischen zwei Bäumen lugte die hagere Gestalt des „Blannen Theis“ hervor, links daneben ein Bildnis von Lofys Großmutter Anna, auf einem Tisch eine Auswahl an Muscheln.
Es ging zunächst in ein kleines Atelier. Er stieß die Tür auf, stellte sich in eine Ecke, wollte nicht stören. Er erklärte wenig, ließ lieber die Werke sprechen. Auch hier Treibgüter seines Talents, ein Gewusel aus Farben, Strukturen und Texturen: noch mehr Fische aus jahrhundertealtem Treibholz, das er sammelte und in Containern nach Luxemburg bringen ließ, aus Walknochen zusammengeflickte Gesichter, weitere geschnitzte Sitzgelegenheiten, üppig-weibliche Silhouetten. Das war überwältigend. Und überraschend.
Der Alleskönner
Man kennt Wil Lofy vor allem durch Werke aus dem Luxemburger Mythen- und Kulturschatz wie den „Blannen Theis“, „Maus Kätti“, den „Hämmelsmarsch“, die „Péckvillercher“ … Es sind quirlig-freundliche Figuren, kindlich und trotzdem alles andere als leichtgängig. Wil Lofys Kunst, wie man sie kennt, hat etwas Volks- oder vielmehr Menschennahes. Kunst zum Anfassen. „Folkloristischer Künstler“ nennt man ihn deshalb. Das haftet ihm an. Einmal „Hämmelsmarsch“, immer „Hämmelsmarsch“. Punkt, Schluss, aus. Stille. Auszeit? Nein. Er stand nie still. Nur hatten sich die Blicke irgendwann von ihm abgewendet, die vielen Bekanntschaften waren gegangen, das Vergessen gekommen. Das passiert allzu oft in Luxemburg. Dabei offenbarte der bunte Hof seines Refugiums einen völlig anderen, unbekannten Wil Lofy.
Der „Hämmelsmarsch“ war vorbeigezogen, Lofy war weitergesegelt. „Kunst ist eine endlose Entdeckungsreise. Und sowieso: erst das Leben, dann die Kunst“, sagte er gerne. Und dann noch eines: Er war irre vielseitig. Das Dumme mit Vielseitigkeit ist aber, dass sie schnell als Dilettantismus durchgehen kann. „Kann alles und nix, ist nicht einzuordnen“. Zu viel können ist nie gut. Genauso wie Exzellenzüberschuss. Aber gesundes Mittelmaß war Wil Lofy nun mal ganz einfach nicht. Das war ein Problem. Und Probleme schiebt man lieber weg.
Lofy ließ sich eigentlich auch ganz leicht wegschieben. Er ging von selbst. In sein ruhiges Schneckenhaus im Grund, wie der „Lonesome Cowboy“ hinaus in die große weite Welt, wenn der Luxemburger Winter naht: Dann zog er davon in südlichere Gefilde und arbeitete dort weiter.
Lofy, der Seefahrer
Über eine beängstigend unebene Steintreppe ging es weiter zu seiner Wohnung im ersten Stock. Er arbeitete sich vorsichtig hoch. Stützte sich auf einen Gehstock mit Schlangenkopfknauf. Wil Lofy war das, was man gemeinhin als eine „coole Socke“ bezeichnen könnte. Er hatte jedenfalls alles, was es zum „Coolsockentum“ unbedingt braucht. Charakter, Attitüde und einen Look: Er sah nicht unbedingt aus wie ein Oboenspieler in einem piekfeinen Konzertorchester.
Crocks über dicken Wollsocken, weißes Hemd mit verziertem Mao-Kragen, rote Stoffhose, farbenfrohe Wollweste. Buschiger Schnauzbart plus graue Zausematte. Am Handgelenk eine kleine schwarze Tätowierung, am Finger ein Ring mit einem blauen Auge. Dann hatte er auch noch einen seltsamen Namen. Wie muss es eigentlich heißen? „Wil“ oder „Will“? Denn man sieht ja beides. „Ach, mit der Zeit wird alles kürzer.“ Ah so. Am Klingelschild stand aber „Will“. „Ja? Wie gesagt, man wird bescheidener und verkürzt sich.“ Klar.
Als er so in seinen vier Wänden stand, groß und hager, ein wenig verloren, um ihn herum zahllose Zeichnungen und Skizzen, hatte er etwas von Lucky Luke, gepaart mit Sindbad dem Seefahrer und einer Prise Ernest Hemingway, nur ohne das Haudegenhafte. Wie ein Bohemien eher. Ein sehr zarter Bohemien. Das passte auch zu seinen Zügen. Sein Gesicht, es hatte etwas Fremdes. Er schien nicht völlig autochthon, mit den hohen Wangenknochen, den schwindenden Augen. Er kam von weit her, Lofy, der Seefahrer. Vor Jahren hätte er das Kap Horn in einem Boot ohne Motor umsegelt, erzählte er ganz beiläufig. Segeln tat er sowieso ständig. Das war es! Da lag ein Tick Anarchie, ja fast Piraterie in seinen Zügen. Etwas Wild-Unnahbares war es. Wie die Vögel, mit denen er zusammenlebte: Sie sind nahe, aber versucht man sie zu greifen, fliegen sie auf.
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Salut l’artiste
RIP
Äddi a Merci fier Alles❣❣❣
RIP
Engem Mann, deen mer vill gewissen huet …..!
En “ aussergeweenlechen“ kenschtler..
Ech waert Dech ni vergiessen.
Au revoir l’artiste. Elo kanns du dech ausrouen vun engem bewegten
Liewen.
Danke für deine Kunst!
Bin froh ein paar tolle Errinerungen bei mir Zuhause stehen zu haben 🙂
Singles condoléanes Tanja et Familie