SpanienVerurteilte katalanische Separatisten begnadigt und freigelassen

Spanien / Verurteilte katalanische Separatisten begnadigt und freigelassen
Gestern kamen sie frei: Die Begnadigung und Freilassung der katalanischen Separatisten ist in Spanien umstritten Foto: Josep Lago/AFP

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Schon vor Wochen hatte Spaniens progressive Regierung den Gnadenakt angekündigt, am Mittwoch öffneten sich dann endlich die Zellentüren für neun katalanische Separatistenführer.

Sie saßen seit dreieinhalb Jahren hinter Gittern. Die Separatisten waren wegen eines illegalen Unabhängigkeitsreferendums, das sie im Jahr 2017 in Katalonien durchgeführt hatten, zu langen Haftstrafen zwischen neun und 13 Jahren verurteilt worden. Bringt Spaniens großzügige Geste nun endlich die ersehnte Entspannung im Katalonienkonflikt?

„Die Regierung will einen Schritt zur Versöhnung machen“, sagte Spaniens sozialistischer Regierungschef Pedro Sánchez nach dem definitiven Gnadenbeschluss, der am Dienstag gefallen war. Mit dem Straferlass wolle man eine Lösung der seit Jahren schwelenden Katalonienkrise erleichtern. Die bekannteste Figur unter den neun Separatisten ist der 52-jährige Oriol Junqueras. Er ist der Chef der moderaten Unabhängigkeitspartei Esquerra Republicana (ERC), die seit einem Monat in Katalonien den Ministerpräsidenten stellt.

Der frühere Katalonien-Präsident Carles Puigdemont, der nach dem Unabhängigkeitsreferendum nach Belgien geflohen war, profitiert nicht von diesem Gnadenakt. Gegen ihn besteht weiterhin ein Haftbefehl in Spanien wegen der mutmaßlichen Anstachelung eines Aufruhrs und wegen Veruntreuung von Steuergeldern. Er müsse sich zuerst der spanischen Justiz stellen, die dann über sein Schicksal entscheiden müsse, sagte eine Regierungssprecherin in Madrid.

Mit diesem Akt holen wir neun Personen aus dem Gefängnis, aber wir gewinnen Millionen Menschen für das Zusammenleben

Pedro Sánchez, Spaniens Regierungschef

Premier Sánchez begründete die Begnadigung mit dem Nutzen für den gesellschaftlichen Frieden in Katalonien. „Mit diesem Akt holen wir neun Personen aus dem Gefängnis, aber wir gewinnen Millionen Menschen für das Zusammenleben.“ Damit wolle die spanische Regierung ein klares Signal senden, dass sie an einer Verständigung und Aussöhnung mit dem katalanischen Volk interessiert sei. Umfragen zufolge unterstützt eine große Mehrheit der 7,8 Millionen Katalanen die Freilassung der Separatisten. Auch Kataloniens katholische Bischöfe hatten die Regierung um eine Geste der „Gnade und Verzeihung“ gebeten.

Außerhalb Kataloniens ist die Entscheidung derweil umstritten. Die konservative Opposition Spaniens bezeichnete den Gnadenbeschluss als Skandal: „Sánchez verkauft die nationale Einheit an die Separatisten“, sagt Oppositionsführer Pablo Casado von der christdemokratischen Volkspartei. Er wirft der Regierung vor, sich mit dieser Entscheidung lediglich eine Mehrheit im Parlament sichern zu wollen. Sánchez’ Minderheitsregierung ist im Unterhaus von den Stimmen mehrerer Regionalparteien aus Katalonien und dem Baskenland abhängig. Die Befürworter des Gnadenakts halten in Spaniens nationalem Parlament 55 Prozent der Sitze.

Versöhnlichere Töne

Sánchez wies den Vorwurf der Konservativen, dass die Begnadigung illegal und undemokratisch sei, zurück. Das Gnadenrecht sei eine in der Verfassung verankerte Kompetenz der Regierung. Mit der Entscheidung werde nicht die Verurteilung getilgt, sondern nur die Strafe verkürzt. Das hohe Strafmaß für die Separatisten war kürzlich vom Europarat, dem 47 europäische Staaten angehören, als unverhältnismäßig kritisiert worden. In den letzten 25 Jahren sind in Spanien mehr als 10.000 Häftlinge begnadigt worden – und zwar von konservativen wie von progressiven Regierungen. Unter diesen Begnadigten waren auch etliche verurteilte Politiker.

Aufsehen erregte im aktuellen Fall, dass sich sogar Spaniens Arbeitgeberverband, der traditionell eher dem konservativen Lager zugerechnet wird, hinter die Regierung stellte. „Wenn die Begnadigung zu einer Normalisierung der Lage beiträgt, dann ist sie willkommen“, sagte Arbeitgeberpräsident Antonio Garamendi. Mehrere Tausend katalanische Unternehmen hatten wegen der wachsenden politischen Spannungen in den letzten Jahren ihren Firmensitz in politisch stabilere Regionen Spaniens verlegt. Zuvor hatten bereits die beiden großen Gewerkschaften des Landes die Entscheidung begrüßt.

Auch Separatistenchef Junqueras schlug in einem offenen Brief aus dem Gefängnis versöhnliche Töne an. Der Gnadenakt sei eine sinnvolle Geste, die den Konflikt entspannen und „das Leiden der katalanischen Gesellschaft“ lindern könne. Er trete zwar weiterhin für ein unabhängiges Katalonien ein, lehne aber nun einseitige Schritte zur Abspaltung ab, wie sie 2017 unternommen wurden. Die einzig realistische Perspektive für eine Unabhängigkeit sei der „schottische Weg“ – also ein mit der spanischen Regierung ausgehandeltes Referendum.